Vom zunehmenden Wert glaubwürdiger Medien

ZOOM – Seminar

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

Gastreferenten:

Dr. Tobias Blasius
David Schraven
Dr. Stefan Willeke

23. Juni 2021

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie zur vierten und letzten Folge unseres kleinen Seminars. Drei illustre, großartige Gastreferenten werden uns sekundieren und neues Wissen und Einsichten verschaffen.

Dr. Tobias Blasius ist erfahrener Journalist und Buchautor, begann bei der WAZ, schrieb als politischer Korrespondent aus Berlin und Brüssel für die Funke Mediengruppe und leitet seit einiger Zeit die Landespressekonferenz NRW. Auch die Ausbildung von Journalisten liegt ihm am Herzen.

David Schraven hat sich als engagierter und aktiver Journalist in zahlreichen Beiträgen einen Namen gemacht. Seine Artikel finden sich in vielen Qualitätsmedien. Auch er war mal bei der WAZ. Seit 2014 leitet er das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv.

Dr. Stefan Willeke begann nach dem Studium als freier Mitarbeiter bei der WAZ, wurde dann Reporter und Redakteur im überregionalen Bereich, vor allem bei der Zeit und dem Spiegel. Er gehört zu dem elitären Club der Hamburger Edelfedern.

Herzlich willkommen, alle Drei! Sie sind in Ihrer Profession heraus- und hervorragende Persönlichkeiten. Dank für Ihr heutiges Zeitinvestment. – Unser Thema ist ihr tägliches Brot. Sie werden es mit Kenntnissen und praktischer Erfahrung unterfüttern und uns damit bereichern.

Zur Erinnerung: Ausgangspunkt waren eine Prämisse und eine These. Wir haben uns über die Struktur der Öffentlichkeit verständigt. Sie ist nicht eine von oben gewährte Zutat, sondern Wesenselement der offenen und demokratischen Gesellschaft. Transparenz und Teilhabe entstehen durch Medien. Diese bilden ab, sie steuern aber auch den gesellschaftlichen Diskurs. Unsere These: Glaubwürdige Medien sind von wachsendem Wert. Sie sind es, weil ihn wachsende Kräfte bestreiten. Der seit 300 Jahren
geltende Wahrheitsbegriff der Aufklärung unterliegt einem Stresstest. Fake News oder als „alternative Fakten“ getarnte Lügen zerrütten die konsistente Wahrnehmung der realen Welt. Es bedurfte eines dramatischen Ereignisses wie die Pandemie, um rationales und irrationales Denken wieder unterscheidbarer zu machen.

Was lehrt uns das? – Die freie und unabhängige Presse wurde zusammen mit dem modernen Verfassungsstaat erkämpft. Wie dieser ist sie kein gesicherter Besitz, sondern immer wieder Herausforderung und Projekt.

Aus drei Richtungen drohen ihr Gefahren. Wir haben sie benannt und näher betrachtet: Die erste ergibt sich aus einem natürlichen Spannungsverhältnis zur Macht. Regierungen, partikulare Interessen und ideologische Welterklärer empfinden kritisches

Nachfragen als lästig. Es gibt subtile bis robuste Versuche, die Kontrollfunktion von Presse und Öffentlichkeit einzuschränken oder sie für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren.

Die zweite Gefahr entsteht durch Selbstentwertung. Blinde Flecken in der Wahrnehmung, politische „Frömmelei“ statt Chronistenpflicht und Unprofessionalität auf dem Erregungsbasar delegitimieren die Presse als „Vierte Macht“ im Staat.

Die dritte Gefahr droht durch ein kategorisches Misstrauen der Leute. Sie fühlen sich mit ihren persönlichen Erfahrungen und Sorgen nicht mehr hinreichend gespiegelt. Sie stellen aber auch die eigenen Vorurteile nicht mehr in Frage. Zwecks Schmerzvermeidung gehen sie unangenehmen Tatsachen aus dem Weg, verharren in ihrer Meinungsblase.

Zusammengefasst ergibt sich ein systemgefährdender Trend. Die gemeinsame Basis wird brüchig. Respekt vor den Tatsachen und der Meinung des Anderen werden Luxusgut. Das Vakuum besetzen Ideologen und Demagogen mit pauschaler Schuldzuweisung, monokausalen Erklärungen, a-historischen Rückwärtsträumen und der Aufforderung zur Tabula rasa. Karl Popper beschrieb die Neigung vieler Leute, unangenehme Entwicklungen in der Gesellschaft zu dämonisieren. Sie sind dann für sie nicht ein Geschehen, dass sich aus einem Geflecht zahlreicher Gruppierungen, Interessen und Umstände ergibt, sondern ein planvolles Vorgehen anonymer Mächte. (Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, 1945).

Eine enorme Rolle spielt der persönliche Bildungshorizont. Wer überhaupt bereit und in der Lage ist, einen Zeitungsartikel zu lesen, zwischen Bericht und Kommentar unterscheiden kann, vielleicht sogar mehrere Quellen vergleichend nutzt, ist gegen Pauschalurteile besser gefeit als andere, die sich dieser Mühe nicht unterziehen.

Nichts verändert die Medienwelt stärker als das Internet. Das Thema ist so komplex, dass ich hier nur ein paar Aspekte aufzählen kann:

  • Die weltweite Vernetzung ist ein Riesensprung der Kommunikation.
  • Die digitale Revolution gleicht einer Kettenreaktion, die sich selbst ernährt und exponentiell wächst. Ihre zentrale Struktur ist die Anarchie.
  • Das Handy bringt uns permanent auf Sendung oder Empfang.
  • Gleichzeitig ist es ein hocheffizientes Werkzeug für Desinformation, Bespitzelung und Unterdrückung.
  • Es überschreitet jede denkbare Grenze. Besser: Es ignoriert sie und löst sie auf.
  • Die Neuen Medien schrumpfen den geografisch bedingten Abstand zwischen Völkern und Kulturen.
  • Es entsteht eine bedrängende Dichte und Häufung von Kontakten mit ständiger Verletzung der „Hoheitszone“.

Der zeitliche Abstand zwischen Ereignis und Wahrnehmung tendiert gegen Null. Die ausgeruhte politische Analyse, der abgewogene Kommentar, die geduldige Recherche und die treffliche Formulierung erscheinen als Tugenden aus einer fremden Welt. Für Milliarden Nutzer sind Nachrichten nur noch ungeprüfte Schlagzeile und „Beifang“ irgendeiner Plattform.

Genug. Ich entziehe mir das Wort und übergebe es an unsere Gäste. Wohin steuert die Medienwelt? Steigt der Kurs für Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit? Oder verlieren die Medien ihr Publikum? Verliert die Demokratie ihre Bürger?

Wir müssen darüber reden.