Diskussionsveranstaltung „Konstruktive Kontroverse: Muss Politik besser streiten?“ 25. November 2019
Begrüßung & Einführung
Professor Bodo Hombach
25. November 2019
Sehr verehrte Damen und Herren,
lieber Herr Hirz,
Ihnen darf ich die protokollgerechte Vorstellung unserer wunderbaren Gäste nicht abnehmen. Aber Sie und Frau Prof. Dr. Frick und Herrn Dr. Eilenberger darf ich – im Namen aller hier – sehr herzlich begrüßen.
Unser Akademie – Name soll nicht täuschen. Die Alternative zu praktischer Politik ist nicht die unpraktische.
Als Eva Manesse den Ludwig – Börne – Preis bekam, dankte sie unter der Überschrift: „Für Pessimismus ist es zu spät“. Sie kritisierte Panikmache. Panik lähmt. Der jammernd auf der Couch sitzt, während das Dach brennt, dem verweigert sie Verständnis. Kommunikation ist alternativlos. Natürlich wird es unterschiedliche Ziele geben. Über den richtigen, besseren, kürzeren Weg wird gestritten.
Die These dieses Abends ist: Es gibt gute und es gibt schlechte Arten, zu streiten. Meine einführenden Gedankenstriche sind vom melancholischen Charme erlittener Lebenserfahrung geprägt. Das ist meine Legitimation, sie thesenhaft anzubieten:
1. Streiten ist wichtig. Dramatisch wichtiger ist notwendiges Tun.
Wenn das Kind im Brunnen liegt, ist es herauszuziehen. Basta. Erst danach fragt man, warum es hineingefallen ist, wer vielleicht Schuld hat, wie man sowas künftig verhindern kann.
2. Streiten ist fruchtlos, wenn man die logischen Ebenen verwechselt.
Im Albtraum macht es keinen Sinn, schneller wegzulaufen. Der Verfolger erhöht auch sein Tempo. Es hilft nur eines: Aufwachen.
Vor einer Woche aus Shanghai zurück zwingt sich mir der Eindruck auf: Selbstzufriedenheit, Ziellosigkeit, bräsige Zögerlichkeit leiten auf die Kriechspur zum Abstellplatz der Geschichte.
3. Schlechtes Streiten verweigert der Realität ihr Recht.
Das nimmt sie übel. Über kurz oder lang wird sie es einfordern. Natürlich wird dann die Rechnung höher.
Gefühle geben sich immer Recht. Wer beweiszugängliche Fakten leugnet, sitzt vielleicht im Weißen Haus. Aber er verwandelt die Welt ringsum in ein Wolkenkuckucksheim. Herrn Trump folgen 65 Mio. auf Twitter. (Richard Edelmann FAZ 17.11.19 – Seite 19)
Wir sollten uns kritisch fragen, warum wir wissenschaftlich vorauseilen und politisch hinterherhinken. Wir lassen uns durch argumentationsarme Politik in massenhaften Sprechshows geduldig langweilen.
4. Schlechtes Streiten unterstellt dem Gegenüber Unfähigkeit oder böse Absichten. Das just bestärkt den.
Diskurs als ideologische Einbahnstraße oder als Vehikel parteipolitischer Strategie bringt nichts voran. Man begegnet nur sich selbst. Bedauerlicherweise tun eigene Vorurteile nicht weh. Im Gegenteil: Es schmerzt, sie aufzugeben. Das sichert ihnen langes Leben.
5. Richtiges Streiten mag das „Sowohl – als – auch“.
Zwischen den zwei Seiten der Medaille akzeptiert es sogar eine dritte. Bertolt Brecht: „Es geht auch anders, aber so geht es auch.“
Der Mensch ist kein Bit – Muster aus Null und Eins. Er ist ein analoges Gewächs mit zahlreichen und widersprüchlichen Eigenschaften, Interessen, Stimmungen, Rollen. Er hat mehr als zwei Seelen in der Brust. Er ist heute ein anderer als morgen. Sein „unter uns Gesagtes“ klingt anders als das öffentlich Vertretene. Wer das nicht als typisch menschliche Eigenschaft begreift, ist arm dran.
Entscheidungsträger stehen unter Generalverdacht. Man macht sie verantwortlich für Fehlentwicklungen und Versagen, seltener für gute Arbeit im Stadtrat, im Betrieb, im Verein. Nervöse, hungrige Medien vibrieren im Jagdfieber… Jedes Projekt ist umstritten. Meist geht es ums Ganze.
Ich bin Politikern begegnet, die ohne Erröten bekennen, sie würden nur tun, was Partei und Medien gut finden. Sonst könne man leicht den Job verspielen. Eine klägliche Selbstbescheidung. Wähler sollten sich aber an die eigene Nase fassen. Die neigen dazu, notwendige Reformen mit Machtentzug zu bestrafen. So haben gestaltungsunwillige Machthascher einen Selektionsvorteil. Ihr Prinzip: wer nichts macht, macht keine Fehler. Dabei SIND die der Fehler. Die bugsieren das System in die Sackgasse.
Um Vertrauen wiederzugewinnen, braucht es mehr als Vertrauen. Vor allem braucht es authentische Persönlichkeiten, die für ihr Ziel stehen. Nur dann wird man mit ihnen Fort – Schritte wagen.
Wir erhoffen Politiker mit Mut, die Widerspruch aushalten. Dafür dürfen sie sich auch mal irren. Ältere kennen das Malefiz – Spiel. Es war mal das meist verkaufte Brettspiel in Deutschland. Man sollte seine Figuren durchbringen. Wichtiger war, den anderen so viel Barrikaden in den Weg zu würfeln, dass die sich nicht mehr bewegen konnten.
Wir erleiden Symptome einer Malefiz – Gesellschaft – einer blockierten Gesellschaft. Viele sind zu schwach, eigene Idee durchzubringen. Die Kräfte reichen nur, andere zu verhindern. Da wäre Streiten Perversion seiner selbst.
„Politik trifft Literatur“. So ein heutiges Motto. Kulturen leben von Erzählungen. In einer Zeit grassierender Demokratieverachtung, sozialer Abbruchkanten und Umdeutung diplomatischer Tugenden liegen Geschichten auf der Straße. Aus praktischer Politik gewachsen – werde ich mich hüten, Schriftstellern, gar Philosophen, Ratschläge zu geben. Die wollen, müssen und werden sie selber finden.
Der Tänzer eines berühmten Balletts wollte vom Choreografen genauere Anweisungen. Dem reichten zwei Worte: „Erstaune mich!“
Mein Weihnachtswunsch ist die allmähliche Verfestigung einer neuen Normalität. Wahrscheinlich geht es uns mal wie einem verdienten Veteranen. Den nahm Präsident Roosevelt mit auf eine Flugreise. Bei einer Kundgebung sollte der als Vorbild für Tapferkeit präsentiert werden. Der Mann hatte als Fallschirmjäger 112 gefährliche Absprünge hinter sich. Als das Flugzeug zur Landung ansetzte, bemerkte der Präsident, dass sein Sitznachbar blass und unruhig wurde. Der Atem wurde kürzer, Schweiß brach aus. Er krampfte angstvoll seine Finger um die Sitzlehne. „Was ist?“ fragte Roosevelt, „ist Ihnen nicht gut?“ Der Mann zögerlich: „Es ist meine erste Rückkehr zur Erde auf diese Weise.“
Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür vorauseilend Dank.