„Medien, Propaganda und Politik – eine Hassliebe“

ZOOM – Seminar

25. November 2020

Gastreferenten:

Dr. Susanne Gaschke
Thomas Hüser

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

Meine Damen und Herren,


beim vorigen Treffen haben wir versucht, die Begriffe und Typen zu sortieren. Heute ist nebenbei auch ein kleiner Marsch durch die Geschichte angesagt. Dazu hat mich ihr Interesse am historischen Diskurs von Prof. Dr. Kocks angeregt. Er wollte die gesteigerte Glaubwürdigkeit einer Story durch Analogien zu bekannten Mythen, Sagen und gelernten Märchen deutlich machen.

Ich halte mich fahrlässig kurz, um unseren interessanten, erfolgreichen und mit breiter Erfahrung ausgestatteten Gästen und dem Gespräch keine Zeit zu stehlen.

Mediale Öffentlichkeit als Träger des gesellschaftlichen Diskurses spielte schon in der griechischen Polis eine konstitutive Rolle. Das Medium war die Stimme. Der Übertragungswegreichte vom Redner bis zum Ohr der Zuhörer. Man hatte entdeckt, dass ein geschickt bis raffiniert vorgetragenes Argument politische Wirkung haben konnte.

Die Bürger der attischen Demokratie testeten die neue Form der Machtverwaltung bis zum Exzess. Das griechische Wort „agon“ (= Wettstreit) kennzeichnete ihre gesamte Kultur. Theater, Philosophie, Wissenschaft, Politik, alles artikulierte sich im Streitgespräch, durch Rede und Widerrede. Schauplatz waren die Agorà, das Parlament, die Bühne, die Volksversammlung.

Gute Kommunikatoren gewannen hohes Ansehen. Wer das Handwerk verstand und den rechten Augenblick erwischte, konnte die öffentliche Meinung beeinflussen und Geschichte schreiben. Das freie und öffentliche Bearbeiten neuer Ideen erzeugte einen Überfluss an Alternativen. Es entfaltete eine Zivilisation, die allen anderen überlegen war.

Das Jahrtausend der römischen Antike trieb diese Möglichkeiten weiter voran. Alle Quellen berichten von rhetorischen Sternstunden und Abstürzen. Nie ging es nur um Information, sondern immer auch um Überzeugung und Überredung bis zur Demagogie. Jede Partei „propagierte“ ihre Ziele und Interessen. Geschriebenes war selten und kostbar. Die Mächtigen hatten das Sagen, aber von Thukydides bis Tacitus, Livius und Sallust gab es auch schon ein Bemühen, Quellen zu befragen. Das Ergebnis war jedoch immer Erzählung. Noch die Kathedralen des Mittelalters waren eigentlich „gebaute Zeugnisse“. Hier archivierte sich das gesamte Wissen der Zeit mitsamt seinen Ängsten und Hoffnungen.

Die Erfindung des Buchdrucks eröffnete einen neuen Weg. Plötzlich wurden Erkenntnisse erschwinglich und breiteren Kreisen zugänglich. Wer lesen konnte, unterwanderte unwillkürlich oder absichtsvoll das Herrschaftswissen von Kirche und feudaler Gesellschaft.

Ohne die beweglichen Lettern des Herrn Gutenberg wären Luthers Thesen der Spleen eines einsamen Professors geblieben. Jetzt aber verbreiteten sie sich während vierzehn Tagen im ganzen Reich. Reformation und Gegenreformation veranstalteten ein ungeheures Ringen um die Deutungshoheit. Dieselben Lettern verbreiteten tiefe Weisheiten und brutale Polemik. Das gedruckte Buch wurde Schauplatz und Werkzeug der Neuzeit. – Den Begriff „Propaganda“ verdanken wir übrigens Papst Gregor XV. Seit 1622 koordinierte eine eigenständige Behörde den Kampf gegen Abweichler von der „reinen“ Lehre und die Mission in der Neuen Welt.

Nach den Religionskriegen entdeckten Humanismus und Aufklärung einen neuen Blick auf die Realitäten. Forschung und Wissenschaft feierten immer neue Triumphe. Ihr Medium waren Traktate, literarische Erzeugnisse, Zeitschriften. Diese befeuerten die Debatten in den Pariser Salons. Sie gaben dem wirtschaftlich erstarkenden Bürgertum eine Stimme. Der Adel geriet immer mehr ins historische Hintertreffen. Presse und Propaganda hatten in ihm ihren gemeinsamen Gegner. Der „Ami du Peuple“, die polemische Gazette des Jean Paul Marat hatte nur noch ein Ziel, den Sturz des Ancien Régime. Dafür war jedes Mittel recht.

Die Französische Revolution schuf den modernen Nationalstaat. Journalismus und Presse wurden zum wichtigsten Instrument des gesellschaftlichen Dialogs. Nur der informierte Bürger konnte Teilhaber des Geschehens sein, wenn er über ein leicht erreichbares Medium den nötigen Durchblick bekam. Gleichzeitig bedienten sich Ideologen aller Art desselben Werkzeugs für ihre Ziele. Der Absturz Europas in zwei Weltkriege und Diktaturen ist wesentlich auch den „Fake-News“ oder „alternativen Fakten“ ihrer Zeit geschuldet.

Der absolute Tiefpunkt dieser Methode findet sich mit brutaler, heute unfassbar entwaffnender Offenheit (zur kritischen Immunisierung) in Hitlers Hetzschrift „Mein Kampf“.

„Die Psyche der breiten Masse ist nicht empfänglich für alles Halbe und Schwache. Sie liebt mehr den Herrscher als den Bittenden und fühlt sich im Innern mehr befriedigt durch eine Lehre, die keine andere neben sich duldet, als durch die Genehmigung liberaler Freiheit; sie weiß mit dieser auch meist nur wenig anzufangen. Die Unverschämtheit ihrer geistigen Terrorisierung kommt ihr ebenso wenig zum Bewusstsein wie die empörende Misshandlung ihrer menschlichen Freiheit, ahnt sie doch den inneren Irrsinn der ganzen Lehre in keiner Weise…

Die Aufnahmefähigkeit der großen Masse ist nur sehr beschränkt, das Verständnis klein, dafür jedoch die Vergesslichkeit groß. Aus diesen Tatsachen heraus hat sich jede wirkungsvolle Propaganda auf nur sehr wenige Punkte zu beschränken und diese schlagwortartig so lange zu verwerten, bis auch bestimmt der Letzte unter einem solchen Worte das Gewollte sich vorzustellen vermag…

Die breite Masse eines Volkes besteht weder aus Professoren noch aus Diplomaten. Das geringe abstrakte Wissen, das sie besitzt, weist ihre Empfindungen mehr in die Welt des Gefühls. Dort ruht ihre entweder positive oder negative Einstellung… Ihre gefühlsmäßige Einstellung aber bedingt zugleich ihre außerordentliche Stabilität. Der Glaube ist schwerer zu erschüttern als das Wissen, Liebe unterliegt weniger dem Wechsel als Achtung, Hass ist dauerhafter als Abneigung, und die Triebkraft zu den
gewaltigsten Umwälzungen auf dieser Erde lag zu allen Zeiten weniger in einer die Masse beherrschenden wissenschaftlichen Erkenntnis als in einem sie beseelenden Fanatismus und manchmal in einer sie vorwärtsjagenden Hysterie.

Wer die breite Masse gewinnen will, muss den Schlüssel kennen, der das Tor zu ihrem Herzen öffnet. Er heißt nicht Objektivität, also Schwäche, sondern Wille und Kraft…“

Ich lasse es bei diesem schockierenden, zur Gegenwehr ermunternden, holzschnittigen Exkurs in die Geschichte bewenden. Unsere beiden großartigen, hochgradig reflektierten und „breitbandigen“ Gäste werden aus ihrer beruflichen „Wahrheit“ noch ganz andere Aspekte beisteuern. Was ist zum Beispiel und wie funktioniert Public Relation? Thomas Hüser leitet eine große Medien-Agentur im Ruhrgebiet. Er lässt seine Auftraggeber möglichst gut aussehen, ohne dabei in platte Propaganda zu verfallen.
Er hat auch Ausflüge aufs politische Parkett gewagt.

Frau Dr. Susanne Gaschke ist eine hoch angesehene Publizistin und Journalistin in der Liga „Zeit“ und „Welt“ mit einschlägiger politischer Erfahrung. Ich denke, da fragt man sich immer auch, wie weit gewachsene Strukturen in den Alltag hineinregieren. Denn das habe ich begriffen:

Sie sind nie gesicherter Besitz oder entsorgte Verirrung.
Alles kann jederzeit wieder virulent werden.

Ich bin gespannt.