Vom zunehmenden Wert glaubwürdiger Medien 14. April 2021

ZOOM – Seminar

14. April 2021

Einführung:
Prof. Bodo Hombach


Gastreferenten:
Anja Bröker
Ulrike Demmer
Dr. Helge Matthiesen

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie zu diesem kleinen Seminar mit einem großen Thema. Wir forschen nicht. Dafür fehlen uns hier die empirischen Werkzeuge. Wir suchen nach allgemein zugänglichen Aspekten und Kriterien für eine Einordnung. Wenn wir fleißig sind, finden wir Fragen, Thesen und Hypothesen. Sie erlauben Orientierung und wecken vielleicht ein Interesse, das bei der Alltagsbeobachtung leiten kann.

Dabei helfen uns prominente, erfahrene, großartige Gäste: Ausgewiesene und bewährte Expertinnen und Experten, die in und mit der Problematik leben. Wenn Sie also einen Praxisbezug entdecken, verlassen Sie sich ruhig auf Ihre Wahrnehmung!

Dr. Helge Matthiesen studierte Geschichtswissenschaft, Politikwissenschaft und Geographie in Göttingen. Nach der Promotion wurde er Redakteur und Verlagsleiter bei verschiedenen Zeitungen im norddeutschen Bereich. Seit 2015 ist er erfolgreicher Chefredakteur beim General-Anzeiger in Bonn.

Ulrike Demmer studierte Rechtswissenschaft in Bonn und Berlin mit Aufbau an der Berliner Journalisten-Schule. Die nächsten Stationen: ZDF, Spiegel und Focus und Leitung des Hauptstadtbüros des RedaktionsNetzwerks Deutschland. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet. Seit 2016 ist sie stellvertretende Regierungssprecherin im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung.

Anja Bröker studierte Journalistik und Politikwissenschaft in Dortmund und Außenpolitik in Washington, D.C. (1995/96). Beruflich begann sie beim Westdeutschen Rundfunk als Redakteurin und Reporterin für die Tagesschau der ARD. Sie war Auslandskorrespondentin in Moskau, Peking, New York. Zurück in Deutschland redigierte sie das ARD-Morgenmagazin und arbeitete für den Rechercheverbund NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung. Seit Januar 2020 leitet sie bei der Deutschen Bahn die Abteilung
Pressestelle, Newsroom und Social Media. Sie wurde wegen ihrer herausragenden Qualifikation bei einer Veranstaltung in Bonn nach Berlin abgeworben.

Herzlich willkommen, alle drei wunderbaren Verstehenshelfern!

Dass uns Corona belästigt, wissen wir und finden uns damit widerwillig ab.

Meine Damen und Herren,

wo Menschen in einem Gemeinwesen zusammenleben, entsteht Öffentlichkeit. Immer dann und nur dann, wenn Individuen und Gruppen ihren Privatbereich verlassen, um sich über anstehende Probleme und Befindlichkeiten zu verständigen.

Autokratische Systeme brauchen das nicht. Sie regieren per Verlautbarung. Diskussionen oder gar Widerworte sind unerwünscht und verboten. Zuwiderhandlung ist strafbar.

Die moderne, demokratische Gesellschaft unterscheidet sich von der archaischen Dorfgemeinschaft auch durch ihre Komplexität. Medien ersetzen deshalb mangelnde Primärerfahrung durch Sekundärerfahrung. Der politische Diskurs steht und fällt mit der Existenz unabhängiger und offener Nachrichtenmedien. Sie vermitteln – wenn sie es denn tatsächlich tun – ein realistisches Bild der Welt. Sie bieten eine Plattform für das Selbstgespräch der Gesellschaft, recherchieren Fakten, artikulieren Meinungen und geben dem Souverän, also dem Volk, die Chance, das Gebaren der Mächtigen zu hinterfragen.

Die Pressefreiheit ist also ein konstitutives Gut. Sie wurde mühsam und opferreich erkämpft. Man kann sie durch gute Gesetze und Institutionen schützen. Sie kann und muss sich selbst durch professionelle Qualität legitimieren. Dabei ist sie immer zugleich Faktum und Faktor der Gesellschaft.

Sie ist permanent bedroht. Politische, wirtschaftliche, ideologische Interessen sehen in ihr einen Störfaktor, den sie subtil oder robust bekämpfen.

Aus vier Richtungen drohen Gefahren. Ich benenne sie hier nur im Überblick. Im weiteren Verlauf des Seminars werden wir sie genauer betrachten und analysieren.

  • Machtkartelle (Regierungen, Parteien, Interessenverbände) versuchen Einfluss zu gewinnen. Durch Druck auf Verleger und Journalisten. Durch Verengung des gesetzlichen Rahmens. Im krassen Fall durch feindliche Übernahme und Gleichschaltung. An aktuellen Beispielen fehlt es nicht.
  • Die Presse selbst kann sich durch Selbstaufgabe gefährden. Journalisten unterwerfen sich den Verführungen der Macht. Sie blenden wichtige Realitäten aus und fokussieren auf die Nebensachen. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile setzen sie auf Skandalieren, Personalisieren, Dramatisieren. Oder sie verfolgen eine eigene politische Agenda. Sie überschreiten sozusagen die „Blutschranke“ zwischen den Zuständigkeiten. Macht kann man missbrauchen, auch als „Vierte Macht“ im Staate.
  • Auch die Gesellschaft kann das System durch Selbstaufgabe schädigen. Wachsende Gruppen begnügen sich mit Schlagzeilen, gehen bereitwillig Fake News auf den Leim, verweigern sich dem öffentlichen Diskurs oder zerstören ihn durch ideologische Scheuklappen und Parolengeschrei. Am Ende sind sie politische Analphabeten und werden zur Verfügungsmasse anonymer Mächte. Die Diktatur verwehrt ihnen ihre Rechte. In der Massengesellschaft verzichten sie selbst darauf. Freiheiten, die man nicht beansprucht, verschwinden.
  • Ein vierter Faktor setzt die Pressefreiheit unter Druck. Es ist die ambivalente Welt des Internets mit ihrer ungeheuren Verstärkerwirkung positiver und negativer Trends. Das Handy in jeder Hosen- und Handtasche erweitert wie nie zuvor den Zugang zu Informationen, gleichzeitig bedroht es die informationelle Selbstbestimmung und wird zur Waffe für Hass und Diskriminierung.

Die Pandemie zwingt uns, Masken aufzusetzen, aber auch, die Maske fallen zu lassen. Wie unter einem Brennglas verdeutlichen sich Defizite, aber auch Chancen. Wenn es um Leben oder Tod geht, verlieren die Luxusprobleme ihren Charme. Man will wissen, was Sache ist.

Brauchen wir eine neue Nachrichtenkultur? Wie könnte man sie definieren, fördern, mit den Leuten verbinden? Stimmt unsere These vom zunehmenden Wert glaubwürdiger Medien? Wenn ja, wer in der Bevölkerung nimmt sie noch wahr? Was ist journalistische Haltung? Ist sie – gelegen oder ungelegen – das professionelle Engagement für Aufklärung von Sachverhalten und die Kontrolle der Macht? Oder gilt die vorgefasste Meinung und der illegitime Griff nach der Macht, also nicht Haltung, sondern eher Haltungsschaden?

Brauchen wir immer erst Katastrophen, um daraus zu lernen? – Frage an unsere Gäste: Wie ist die Lage? Wo tut es weh? Wo sind ungenutzte, vielleicht verborgene Ressourcen, die man entdecken und verstärken könnte?

Ich bin sehr gespannt auf die Erkenntnisse unserer ehrenwerten Gäste und freue mich
besonders auf das Gespräch.