Medien in der Diskussion 11.Dezember 2019

Gastreferenten: Ulrike Demmer
Anja Bröker

Einführung:
Prof. Bodo Hombach

11. Dezember 2019

Meine Damen und Herren,

Wir haben heute besonders hochkarätige Gäste, die mit unserem Thema vielfältig und sehr konkret verbunden sind.


Frau Ulrike Demmer hat Jura und Journalismus studiert (übrigens eine Zeit lang auch in Bonn), war journalistisch für das ZDF, den Spiegel, Focus und die Madsack – Gruppe an maßgeblicher Stelle unterwegs und hat eine Reihe wichtiger journalistischer Auszeichnungen zugesprochen bekommen. Seit dreieinhalb Jahren ist sie die stellvertretende Regierungssprecherin der Bundesregierung und erlebt ihre früheren Kolleginnen und Kollegen aus veränderter Sicht.

Frau Anja Bröker studierte Journalistik und Politikwissenschaft, und hat sich, aus dem Ostteil Deutschlands kommend, im öffentlich rechtlichen System der Bundesrepublik erfolgreich etabliert. Sie war Auslandskorrespondentin der ARD in Moskau und New York. Gegenwärtig betreut sie den investigativen Journalismus des WDR in Kooperation
mit der Süddeutschen und dem NDR. Sie gestaltet journalistisch das Morgenmagazin der ARD und ist dann und wann auch persönlich dort als Moderatorin tätig.

Unsere heutigen Gäste sind so standfest, erfahren und selbstverteidigungsstark, dass ich in meinem heutigen Intro bewusst zugespitzt aus den bisherigen Seminaren und Debatten die kritischen, fast vorwurfsvollen Aspekte herausstreiche, um die heutige Debatte anzuheizen.

Die besondere Bedeutung und Werthaltigkeit von Qualitätsmedien wurde in den vorlaufenden Seminaren deutlich genug.

Wohlan!Zur Erinnerung: Unter dem Begriff „Presse“ verstehen wir die Gesamtheit aller öffentlichen Massenmedien, also Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk, Fernsehen und Internet. Wir haben die Entstehung und den historischen Weg der Massenmedien skizziert. Wir haben über Strukturen der Öffentlichkeit und die konstitutive Bedeutung der Presse für den demokratischen Staat gesprochen. Heute geht es um eine konkrete Zeitansage:

Wie steht es um die Presse in diesem Land?

Die Titelfrage dieses Seminars unterstellt ja ein Problem, eine Gefahr, eigentlich stellt sie die Existenzfrage unseres politischen, sozialen und kulturellen Systems. Ich zitiere noch einmal Jürgen Habermas: „Die freie und unabhängige Presse ist keine Veranstaltung „für“ die demokratische Gesellschaft. Sie ist eine Veranstaltung „der“ demokratischen Gesellschaft. Sie ist also kein Bonus, kein obrigkeitlicher Gnadenerweis, sondern elementarer Ausdruck ihrer eigenen Substanz. Wenn sich die Bürger dieses Hoheitsrecht nehmen lassen oder es unbedacht selbst verschleudern, beenden sie die freiheitlich – demokratische Grundordnung ihres Staates.

Sind wir vielleicht auf diesem Weg? Erfüllen Journalisten ihre Aufgaben? Gibt es Defizite und Verfallserscheinungen, die wir erkennen können und benennen müssen?

Ich biete Ihnen einen kleinen Katalog aus dem Horrorladen von Behauptungen über journalistisches Fehlverhalten:

  • Artikel und Beiträge verlassen sich auf Gerüchte und verzichten auf sorgfältige Recherche.
  • Wenige „Leitmedien“ geben die Agenda vor und werden nur noch nachgeschrieben.
  • Unbequeme oder politisch nicht genehme Themen werden ausgeblendet.
  • Die Überbetonung des Unwichtigen verzerrt die Wahrnehmung von Wirklichkeit.
  • Sachverhalt und Kommentar werden nicht mehr unterschieden.
  • Sachfragen werden personalisiert, Ereignisse skandalisiert.
  • Informationen werden nur noch nach ihrem Unterhaltungswert beurteilt.
  • Journalisten übernehmen unkritisch die Werbebotschaften der Lobby. Sie lassen sich von mächtigen Gruppen hofieren und werden käuflich.
  • Gezielte Sprachregelungen („wording“) vernebeln den eigentlichen Sachverhalt.
  • Ein „blinder Fleck“ aus political correctness, ein „toter Winkel“, in dem ganze Bevölkerungsgruppen verschwinden, oder ein Scheckbuch – Journalismus, der Fünfe gerade sein lässt, wenn nur die Kasse stimmt, beschädigen das Vertrauen der Bürger.
  • Journalisten verlassen die logische Ebene der Berichterstattung und werden selbst zu politischen Akteuren.
  • Falschmeldungen sind nicht mehr Faux – pas, sondern gezielter Betrug.

Solche Beispiele journalistischer Selbstaufgabe finden ihre Entsprechung in strukturellen Veränderungen der Verlage und Sender. Der Medienmarkt hat sich in den vergangenen 30 Jahren enorm ausgeweitet und differenziert. Kommerzielle Ausrichtung und ein scharfer Verdrängungswettbewerb korrodieren die Standards. Auch dafür ein paar kritische Beispiele aus der öffentlichen Debatte:

  • Der Kampf um Auflagenzahlen und Einschaltquoten begünstigt eine voyeuristische und sensationsorientierte Berichterstattung. Schnelligkeit geht vor Sorgfalt.
  • Anzeigenkunden wandern ins Internet ab, wo sie für weniger Geld die größeren Reichweiten haben.
  • Abonnenten brechen weg und begnügen sich mit dem Gratis – Angebot des Internets.
  • Zunehmende Monopolisierung außerhalb der Ballungsräume verarmt die Vielfalt des Angebots.
  • Sparzwänge verringern den Personalbestand. Sie erzeugen eine starke Arbeitsverdichtung und vermindern die Professionalisierung der Mitarbeiter.
  • Politische Parteien eröffnen eigene Newsrooms, um unbequeme Berichterstattung zu verdrängen.


Nicht nur Journalisten, Sender und Verlage sind im Spiel. Auch die Mediennutzer haben ihre Rolle und verändern ihr Verhalten heißt es bei Kritikern.

  • Sie begnügen sich mit oberflächlichen und pseudo – journalistischen Angeboten im Internet.
  • Sie erliegen dem panischen Glücksversprechen einer alles durchdringenden Werbeindustrie. Für politische Meinungsbildung und Teilhabe bleibt weder Raum noch Zeit.
  • Sie verraten den sozialen Netzwerken ihre persönlichsten Daten und Eigenschaften. Algorithmen machen daraus passgenaue Angebote. Alternativen erden ausgeblendet.
  • Durch ständige Selbstbestätigung verarmt das Spektrum der politischen Meinungen. Menschen verfangen sich in einer „Echokammer“, wo sie immer nur sich selbst begegnen. Auch abstruse und gemeingefährliche Ansichten erscheinen ihnen zuletzt als mehrheitsfähig.


Ich fasse zusammen: Wenn die hier aufgezählten Beobachtungen zutreffen, sind Medien längst nicht mehr nur Kommunikationskanäle, über die sich das Selbstgespräch der Gesellschaft ereignet. Das politische System wandelt sich im Zusammenspiel mit der Veränderung des journalistischen Ethos und der Medienlandschaft. Politik und Medienakteure stehen in einem neuen, aber durchaus engen Zusammenhang. Entscheidungen und Erscheinungsbild von Politikern orientieren sich verstärkt an den Bedürfnissen der Massenmedien. Diese wären dann nicht mehr „Vierte Gewalt“ als Korrektiv der Macht, sondern intentionale Mitspieler ohne demokratische Legitimation oder Schiedsrichter in einem Spiel, in dem sie die Regeln definieren. Sie lieferten dann nicht Aufklärung, sondern Inszenierung.


Schon vor 100 Jahren formulierte der Sozialpsychologe William Thomas ein wichtiges Theorem: „Wenn Menschen Situationen für real halten, dann sind diese in ihren Folgen real.“ – Menschen glauben den offensichtlichsten Lügen, wenn sie ihr Weltbild zu bestätigen scheinen, wenn sie überzeugt sind, damit zur Mehrheit zu gehören, und wenn es gelingt, störende Begriffe umzudeuten.
Das Internet ist dafür das ideale Instrument. – Alexa, sag uns die Zukunft!

Oder besser: Frau Demmer, Frau Bröker, wie sehen Sie die Dinge? Können Sie uns etwas optimistischer stimmen?

Dafür vorauseilender Dank.