Diskussionsveranstaltung „Die NATO – auch in Zukunft ein Bündnis, das den Frieden sicherer macht?“

Begrüßung & Einführung
Professor Bodo Hombach

02. März 2020

Verehrte Damen und Herren,

wir haben wunderbare kompetente Gäste – der Versuch, die zu würdigen und protokollgerecht vorzustellen, würde meine Redezeit übersteigen. Diese schöne Aufgabe übernimmt unsere Moderatorin Frau Dr. Sauerbrey – Ressortchefin Meinung beim renommierten Tagesspiegel im schlicht regierten Berlin. Frau Dr. Sauerbrey – großen Dank. Ich begrüße Sie und unsere großartigen Gäste – im Namen aller hier – sehr herzlich.

Vor 4 Tagen hatten wir hier das Thema Russland. Es gab keinen Zugang zum Thema, ohne an den seltsamen Mann im Weißen Haus zu denken. Für etliche ist der das Motiv für neue Russland-Sympathie. Er ist auch der Dominator in der Vereinigung, um die es heute geht.

Der griechische Philosoph Diogenes – der mit der Tonne – zog in den Krieg. Seinen Kameraden fiel auf: Er hatte einen Bogen, aber keine Pfeile. „Was willst du mit dem Bogen ohne Pfeile?“, fragten sie spöttisch. „Ich nehme die Pfeile, die der Feind verschießt.“ Er erntete Gelächter. „Wenn der keine schießt?“ – „Dann brauche ich keine.“

Mit dieser Anekdote ist das Thema des Abends nicht erledigt. Und doch. Sie hat was damit zu tun. Sie ermuntert eigenes Denken, wenn man ringsum in Gleichschritt fällt. Sie erinnert daran, dass das Atlantische Bündnis einen großen Daseinszweck hat: überflüssig zu werden.

Seit dem Hiroshima-Atomblitz ist die menschliche Spezies in einer neuen Zustandsform. Sie hat sich eine Löschtaste geschaffen. Günther Anders nennt es „Antiquiertheit des Menschen“. Seit dem 6. August 1945 geht es – in alle Ewigkeit – darum, die gefährliche rote Taste nicht zu betätigen.

Ein Neugeborenes ist so dumm wie ein Neandertaler-Baby. Politisch-historische Erfahrungen werden nicht vererbt, sondern vermittelt. Daran mangelt es. Diplomatie wird von neuen Politsimulanten verulkt, als Übung für Schwache diffamiert.

Die rote Taste ist nicht mehr außerhalb des Denkbaren,

  • wenn zunehmend verantwortungsarme Autokraten an die Macht kommen.
  • wenn starke Kräfte Friedensschlüsse für unlauteren Wettbewerb halten.
  • wenn wieder die alten Rechnungen der Geschichte präsentiert werden.
  • wenn Bereitschaft zum Interessenausgleich schwindet.

Tatsächlich ist Sicherheit das elementarste Grunddaseinsbedürfnis. Sie ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Wer sich abends schlafenlegt, begibt sich für einige Stunden in die totale Wehrlosigkeit. Da braucht es Vertrauen in die starken Mauern des Hauses, in die Wachsamkeit des Dorfpolizisten, in die Bereitschaft der Nachbarn, bei Gefahr zusammenzustehen.

So lange man einig und der gemeinsame Feind klar definiert ist, ist die Sache klar. Da braucht es keine BAPP-Veranstaltung. Aber wie das Leben so spielt – man rutscht in Konstellationen, wo die Konturen verschwimmen. Da ist Freund und Feind nicht durchgängig gemeinsame Wahrnehmung. Da wird an der Verlässlichkeit des Partners gezweifelt. Da quält man sich in Alpträumen, ob man Söhne und Töchter in ein militärisches Abenteuer schickt, das ein Hallodri angezettelt hat.

Man erkennt erschrocken, dass aus ideologischer Verblendung oder zum persönlichen Machterhalt von Bündnispartnern Konflikte angezettelt werden. Man fragt sich, ob der Bündnisfall am Ende Bündnisfalle sein kann. Die vielbeschworene Wertegemeinschaft des Westens ist fragil,

  • wenn die Führungsmacht den ganzen Laden per Twitter für obsolet erklärt,
  • wenn bei einzelnen Mitgliedern Demokratie und Rechtsstaat in Frage stehen,
  • wenn die Lasten ungleich verteilt sind.

Wenn nicht nur Mengenlehre, wie das 2 %-Ziel, gelten soll, braucht es auch politische Intelligenz, zumindest als Flankenschutz. Die dämpft die Dominanz der Starken. Wir Deutschen können nicht vergessen, dass wir in sämtlichen Geschichtsbüchern unserer Nachbarn als bedrohlich und gefährlich vorkommen. Aus deren – sehr begründeter Sicht – hatte die NATO auch den Zweck, uns per Umarmung zu befrieden.

Der Grund unseres Treffens darf getrost erschrecken: Wir waren schon einmal weiter als wir heute sind. Nach dem Ende des Ost – West – Schemas war euphorische Stimmung. Der Warschauer Pakt war verdunstet. Der Atlantikpakt hatte die Chance, sich nun seinerseits zurückzunehmen. Die hat er nicht ergriffen. Im Gegenteil. Man hätte das, was in Russland als Zusammenbruch und Niederlage empfunden wurde, als neues gutes Kapitel des Miteinanders aufschlagen können. Man hätte lukrative Verbindungen auf Gegenseitigkeit knüpfen können. Jedenfalls hätte sich der Friedensnobelpreisträger in Washington seine Sprüche zur öffentlichen Demütigung verkneifen sollen.

Bei meiner Nachkriegstätigkeit für den Stabilitätspakt Südosteuropa war auch die NATO ein Mandatsgeber. Ich kann Erfahrungen beisteuern. Wir sind gut in der gegenseitigen Abstimmung. Wir können effizient und wirkungsvoll Krieg organisieren und führen. Aber auch der Balkan beweist, was wir nicht können: gemeinsam den Friede effizient und wirkungsvoll organisieren.

Ich erlebte dabei ein gewaltiges Defizit in Sachen Abstimmung, Effizienz und Ernsthaftigkeit. Darauf hinzuweisen, war der einfachste Weg, sich unbeliebt zu machen. Die Gemeinschaft feierte Aufbauprojekte als vollzogen, die sie noch gar nicht begonnen hatte. Es gab Lust an der Selbsttäuschung.

Die Römer hatten den Grundsatz: Wenn du den Frieden willst, rüste dich für den Krieg. Manche Worte sind nicht deshalb schon wahr, weil sie geflügelt sind. Ich denke, unser heute unverzichtbares Verteidigungsbündnis muss sich für den Frieden rüsten vor dem ersten Schuss, nicht nach dem letzten. Mein Fahrschullehrer hatte das drauf. „Wen ich beim Hupen erwische und der hat nicht vorher den Fuß auf der Bremse, den schmeiß ich raus.“

Ich hatte das Privileg, Sie begrüßen zu dürfen, aber nicht den Beiträgen unserer kompetenteren Gäste vorzugreifen. Wir können sicher sein, diesen Raum klüger zu verlassen als wir ihn betreten haben. Das garantieren unsere heutigen Gäste. Dafür vorauseilender Dank!

Lieber Sigmar, ich räume das Pult für Dich …