Diskussionsveranstaltung „Wir schaffen das! Wohl doch nicht? Integration im Spannungsfeld zwischen Willkommenskultur und Clan-Kriminalität“

Begrüßung
Professor Bodo Hombach

20. Januar 2020


Verehrte Damen und Herren,

wir haben ein komplexes und brisantes Thema. Es polarisiert und spaltet Gesellschaften. Es verätzt traditionelle Bindungen. Es ist schwer, den falschen Weg zu meiden. Gewohnte Parteitektonik wird dramatisch verwirbelt.


Erschreckend viele sagen den Umfragern, dazu könnten sie ihre Meinung nicht öffentlich vertreten. Umso wichtiger ist der pragmatische Diskurs. Der grüne OB von Tübingen Herr Palmer fordert dazu: „Erst die Fakten, dann die Moral.“ Das klingt kurz und bündig. In einer Zeit, wo Fakes Fakten verdrängen und gute Eigenschaften zu schlechten umgelogen werden, ist die Frage aufregend: „Welche Fakten und welche Moral?“

Deshalb haben wir besonders kompetente Gäste.

  • Frau Serap Güler ist Staatssekretärin im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration der Landesregierung von NRW. Sie erwacht jeden Morgen mit dem Stichwort „Integration“ und geht täglich damit in den Schlaf. Es ist ein unruhiger Schlaf, vermute ich.
  • Frank Richter ist Polizeipräsident. Er arbeitet unermüdlich dafür, dass über 740.000 Menschen in Essen und Mülheim an der Ruhr gut schlafen können.
  • Ulrich Reitz war Chefredakteur der Rheinischen Post, der WAZ, des FOCUS. Er ist geübter Freischwimmer. Er ist kräftig genug, vom Mainstream nicht abgetrieben zu werden.

Herr Reitz und Herr Richter haben sich dankenswerterweise am Wochenende überreden lassen, heute hier zu sein, weil Alice Schwarzer krank darniederliegt. Ihr gute Besserung und den beiden ganz besonderen Dank!

  • Die sozialwissenschaftlichen Aspekte kann uns Professor Dr. Jörg Bogumil mit großer Erfahrung und Tiefenschärfe erläutern. Er lehrt an der Ruhr-Universität Bochum.
  • Den geübten journalistischen Blick hat Frau Sonja Fuhrmann. Sie ist ein vertrautes Gesicht von WDR und Phoenix und wird das Gespräch moderieren.

Meine Damen und Herren,

auch in Ihrem Namen begrüße ich unsere großartigen Gäste hier in Bonn sehr herzlich.

Fast fühle ich mich eingeschüchtert. Was kann ich sagen, was die nicht besser wissen und sagen können? Ich will aus dem Fenster schauen und die Rolle des „freilaufenden“ Bürgers da draußen übernehmen. Er begegnet dem Thema „Integration“ in seinem Alltag, im Vorortszug, am Arbeitsplatz, im Wortwechsel am Gartenzaun. Das heroische Wort der Kanzlerin „Wir schaffen das!“ beruhigt ihn nicht. Heroisch ist und fühlt er nicht. Er sieht sich vor einer enormen Herausforderung in einem multiplexen Spannungsfeld:

  • Als Endverbraucher von Problemen und Konflikten, auf die er keinen Einfluss hat.
  • Als Terminal entrückter und ignoranter Eliten in globalen Machtzentralen.
  • Als Auffangbecken für die Verdammten dieser Erde.
  • Als Geschäftsmodell skrupelloser Schleuserbanden.
  • Als ungelernter Sozialarbeiter für entwurzelte und traumatisierte Menschen.
  • Als umkreistes Objekt krawalliger Ideologen, die ihm den Sand anbieten, in den er seinen Kopf stecken soll.
  • Als chronisch schlechtes Gewissen, wenn er moralisierende Posen und offenkundige Fakten nicht zusammenkriegt.
  • Als Beutestück für kriminelle Clans.

(Geschädigte des Banken- oder Dieselskandals könnten allerdings witzeln: Wo ist das Problem? Die Täter sind doch bestens integriert.)

Viel türmt sich vor ihm auf. Wen wundert’s, wenn er manchmal denkt: „Wir schaffen das nicht.“ Er weiß nicht genau, wie er den Satz betonen soll. „Wir schaffen das nicht!“ – Das könnte physikalische Gründe haben: Geld- und Kräftemangel, defizitäre Organisation, Übermaß des Elends in der Welt.

Er könnte aber auch betonen: „Wir schaffen das nicht!“ – Das hätte dann persönliche oder sozialpsychische Gründe:

Wir unterscheiden nicht, zwischen Asyl und Migration.
Wir setzen verunsichert auf Abschottung.
Wir kultivieren Vorurteile.
Wir dulden eine Verwaltung, die sich auch bei vorhersehbaren Ereignissen verwundert die Augen reibt.
Wir stehen uns in Europa auf den Füßen.
Wir machen uns aus Geschäftsinteresse zu Komplizen menschenverachtender Diktatoren.

Wenn dann Flüchtlinge kommen: Probleme ignorieren oder glauben, sie verbieten zu können, ist kollektives „Zurückdummen“. WIR sind noch nicht genug, die die Probleme pragmatisch und vernünftig abarbeiten wollen.

Mein freilaufender Bürger will nicht lamentieren. Er ist kein Apokalyptiker oder Kollapsianer. Manchmal macht er sich Mut. Wir haben doch 12 Millionen Vertriebene integriert. Haben wir nicht Banken und demnächst vielleicht sogar das Klima gerettet? Die Finanzierung des Asylrechts ist vielleicht keine unlösbare Aufgabe.

Es gibt Institutionen, Stiftungen, Wissenschaftler, welche Chancen und Defizite erkunden. Die erforschen Haltungsschäden und Wahrnehmungsfehler. Daraus könnte man praktische Politik entwickeln. Wenn realitätssüchtige Kommunikation und Selbstreflexion das Feld räumen, wird es von Polarisierung und Gewalt übernommen.

Mein Bürger ist trotziger Optimist. Aber manchmal wird er nervös. Es ist verdammt schwer, im Gewirr von Umfragen, Studien, Talk- und anderen Shows sowie parteipolitischen Grabenkämpfen den Ball flach zu halten. Die demokratische Tugend, dem Meinungsgegner zuzuhören, retardiert. Bei ihm keinesfalls ehrenwerte Gründe und Absichten anzuerkennen, ist leichtfüßige Kommunikations-Routine.

In seinen hellsten Momenten gesteht mein Bürger sich ein:

  • dass auch er mit seiner eigenen Integration noch Mühe hat,
  • dass er heute ein anderer ist als gestern,
  • dass auch er Ratio und Emotio zusammenrührt,
  • dass er heute noch nicht weiß, was er morgen wissen und wollen wird.

Eines allerdings ist ihm klar: Wenn plötzlich Polizisten, Beamte, Feuerwehrleute und Helfer mit Hass überschüttet und Politiker beschossen werden, geht es nicht um Soll und Haben vernünftiger Integration. Es geht um den Generalangriff auf den Rechtsstaat, auf das demokratische System und eine humane Gesellschaft, trotz alledem ist sie die freieste, sicherste und prosperierendste der deutschen Geschichte.

Das merkwürdige Wort „Zurückdummen“ fand ich bei Siegfried Lenz in seinem ostpreußischen Heimatroman. Das darf nicht endemisch werden. Das wurde schon einmal erlebt. 50 Millionen haben es nicht überlebt. Wenn große Teile der Gesellschaft beunruhigt sind, nützt der Appell „Ruhe bewahren“ nicht.

Gefühle geben sich Recht. Sie sind eine Tatsache, mit der wir es zu tun haben. Nicht nur über das WIE, sondern auch mit WEM man zusammenleben soll, will man mitentscheiden.

Beträchtliche Teile der Gesellschaft arbeiten am Integrationsprozess gegenwärtig kaum mit. Sie stemmen die Hacken in den Sand. Da sind wir gefordert. Wer ein Problem bearbeiten will, muss es erst einmal anerkennen. Das ist eine Frage intellektueller Redlichkeit. Es ist Voraussetzung für Schritte in die richtige Richtung.

Spätestens in diesem Moment sagt sich mein „freilaufender“ Bürger: „Du solltest mal wieder die BAPP besuchen.“ Hier gelingt es kompetenten Leuten, das Chaos zu sortieren. Hier redet man nicht Hals über Kopf und auch nicht im schalltoten Reinraum. Hier sucht man nach Spielraum für vernünftiges Handeln. Hier sagte kürzlich der zuständige Landesminister über unsere Integrationsstudie: „An der vorgelegten Arbeit komme ich nicht mehr vorbei. Daraus werde ich Praktisches ableiten.“

Hier werden gleich unsere wunderbaren Gäste miteinander diskutieren, befeuert oder gezügelt von einer hellwachen Moderatorin. Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür vorauseilenden Dank.

Aber zuvor, verehrte Frau Staatssekretärin Güler: Sie haben das Wort!