Diskussionsveranstaltung „Die neue Sachlichkeit in Politik und Gesellschaft – Wem vertrauen wir in der Krise?“

Begrüßung/Einführung:
Professor Bodo Hombach

08. Juni 2020

Sehr verehrte Damen und Herren,

die BAPP war analog erfolgreich. Wir hatten ein kluges, aufmerksames und freundliches Publikum. Das vermisse ich. Viele vermissen uns auch. Wir haben dazu eine Menge Post…, meist digitale. Deshalb wagen wir diese digitale Form.

Ein Thema beschäftigt alle: Wo verläuft eine vernünftige Grenze zwischen Ansteckungsschutz und Folgewirkung. Infektionszahlen sinken, Maßnahmen, die das bewirkten, erben deren Angst- und Aufmerksamkeitspotential.

Das „Wimmelbild“ aus Informationen und Spekulationen macht nervös. Da helfen nur echte Experten. Man wird kaum bessere finden:

  • Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie an der Bonner Universität,
  • Prof. Dr. Michael Hüther leitet das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln,

Das sind großartige Kenner und anerkannte Aufklärer.

  • Marc Steinhäuser ist WDR-Redakteur im Landesstudio NRW.

Er ist Experte für richtige Fragen und Tiefbohrungen auf der Suche nach Aufklärung. Er moderiert.

Ich sage Dank für diese wunderbaren Gäste.

Es geht erst um die resultierenden Lehren der Virus-Krise und die Klugheit, die man hat, wenn man aus dem Rathaus kommt.

Man kann Fehler machen, aber man sollte sie nicht wiederholen. Deshalb hören wir denen zu, die wissen, wovon sie reden. Gleich hören wir Experten, die was sagen, weil sie was zu sagen haben.

In einem zweiten Punkt sind wir alle Experten: Fakt oder Fake. Vielleicht fördert Corona neue Sachlichkeit und Fachlichkeit. Viele gieren nach sachlicher Information, weil sie sich sachgerecht verhalten wollen. Ganz sicher die Mehrheit.

Dumm Gebliebene und Gemachte verdichteten sich nicht nur in Gummibooten auf Berliner Seen. Ganz sicher eine Minderheit.

Das Virus verändert viel. Die Kultur der öffentlichen Debatte hat auch Nebenwirkungen. Unmittelbar nach Ausbruch waren Talkshows erkennbar anders. Man sollte wissen, was Sache war. Moderatoren gaben Spielraum für abwägendes Denken. Man blieb gerne am Apparat. Man fühlte sich informiert, nicht agitiert. Man hörte Zahlen und Daten und etwas über ihre Wirkungen und Auswirkungen. Auch was über Methoden des Forschens. Übereinstimmungen wurden mit Erleichterung zur Kenntnis genommen.

Wissenschaft und Politik kamen sich näher – zum allgemeinen Wohl.

Dieses Medienerlebnis war von kurzer Dauer. Bald trieb man wieder Gladiatoren in die Arena. Alte Spielregeln in den Sprech-Shows. Nicht nur Politiker, auch Wissenschaftler sollten sich öffentlich fetzen.

Forschung als Lernprozess passt da nicht ins Konzept. Wissenschaft geht von Irrtum zu Irrtum in Richtung Wahrheit. Das ist methodisch richtig – der allzu flinke Journalist nimmt das übel. Man hält es der Wissenschaft wie einen Schuldschein vor, dass sie gestern noch nicht wusste, was sie heute weiß.
Nach Tucholsky weiß das Volk nichts – aber ahnt alles.

Der große Qualtinger fand nichts schöner, als dem Schweigen eines Dummkopfes zuzuhören.

Der seltsame Mann im Weißen Haus konnte gegen die Realität der sich stapelnden Corona-Särge nicht überzeugend antwittern. Das postfaktische Zeitalter scheint einen Moment zu früh angekündigt. Alternative Fakten wirken nicht gegen eine erfahrbare Realität. Der Herr versucht einen brutalen Paradigmenwechsel. Aber er schwitzt im Rosengarten.

Immer mehr Menschen ahnen: Es geht da wie hier um ein realistisches Bild unserer Welt oder eine durch Intentionen geprägte und verzerrte Wahrnehmung. Fakt oder Fake. Es geht um Politsprech, Medienethos und nicht zuletzt um eine neue Kultur der wissenschaftlichen Politikberatung.

Corona ließ auch erkennen: Widerspruch und Selbstkorrektur sind kein Makel. Manches Argument ist überzeugender durch Loslassen als durch verkrampftes Festhalten.

Uns ergeht es zuweilen wie dem Kurzsichtigen: Er kann seine Brille erst suchen, wenn er sie gefunden hat.

Wie andere lese ich jetzt erneut den Camus-Roman „Die Pest“. Da fand ich einen merkwürdigen Satz: „Die Wahrheit ist für die einen immer eine Sorge, für die anderen eine Verlockung. Aber manchmal ist sie ein Befehl!“

Herr Steinhäuser, ich übergebe an Sie!