Diskussionsveranstaltung „Russland – Zeit für einen neuen Dialog?“
Begrüßung & Einführung
Professor Bodo Hombach
27. Februar 2020
Verehrte Kuratoriumsmitglieder unserer Akademie,
verehrter Vorsitzender Pofalla,
verehrte Frau Atai,
verehrter Herr Platzeck,
schon der Versuch, wenigstens einige unserer bedeutenden Gäste hier im Raum zu grüßen, würde meine Redezeit kosten. Frau Bröker wurde aus dem schönen Rheinland ins raue und schlecht regierte Berlin gelockt. Sie wird unser prominentes Podium gleich protokollgerecht vorstellen. Ich danke ihr dafür und für die Moderation.
Nun begrüße ich – auch in Ihrem Namen – unsere wunderbaren, kompetenten Gäste sehr herzlich.
„Wie geht’s dir, Brüderchen?“ fragt Iwan den Alexej. „Schlecht!“, sagt dieser. „Wieso geht es dir schlecht?“ „Weil… du liebst mich nicht.“ Iwan empört: „Aber ich bin doch dein Freund!“ Darauf Alexej: „Würdest du mich lieben, bräuchtest du nicht fragen.“
Hans – Dietrich Genscher traf 1978 Gromyko in New York. Der litt übel unter Kreislaufproblemen. Das Gespräch musste stattfinden. Man traf sich in der deutschen Vertretung. Genscher erzählte dem Amtskollegen von eigenen Herzproblemen. Uns erzählte er von diesem Pult: „Ich schlug ihm vor, sich auf der Liege des Botschafters zu erholen. Ich würde derweil Akten bearbeiten, dann könne man weitersehen. Gromyko drückte meine Hand
und bedankte sich. Er hat uns die Art, wie wir damit umgegangen sind, nie vergessen.“ Genschers Fazit: Einen schwächelnden Gegner führt man nicht vor. Im Gegenteil: Man verschafft ihm Erfolge durch eigene Zurückhaltung.
Das nennt man: „Diplomatie“. Sie ermöglichte nach 30jähriger Bestialität den Westfälischen Frieden. Sie schuf das Völkerrecht, die Vereinten Nationen, die Europäische Einigung. Diplomatie wurde als politischer Schlüssel – Fortschritt erlitten und erschaffen. Als Kultur – Technik, um auch mit denen reden zu können, mit denen man eigentlich nicht reden will.
Derzeit brettern rowdyhafte Täternaturen durch Porzellanläden. Andere befeuern Erregungsrituale durch fidel bigottes Moralisieren. Überheblichkeit statt Höflichkeit. Verträge werden weggetwittert. Innenpolitisches Kalkül statt internationaler Verantwortung. Erfahrungen
der Geschichte landen beim Altpapier – werden nicht mal recycelt.
Das letzte Buch der klugen Historikerin Barbara Tuchmann ist Summe ihres Forscherlebens. Da heißt es: „Ein Phänomen, dass Machthaber leicht die Bodenhaftung verlieren, sich narzisstisch einkapseln und gegen jeden Rat und alle Erfahrung, fast mit einer Art Todestrieb, gegen ihre Interessen handeln“- (Gegen die Interessen ihres Volkes sowieso). Eine Variante davon sprach der Gründer der österreichischen Sozialdemokratie Victor Adler aus: „Es ist besser mir der Masse zu irren, als gegen die Masse Recht zu haben.“
Diplomatie ist keine Schönwetterveranstaltung beim Sektempfang. Sie ist Katastrophenschutz. Berstschutz für Leidenschaften. Beständige Suche nach Spielräumen. Nicht, um Gegner auszutricksen, sondern zum beiderseitigen Wohl. Der Umweg kann die schnellere Verbindung sein. Ein einziges Wort fehlt im Diplomaten – Duden: „alternativlos“. Der Diplomat fragt: „Wo stehen wir?“ – Danach: „Wo wollen wir hin?“ Er trumpt nicht auf. Er setzt auf „vertrauensbildende Maßnahmen“, auf „Wandel durch Annäherung“. Er ist ein guter Schachspieler. Er entdeckt Kraftlinien und Einflusszonen. Er knüpft ein intelligentes Netz aus Wirkungen. Er hat Freude an Bewegung statt Malefitz – Blockade. So werden aus starren Zuständen dynamische Prozesse.
Mit Respekt vor den Interessen anderer sucht er Schnittmengen. Er stellt keine Fallen und vermeidet Paradoxien und Dilemmata. Er will nicht Sieg, sondern Ausgleich. Er sucht den langfristigen Nutzen. Seine Erfahrung: Die Hindernisse liegen weniger in den Sachen – fast immer in den Köpfen. Ein Wechsel der Perspektive zeigt Wege und Lösungen. Er will sein Gegenüber verstehen. Deshalb befragt er dessen Anhänger, nicht dessen Gegner. Er vergleicht die eigene beste Seite nicht mit der schlechtesten des anderen. Das ist diplomatisches Handwerk, aber auch hohe Kunst. Früher haben sich Politiker dafür gelobt – und wurden gelobt. Heute meint „klare Kante“ eher das Kantholz – den Verbalprügel.
Es ist verdammt schwer, ein Problem mit den Augen des Gegners zu sehen. Vor allem muss der sein Einlenken als Fortschritt und Gewinn erleben. Nicht als Niederlage. Er braucht es ja gewiss auch daheim. Dort hat er regelmäßig die gefährlichsten Gegner.
Der Theologe Karl Barth wurde mal gefragt: „Treffe ich meine Lieben im Himmel wieder?“ Er antwortete: „Ja – die anderen aber auch.“
Wir wollen über Russland reden. Sie merken: Ich kann das nicht einleiten, ohne an den seltsamen Mann im ovalen Büro zu denken. Auch als Antwort auf den würde ich das Fragezeichen zum Ausrufezeichen gerade machen. Wir wissen wenig über das riesige Russland, seine vielen Völker, Schichten, Ungleichzeitigkeiten.
Wessis empfinden sich gern als Heilsbringer. Russland erlebte jedoch das meiste, was aus dem Westen kam, als Epidemie. Auch die Wende erschien vielen als Zusammenbruch. Frühere Satelliten hatten nichts Eiligeres zu tun, als unter das Dach der NATO zu schlüpfen. Der Warschauer Pakt war erloschen.
Hardliner im Westen spielen sich als Sieger mit vergrößertem Revier auf. Man glaubte, den zahnlosen Tiger ungestraft demütigen zu können. Obama spottete über Putins Russland als „Regionalmacht“ und „Entwicklungsland“. Das Ost – West – Schema scheint erledigt.
Das Denkschemata ist das alte. Oberflächendenker glaubten, ein ultimatives Ziel erreicht zu haben.
Es war nur der Anfang einer Chance, die leichtfertig vergeudet wurde. Wer die Putin – Rede vor dem Bundestag am 25.September 2001 erinnert, wird diese Formulierung als verharmlosend empfinden. Der Trump – Vorgänger zeichnete ein Russland, das niemand mehr ernstnehmen müsse.
Jetzt wissen wir: Wir müssen es ernstnehmen. Wir müssen es, weil wir unsere Interessen selbst ernstnehmen sollten. Peter der Große hat für seine Reformen auch Westwissen nach Russland geholt. Inkognito hatte er in Holland Schiffsbau studiert. Er lud deutsche Experten nach Moskau. Die lebten für sich im deutschen Viertel der Stadt. Es waren wortkarge Handwerker. So nannte man sie bald „die Stummen … Nemietzki“
Bis heute ist „Nemietzki – die Stummen“ das russisches Wort für „Deutsche“.
Wir werden reden. Dazu sind unsere großartigen Gäste und wir hier. Wir sind entschlossen, diesen Raum klüger zu verlassen als wir ihn betreten haben. Dafür übergebe ich zunächst an Sie, lieber Herr Pofalla.