Diskussionsveranstaltung Vierte Gewalt oder Lügenpresse? Medien in der Diskussion“

Gastreferenten: Christian Nienhaus
Jörg Schmitt

Begrüßung
Professor Bodo Hombach

15. Januar 2020

Meine Damen und Herren,

Sie haben mit

  • Herrn Prof. Dr. phil. Klaus Kocks., Lehrbeauftragter, PR-Spezialist und Publizist,
  • Herrn Dr. Thomas Brey, Lehrbeauftragter, langjähriger Leiter der dpa in Belgrad und heute über den Einfluss staatlicher Mächte im Netz forschend,
  • Herrn Andreas Rudas, Medienmanager, Vorstand RTL und Österreich-Präsident der Beraterfirma Arthur D. Little, Vorsitzender der Rundfunk- und Telekommunikations-Regulierungsbehörde der österreichischen Bundesregierung,
  • Herrn Dr. Johannes Hoffmann, Leiter der Intendanz der Deutschen Welle,
  • Frau Ulrike Demmer, Journalistin und gegenwärtig stellvertretende Regierungssprecherin der Bundesregierung,
  • Frau Anja Bröker, Journalistin, WDR, u.a. Morgenmagazin und neuerdings Sprecherin der Deutschen Bundesbahn,

prominente und informative Gäste kennengelernt. Ihr Besuch beim WDR und bei RTL hat Ihnen einen Eindruck vom Selbstverständnis der TV-Macher vermittelt.


Wir beenden unsere Seminarreihe heute mit großartigen Gästen der Medienwelt, deren Erfahrungshintergrund nicht unterschiedlicher sein könnte. Beide sind aber an Schlüsselpositionen ihres Gewerbes tätig.


Ich danke und begrüße Herrn Jörg Schmitt. Er ist heute aus Hamburg eingeflogen und maßgeblicher Kopf des Recherche-Teams beim Magazin Der SPIEGEL. Ab dem 1. Mai verstärkt er leitend die renommierte Süddeutsche Zeitung.


Jörg Schmitt studierte Journalistik, Wirtschaftspolitik und Jura in München und arbeitet seit über 20 Jahren als investigativer Journalist. Zunächst für den Stern, später für das manager magazin, seit 2003 für den SPIEGEL. Sein Spezialgebiet ist Wirtschaftskriminalität und Korruption. Er enthüllte zahlreiche Affären im Bereich Industrie, Finanzen, Rüstung, Politik und im Sport. Das brachte ihm bedeutende Preise und Anerkennungen ein.


Ich begrüße und danke einem früheren Kollegen, der als Verlagsmanager eine bemerkenswert breite Erfolgsspur gezogen hat. Unser Gast Christian Nienhaus ist eben aus Berlin eingeflogen. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum wurde er Geschäftsführer bedeutender Zeitungen, darunter der Süddeutschen Zeitung GmbH. 2001 Axel Springer AG, dann Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe. Er besorgte deren Umstrukturierung zur Funke Mediengruppe. Nun verantwortet er seit vier Jahren kaufmännisch, technisch und organisatorisch bei Axel Springer die ganze Breite der gedruckten Produkte. Er ist Manager, aber gleichwohl mit politisch- analytischem Blick.

Unseren wunderbaren Gästen ein herzliches Willkommen!


In bisher drei Schritten haben wir uns dem Thema genähert. Zunächst mit einem historischen Abriss über Entstehung und Verlauf der Presse seit der Aufklärung. Dann ging es phänomenologisch um Strukturen der Öffentlichkeit und beim vorigen Treffen um aktuelle Auffälligkeiten in der Entwicklung und Wahrnehmung der Medien.


Unser Ansatz ist problemorientiert. Wir unterstellen eine Krise des Journalismus und der freien Presse und damit des freiheitlich-demokratischen Systems. – Aber ist das überhaupt eine zutreffende Diagnose oder – wie Wolfgang Schäuble meint – ein Hirngespinst? Leiden wir an der Einschränkung von Freiheit oder an Zügellosigkeit und der Aufgabe professioneller Standards?


Darüber muss man sachlich reden. Jede technische Neuerung bescherte den bis dahin verwendeten Medien eine vernichtende Prognose. Telefon, Radio und Fernsehen galten als Totengräber des Buches. Heute soll das Internet den traditionellen Medien den Garaus machen.


Tröstlich oder enttäuschend: Die Propheten haben sich immer geirrt. Sie erlagen einer Wahrnehmungsschwäche. Sie verwechselten technische Tatsachen mit kulturellen Prägungen, Werten, Bedürfnissen.

Natürlich gibt es Umbrüche, Verlagerungen. Das Zeitbudget der Leute ist begrenzt. Die Anbieter kämpfen um Marktanteile. Und immer schon gab es Irritationen und suboptimales, sprich: unprofessionelles Arbeiten. Immer gab es auch die „Schmuddelkinder“ der Branche mit ihrer Lust an Kolportage ungeprüfter Meldungen.


Medien formen das Welt- und Menschenbild. Vor allem dort, wo Primärerfahrungen nicht möglich sind. Die Versuchung ist groß, nicht nur neutral zu berichten, sondern selber auf die Ereignisse einzuwirken, Partei zu ergreifen und letztlich Propaganda zu betreiben.

Ob Neutralität überhaupt möglich ist, kann man mit guten Gründen diskutieren. Man bemüht sich vielleicht um Objektivität, aber es sind nun mal Subjekte, die es tun. Jeder Mensch unterliegt seiner selektiven Wahrnehmung. Das kann man nicht ändern, aber man kann es wenigstens wissen. Ob uns eine Botschaft erreicht, und wie wir sie bewerten, liegt auch an persönlichem Interesse und Emotionalität. Sachliche Informationen unterliegen der steil abfallenden Vergessenskurve. Affekte wie Staunen, Neugier, Empörung bleiben unvermindert im Langzeitgedächtnis.


Und wir neigen zur irrationalen Pauschalisierung. Der große Reinfall des Stern mit den als echt verkauften Hitler-Tagebüchern brachte nicht nur diese Illustrierte an den Rand der Pleite. Er schädigte das Ansehen der ganzen Branche. (Ein Skandal in der katholischen Kirche führt auch zu vermehrtem Austritt aus der evangelischen.)

Wir Bürger sind also nicht etwa die einzig Neutralen mit emotionsfreier Intelligenz. Das Schlagwort „Lügenpresse“ skandieren diejenigen besonders laut, die sich blind und bedingungslos den Lügen ihrer populistischen Taktgeber unterwerfen.


All das ändert jedoch nichts an der Tatsache, im Gegenteil, es macht deutlicher, dass die offene und demokratische Gesellschaft auf seriösen Journalismus angewiesen ist. Nur er garantiert über Information und Meinungsbildung die vernünftige Autonomie der Bürger.


Schlechter Journalismus stößt irgendwann an seine Grenze. Aus enthemmter Skandalisierung oder schlampiger Recherche wird schnell ein Presse-Skandal. Man stolpert über die eigenen Füße.


Zweifellos steht die Branche unter ökonomischem Druck. Der Anzeigenmarkt schrumpft. Die Druckauflage sinkt. Es ist jedoch nicht einmal in den USA zu einem Massensterben von Zeitungen gekommen. Das Metier erlebt eine Transformation, keinen Zusammenbruch. Ökonomische Faktoren sind wichtig. Entscheidend ist jedoch die Sorge der Leute vor dem Verlust ihrer Autonomie in der freien Gesellschaft.


Qualitätsverlust ist im Einzelfall belegbar, auch in vielen Fällen. Die Polarisierung der Gesellschaft wächst und wird gezielt geschürt. Das Kontroverse, Strittige und die Penetranz des Nachfragens gehören zum Beruf des Journalisten. Das macht ihn unbeliebt bei denen, die etwas zu verbergen haben, aber auch bei denen, die um ihre Vorurteile bangen. Vorurteile tun leider nicht weh. Im Gegenteil: Sie machen die Welt übersichtlich und bequem.


Bei Umfragen landen Journalisten regelmäßig weit unten auf der Beliebtheitsskala. Zugleich ist aber das Vertrauen, insbesondere in das gedruckte Wort, nach wie vor hoch. Eine empirische Studie der Universität Leipzig wies nach: Die Menschen unterscheiden unbewusst zwischen „den Journalisten“, die generell unglaubwürdig seien, und „dem Journalisten“ im Medium ihres Vertrauens. Echtes Vertrauen ist auch nicht blind.

Mit Gebrauch und Missbrauch des Internets sind ganz neue Kategorien entstanden. Sie bedrohen die Autonomie des Einzelnen und die realitätskonforme Wahrnehmung der Welt in einer neuen Dimension.

Das Handy ist ein ambivalentes Instrument. Es ermöglicht quasi grenzenlose Information und Kommunikation. Gleichzeitig ist es der permanente Lauschangriff und die umfassendste Manipulation der Geschichte. In den falschen Händen kann es die liberale Demokratie systemisch attackieren. Das geschieht heute nicht mehr durch Straßenkampf und Putsch, sondern durch konditionierte Mehrheiten in der Wahlkabine.

Fake und Lüge gelten nicht mehr kategorisch als „Sünde“, deren man sich schämen müsste. Sie werden als Mittel der politischen Debatte akzeptiert, solange sie das eigene Vorurteil bedienen.

Die Firma Cambridge Analytika kaufte Millionen Datenprofile von Facebook, Twitter und Instagram. Vor allem die unentschiedenen Wähler wurden persönlich mit Botschaften befeuert, die Ängste schürten und Trump als einzigen Retter erscheinen ließen. Auf diesem Weg kam er ins Weiße Haus. Mit der gleichen Methode wurde der Brexit gesteuert.

Philosophen wie Hannah Arendt oder Jürgen Habermas sahen die umfassende, ungefilterte Vermittlung von Fakten als die wahrhaft demokratische Form der Kommunikation. Man möchte ihnen zustimmen, aber Fakten sind nicht „an sich“ transparent und überzeugend. Sie bedürfen der Deutung. – Wie aber verständigt sich eine Gesellschaft, wenn ihr Diskurs mehr und mehr in polemisches Twittern zerfällt? Wie hält sie es aus, wenn dann die einfachen Lösungen an der komplexen Wirklichkeit scheitern? Hier lauern Gefahren, aber auch Chancen. Jene zu entlarven und diese zu nutzen, ist und bleibt die Aufgabe einer unabhängigen und freie Presse, und sie wird täglich wichtiger.

Das Thema unseres Seminars stellte die Frage nach Macht und Kontrolle. Wir haben sie von vielen Seiten (historisch, phänomenologisch, politisch), aber bei weitem nicht erschöpfend beleuchtet. Täglich tauchen neue Aspekte auf. Ganz sicher ist es eines der zentralen Probleme dieses Jahrhunderts.

Alte Traditionen, Standards und Autoritäten scheinen zu zerfallen. Wenn sie nicht ein Vakuum hinterlassen sollen, in das dann apokalyptische Reiter einmarschieren, müssen wir uns etwas einfallen lassen. Ich zitiere das berühmte Ende von Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“:

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
den Vorhang zu und alle Fragen offen.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Herr Nienhaus, Herr Schmitt, wir sind gespannt auf Sie und Ihre Einschätzungen und Informationen. Wir freuen uns auf Ihre Beiträge.