Diskussionsveranstaltung„Regulierung bis zur Strangulierung? Der Balanceakt zwischen Ordnungspolitik und sozialer Marktwirtschaft“

Begrüßung
Professor Bodo Hombach

05. Januar 2020

Verehrte Damen und Herren,
mit Freude begrüße ich Sie und unsere illustren Gäste:

  • Herr Prof. Dr. Pinkwart ist Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Ein Pfadfinder bei der Suche nach den Wegen ins 21. Jahrhundert.
    • Kürzlich verkündete er ein „Entfesselungsgesetz“ der Landesregierung. Jede Idee sei willkommen. Er wird uns beim Ohr und wir ihn beim Wort nehmen.
  • Herr Höttges ist seit 2014 Vorstandschef der Deutschen Telekom AG. Der dient er seit 20 Jahren auf wichtigsten Positionen. Wir im Revier erinnern uns noch an seinen maßgeblichen Beitrag bei der Geburt der E.ON AG.
  • Herr Prof. Dr. Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln. Bei ihm ist der wissenschaftliche Blick scheuklappenfrei. Er denkt so klar und präzise wie er spricht.

Wichtige Weichensteller auf der einen Seite. Ein gewichtiger Interpret auf der anderen.

Durch den Abend führt uns, wie bekannt – energisch und sympathisch – Frau Grimm – sie ist stellvertretende Leiterin der Ereignisredaktion bei phoenix.

Im Namen aller hier heiße ich unsere großartigen Gäste herzlich willkommen!

Bewusstsein für die Brisanz unseres Themas haben sie längst. Viele von uns beherrschen gerade erst ein Smartphone. Nun wird der Wettlauf um schnellste Entwicklung künstlicher Intelligenz zum wirtschaftlichen Überlebenskampf. Entwickler entwickeln, was sie entwickeln können. Sie warten nicht auf Parteitagsbeschlüsse. Das ohnehin verbreitete Gefühl persönlicher Irrelevanz findet Nahrung. Die lebensverändernden Folgen technischer Entwicklungen erscheinen vielen wie unabwendbares Schicksal. Sogar der Glaube an die Exklusivität und Überlegenheit menschlicher Intuition und Kreativität bröckelt.

Bei Schachturnieren machen sich Meister betrugsverdächtig, wenn ihnen ein ungewöhnlich origineller, erfolgreicher Zug gelingt. So – das ist die Erfahrung der Juroren – könne nur ein Computer spielen.

Da bahnt sich etwas an. Psychologen sprechen von der vierten „Kränkung“ der Menschheit:

  1. Kopernikus rückte die Erde aus dem Mittelpunkt des Weltalls.
  2. Darwin mutete den Affen zu, mit uns verwandt zu sein.
  3. Freud belehrte uns, dass wir nicht einmal Herr im eigenen Hause sind.
  4. Und nun rechnen uns Computer in ihren Schatten.

Die können zwar nur zwischen Null und Eins unterscheiden. Aber damit simulieren sie die ganze Welt und schaffen demnächst eine neue. In der werden die Schwächen ihrer Schöpfer – also die menschlichen – der Störfall sein.

Der Algorithmus weiß sehr viel über uns. Sein Genom ist von Menschen programmiert. Die Herrschaft Einzelner über den Algorithmus muss zur Herrschaft der demokratischenGesellschaft werden. Das ist Appell, leider nicht Interpretation.

Im Kölner Stadtanzeiger war kürzlich eine Karikatur: Ein Arbeiter steht – mit Blaumann und Helm – am Fließband. Um ihn herum Roboter. „Liebe Kollegen“, sagt er, „aus Anlass meiner letzten Schicht erlaube ich mir, eine Runde Maschinenöl zu schmeißen.“

Der Philosoph Günter Anders sprach von der „Antiquiertheit des Menschen“. Wir sind vergesslich, langsam, irrational, umständlich. Wir sind gefährlich unbegabt, komplexe Systeme zu durchschauen und sie vernünftig zu regeln. Wir sägen fröhlich an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Ein junges Mädchen wurde kürzlich vor die Vereinten Nationen geladen – um zu erklären, dass zwei plus zwei ungefähr vier ist. Die Wissenschaft erklärt das Dilemma: Mit allem, was wir tun, sind wir Teil des Systems. Das bedeutet: Wir können keine vollständigen Aussagen über das System als Ganzes machen. Folgen und Wechselwirkungen können wir nur begrenzt abschätzen. Zu viele Motive – auch unbewusste und solche aus grauer Vorzeit ererbte, überlagern einander. Wir verlassen uns darauf, morgen mehr zu wissen als heute. Das kann heißen: Wir lernen meist nur aus Katastrophen.

Im Rheinland nähern wir uns ja den tollen Tagen: Zwei Planeten begegnen sich im All. „Wie geht’s?“ fragt der eine. „Schlecht“, sagt der andere. „Wieso?“ „Ich hab Homo sapiens.“ „Ach, mach dir keinen Kopf, das geht vorüber.“

Vier Stichwörter pinne ich ans Schwarze Brett:

Ambivalenz: Technische Erfindungen verstärken unsere positiven Absichten und Eigenschaften. Sie verstärken auch unsere negativen.

Dependenz: Wir machen uns von Systemen abhängig, in denen Computer die Hauptrolle übernehmen. Die Rolle des Komparsen wird verbreitetes Schicksal.

Asymmetrie: Aufbau und Regelung komplexer Systeme benötigen einen gewaltigen Aufwand. Sie zu stören, ist mit geringen Mitteln möglich.

Balance: Sicherheit und Freiheit sind kommunizierende Röhren. Der wachsende Bedarf an Sicherheit kann der Freiheit gefährlich werden.

Mir kommt ein kategorischer Zweifel: Sind Merksätze an schwarzen Brettern überhaupt noch die richtige Methode? Die meisten Merksätze von früher sind Fragen von heute. Uns verwirrt die kurze Halbwertszeit ökonomischer und politischer Formeln.
Was gestern als normal galt, wird heute skandaliert.

Wer an nichts und Niemanden mehr glaubt, ist nicht im Zustand fröhlicher liberaler Unabhängigkeit. Er ist verunsichert und auf der Suche nach neuer Orientierung. Argumentationsarme, unerklärende Politik macht ihm das nicht leicht.

Einmal pro Jahr sitze ich in der Jury des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises. Ich habe mindestens 15 Neuerscheinungen zu lesen. Das beschert mir jedes Mal ein seltsames Erlebnis: Man kann den einen klugen Autor mit dem anderen Klugen widerlegen. Gerade die Klugen kreuzen im Ungewissen.

Das Thema dieses Treffens klingt wie eine flehentliche Bitte um Orientierung. Wann wird Regulierung zur Strangulierung? Muss man überhaupt zwischen Ordnungspolitik und sozialer Marktwirtschaft balancieren? Stellen sich ganz andere Alternativen? Selbst Themensetzer sind ihrer Sache nicht sicher. Pendelschläge werden heftiger. Vermeintliche Konstanten retardieren zu Formeln mit wechselnden Varianten. Diese Dynamik verlangt von uns trotz aller Fragen, zu reagieren, Härten abzufedern, Fehler zu erkennen, Schäden abzuwenden, bevor sie irreparabel werden. Keiner sollte im Zustand fideler Resignation verharren.

Fantasie für kreative Lösungen wird dringend gesucht. Glaubwürdige Persönlichkeiten mit unruhiger Geduld für die pragmatische Suche nach überzeugenden Zukunftsentwürfen haben Konjunktur. Zu wenige haben die Spannkraft, die neuen Spannungen auszuhalten. Eher wächst die resignative Neigung, dem nächstbesten „Soldatenkaiser“ zu applaudieren. Hauptsache, er sagt, wo’s langgeht. Sie kennen das Motto des Henkers: „Stell dich nicht so an. Wir ziehen doch am gleichen Strang!“

Keine Sorge. Da ist doch noch Hoffnung. Die nächsten anderthalb Stunden werden uns klüger machen. Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür unseren großartigen, kompetenten Gästen schon mal herzlichen Dank!