„Medien, Propaganda und Politik – eine Hassliebe“

ZOOM – Seminar

13. Januar 2021

Gastreferenten:

Minister Dr. Stephan Holthoff-Pförtner

Dr. Thomas Steg

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

Meine Damen und Herren,

wir haben sehr hochkarätige Gäste, die ich auch in Ihrem Namen herzlich begrüße:

Herr Dr. Stephan Holthoff-Pförtner ist von Berufs wegen Rechtsanwalt und hat in dieser Funktion u.a. seinen Freund Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl durch Untersuchungsausschüsse geleitet. Er ist Gesellschafter der WAZ-Meidengruppe, heute Funke-Mediengruppe, wo wir vielfach Gelegenheit hatten, medienpolitisch und in praktischen Medienfragen zusammenzuarbeiten.  Seit 2017 ist er Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten des Landes Nordrhein-Westfalen im Kabinett des Ministerpräsidenten Armin Laschet. Diese biografischen Stationen in Kurzfassung zeigen schon, dass er bei der Gestaltung der Medienrealität, bei der Abwehr von Skandalierung und beim Umgang der Politik mit Medien sehr tiefe Erfahrungen hat.

Das gilt ähnlich und bezüglich der speziellen „Fronterfahrung“ noch intensiver für unseren Gast Herrn Dr. Thomas Steg. Ich kenne ihn noch aus der Zeit als er Pressesprecher des niedersächsischen Sozialministeriums war. Damals war Gerhard Schröder der Ministerpräsident. Der holte Herrn Dr. Steg dann ins Kanzleramt, nachdem er bereits auch sein Medienberater im Wahlkampfteam war. Herr Dr. Steg wurde respektierter und anerkannter stellvertretender Sprecher der Bundesregierung und ist seit  2012  Stimme der Volkswagen AG bei Außen- und Regierungskontakten. Er ist Generalbevollmächtiger dieses wichtigen deutschen Unternehmens.

Beide haben im Vorgespräch den Wunsch geäußert, gemeinsam und gleichzeitig in unser Videoseminar zugeschaltet zu sein. Ich habe beiden Persönlichkeiten versprochen, dass Sie eine aufmerksame und diskussionsfreudige Truppe sind.

Medien, gewollte und ungewollte Enthüllung, Skandalierung, Propaganda und politische Interessen sind die Variablen einer Formel, die immer wieder neu zu sortieren und zu berechnen ist. Für beide Herren war und ist unser Thema das tägliche Brot. Sie werden uns zu den deutschen Verhältnissen aus erster Hand und aus reflektierter Erfahrung vieles sagen und Ihre Fragen beantworten können.

Uns beherrscht zurzeit im Übermaß logisch erzwungen der Blick über den großen Teich. Es klingt wie Zynismus pur, aber wir sollten uns freuen, die Ereignisse in den USA erlebt zu haben. Sozusagen in Vorbereitung auf dieses Seminar. Noch besser: auf die heutige Einheit.

Der innere Zusammenhang der drei „P“ Presse, Propaganda und Politik kann nicht deutlicher werden. Es gab ihn schon immer, er erscheint nur in immer neuen Formen. Die Grenzen zwischen Fiktionen, Fakes und Realität werden eingerissen.

Ich rekapituliere:

Politik ist Auseinandersetzung. Das ist ihre Natur und ihr Zweck. Konkurrierende Interessen, Konzepte, Weltanschauungen werden verhandelt. Das ist unvermeidlich, sobald sie aus der privaten in die öffentliche Sphäre treten. Menschen, Gruppen, Parteien sind die Träger. Dort gibt es unterschiedliche Charaktere und Temperamente. Es gibt höfliche Diskutanten und ungeduldige Kämpfer. Es gibt Sprinter und Langläufer, Visionäre und Glücksritter, Brückenbauer und Egomanen, Gewinner und Verlierer. Immer auch gibt es Argumente oder Parolen.

Politik bedeutet die Gestaltung der öffentlichen Dinge, aber auch die Verwaltung von Macht. In deren Natur liegt der Missbrauch. Um diesem vorzubeugen, erfanden kluge Köpfe Regeln, Gesetze, Institutionen. Das Ziel ist der geregelte Konflikt. Im besten Fall sind am Ende alle zufrieden. Im zweitbesten Fall sind alle irgendwie unzufrieden.

Zu diesem Spiel gehört die Propaganda. Jede Gruppe „propagiert“ ihre Ziele, wirbt um Zustimmung, präsentiert sich in einem möglichst günstigen Licht, betont ihre Erfolge und vernebelt ihre Niederlagen.

Auch hier gibt es Regeln (gab?!). Wer das Spiel um jeden Preis gewinnen will, kann es auf Dauer nur verlieren. Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel. Wie in der Wirtschaft zerstört unlauterer Wettbewerb auch hier den Markt.

In einer offenen Gesellschaft sind Zustände und Ziele Gegenstand des ständigen Dialogs. Nur auf diesem Weg haben alle Beteiligten die Chance, ein adäquates Bild der Verhältnisse zu entwickeln und sich zu beteiligen. Unabhängige Medien klären Fakten, untersuchen Intentionen, bringen Verschwiegenes „zur Sprache“, bieten ein Forum, wo sich die divergierenden Gruppen artikulieren können.

Das Spiel funktioniert, wenn sich die Spieler ihrer Rolle bewusst sind. Sie sollten ihren Text können und auf Übergriffe verzichten.

  • Eine Presse, die – obwohl nicht demokratisch legitimiert – unmittelbar den politischen Prozess steuern will, gefährdet das System.
  • Eine Propaganda, der jedes Mittel recht ist, ihre Ziele durchzusetzen, gefährdet das System.
  • Eine Politik, die nicht auf Ausgleich, sondern Polarisierung setzt, die also im Meinungsgegner nur noch den Feind sehen will, den es auszuschalten gilt, gefährdet das System.

Systemtheorie unterscheidet zwischen einem dynamischen und einem statischen Gleichgewicht.

In der statischen Gesellschaft stehen die einzelnen Komponenten in einer starren Beziehung. Jede hat ihren Platz und ihre Funktion. Ämter gelten als persönlicher Besitz. Es herrscht eine strenge Hierarchie. Bewegung ist unerwünscht. Sie gilt als gefährlich. Ein zentraler Wille beherrscht das Geschehen. Die Kommunikation setzt auf Befehl und Gehorsam. Es gilt die „Wahrheit“ des Mächtigsten.

In der dynamischen Gesellschaft stehen die einzelnen Komponenten in einem spannungsreichen Geflecht. Platz und Funktion dürfen sich ändern. Die Hierarchie ist flach und transparent. Sie muss sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen. Beweglichkeit des Denkens und Handelns ist erwünscht. Sie gilt als Voraussetzung für die Optimierung der Verhältnisse und das Lösen komplexer Probleme. Der gemeinsame Wille ist das aktuelle Ergebnis des Dialogs. Die „Wahrheit“ entsteht durch Versuch und Irrtum.

Der Sturm auf das Kapitol schockierte die Weltöffentlichkeit. Als einzelnes Ereignis erscheint er chaotisch und austauschbar. Historiker werden ihn im Zusammenhang einer längeren Entwicklung verorten.

Seit Jahrzehnten verschärfte sich in den USA die politische Polarisierung. Es begann mit der Tea-Party-Bewegung und ihrer Fundamentalopposition gegen die Obama-Administration. Die hat allerdings auch wenig Brücken gebaut, sondern Beiträge zur Polarisierung, die es Trump leichter gemacht haben, geleistet. Mit ihm steigerte sich die Polarisierung. Mit seinen hasserfüllt-dämonisierenden Auftritten gegen jede Opposition und die willkürliche Verfälschung von Fakten schlug er bislang in der Neuzeit unbekannte Töne an. Der politische Konkurrent war jetzt „Feind des Volkes“, den man vernichtend schlagen dürfe. Beide Lager leben seither in völlig getrennten Kommunikationssphären. Die Sozialen Plattformen boten ihnen hermetische Echokammern, in denen sie sich nur noch selbst begegneten und somit ständig verstärkten.

In diesem Stadium ist die Freund-Feind-Konnotation nicht mehr der Grenzfall oder Unfall des Politischen, sondern dessen Wesenskern. Die drei „P“ (Politik, Presse, Propaganda) verschmelzen zum kriegsähnlichen „Die oder Wir“. Alle natürlichen Unterschiede (religiös, moralisch, ökonomisch, ethnisch, sozial) gruppieren sich im schwarz-weißen Schema der verlorenen Wirklichkeit. Jedes Mittel scheint erlaubt. Regeln gelten als verächtlich und hinderlich. Sie werden ignoriert oder strategisch instrumentalisiert. Souverän ist nur noch, wer über den Ausnahmezustand entscheidet. Das dynamische Gleichgewicht der offenen Gesellschaft verwandelt sich in das statische eines autokratischen Systems.

Und plötzlich sitzt ein Mensch mit dem vermeintlich emotionalen Entwicklungsstand eines ungezügelten Trotzkopfes vor dem Roten Knopf einer atomaren Supermacht…

Ich falle mir ins Wort. Und bitte um Nachsicht. Der Vorgang „USA“ ist in diesen Tagen übermächtig. Ihn nicht zu diskutieren, hieße ihn verschweigen. Aber das soll uns nicht hindern, das Dreieck „Presse-Propaganda-Politik“ auch auf der deutschen Bühne zu untersuchen.

Wir groß ist der Einfluss von Lobbyismus auf die politische Agenda? Sind Parlament und Exekutive im Gleichgewicht, etwa im Stress der Pandemie? Haben nicht auch wir einen „intentionalen“ Journalismus, der nichts mehr wissen will, sondern nur noch vorführen? Ist das Skandalisieren und Niedermachen des politischen Konkurrenten nicht auch bei uns längst akzeptierte Methode? Ist unsere politische Kultur frei von Ausgrenzungen? Ist das demokratische System immer noch ungefährdeter Grundkonsens? Kann man die Freiheit, die es bietet, durch Missbrauch dieser Freiheit vernichten? Unsere Gäste haben – wie gesagt – mit diesen Fragen zu tun, sowohl im beruflichen Umfeld wie als Bürger dieses Staates. Ich bin sehr gespannt auf deren Ausführung und die hoffentlich intensive Diskussion, so schwer es an den Computern auch manchmal fällt.

Paul Weber „Das Gerücht“