7. Deutsch-Chinesisches Akademisches Forum, Shanghai „Strategies for a better working World – Cooperation between China and Germany“ 12.-13. November 2019

Begrüßungsrede
Prof. Bodo Hombach

12-13 . November 2019

Sehr verehrte Damen und Herren,
lieber Herr Prof. Wang Limin,


Ihnen großen Dank für die Begrüßung. Ich danke auch für die Tatsache, dass wir zum siebten Mal einen großartigen Kreis in toller Umgebung zusammengebracht haben. Ich bin stolz, wunderbare, kluge Gäste begrüßen zu dürfen.


Wir tagen zum zweiten Mal in Shanghai. Im letzten Jahr waren Sie mit Ihrer exzellenten Delegation in München. Das diesjährige Programm ist von besonders aktuellem und wissenschaftlichem Interesse. Wir werden uns gründlich informieren. Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind.

Es geht uns auch darum, Kooperationen zu begründen, zu vertiefen und neu zu entwickeln. In unserer nervösen Welt sind Anstrengungen, einander zu verstehen und Probleme gemeinsam zu meistern, leider selten geworden. Diese Tugend ist deshalb wichtiger als je zuvor. Unser Kreis hat diese Tugend zu seiner Praxis gemacht. Wir haben eine Tradition des offenen Austausches.


Vor vier Wochen gab es eine spannende chinesisch – deutsche Konferenz in Duisburg. Duisburg ist ein westlicher Endpunkt der Seidenstraße. Chinesische Ökonomen und Rechtswissenschaftler und deutsche Juristen und Ökonomen haben intensiv beraten. Sie suchen Formen und Formeln vertiefter Zusammenarbeit. In anderer Funktion, als Vorstand der Brost – Stiftung, konnte ich dieses Treffen wirksam unterstützen. Ich wünsche mir mehr davon. Ich wünsche mir auch die Fortsetzung unseres Dialogs im nächsten Jahr in Deutschland.

Sehr verehrte Damen und Herren,


die Schriftstellerin Kathryn Forbes schrieb eine berührende Erzählung. Die hatte den Titel „Mama‘s Bank Account“. Eine kinderreiche Familie versuchte in armen und politisch unruhigen Zeiten die vielen Probleme des Alltags und der Schicksalsschläge zu meistern. Alle sind zuversichtlich. Wenn es zum Schlimmsten kommt, gibt es immer „Mama’s Bank Account“. Das hat sie immer bestätigt.

Es gibt allen in der Familie ein großes Gefühl von Zuversicht und Geborgenheit. Nicht nur das: Es belebt ihre Fantasie, ihre Kraft, ihre Kreativität. Alle haben den Ehrgeiz, es möglichst nicht anzubrechen. Wenn plötzliche Zahlungen fällig sind oder der Bruder aufs teure College soll, rücken alle zusammen und bündeln ihre Kräfte. Jeder findet noch ein paar Cent. Sie kriegen es immer irgendwie hin, das Konto nicht anzurühren.

Die Jahre vergehen. Die Kinder werden groß und stark. Jetzt haben sie einen Beruf und können ihren Alltag stemmen. Als sie nun selbstverdientes Geld für Mamas Konto bringen wollen, wehrt die lächelnd ab. „Es gibt kein Konto. Es hat nie eins gegeben.“

Das ist eine wunderbare Geschichte. Sie erzählt von der geheimnisvollen Macht der Gemeinschaft. Jeder profitiert. Keiner verliert. Jeder wächst ein wenig über sich selbst hinaus. Man lernt sich kennen. Man teilt die Sorgen der anderen oder relativiert sie aus seiner Sicht. Man streitet vielleicht, aber nur um den Weg, nicht um das Ziel. Die Muskelkraft ist nicht entscheidend. Der Schwächere kann die klügere Idee haben.

Wer hier „AUFTRUMPT“ verliert alles und alle. (Ich hoffe, dass dieses Wortspiel mit dem Namen des Herrn im Weißen Haus ins Chinesische übersetzbar ist.) Im Deutschen könnte ich: „auftrumpfen“ sagen. Wer sich für den Größten und sogar für ein „stabiles Genie“ hält und nur die eigenen Interessen betreibt, beschädigt am Ende auch diese.

Wer in dieser neuen Welt nach egoistischer Hegemonie strebt und nicht anerkennt, dass nur harmonische, tatsächliche Win – Win – Lösungen zielführend sind, wird zum Weltrisiko.
In der Geschichte, die ich erzählt habe, steckt noch ein feinerer Gedanke: Die Sachen und Substanzen sind wichtig. Die sind aber nicht alles. Es braucht auch Visionen. Es braucht eine vorauseilende Vorstellung, eine Perspektive, manchmal eine Utopie. Alles Große und Wichtige, sei es die Neue Seidenstraße oder der Turm von Shanghai, muss jemand gewollt haben. Er muss es für möglich gehalten haben, bevor es realisiert werden konnte.

Apropos „Neue Seidenstraße“. Diese großartige Lebensader verband und verbindet Länder, überwindet Grenzen. Sie ist Wetterleuchten der Globalisierung. Vergangenheit reicht hier in Gegenwart und Zukunft. Sie erleichtert den Austausch von Waren und Ideen. Vor allem wird sie auch innere Barrieren abbauen.

Die europäische Einigung hatte und hat den gleichen Sinn. Sie ist keine Straße – und schon gar keine Einbahnstraße, sondern ein Netzwerk. Trotz Rückschlägen hebt sie den zänkischen Kontinent auf eine neue Ebene politischer Modernität, Identität und wirtschaftlicher und kultureller Befruchtung. Die Neue Seidenstraße könnte ähnliches bewirken.

Wir kommen aus der Gegend von Duisburg. Der dortige Hafen ist der größte Binnenhafen Europas – der Chef, Herr Erich Staake, – ist in unserer Gruppe. Der Hafen ist nicht das Ende der Seidenstraße. – Wir betrachten es zugleich als ihren Anfang.

Jeder Erfinder hat zunächst Neugier und Leidenschaft. Dann wachsen auch die nötigen Kenntnisse, Kräfte und Bündnisse. Irgendwann verflüchtigen sich die Hindernisse. Albert Einstein sagte einmal: „Eine Idee, die nicht am Anfang absurd erscheint, ist nichts wert.“ Wir wissen genau: Wer Vertrauen verliert, verliert mehr als nur Vertrauen. Er verliert Freunde, auch alte Freunde. Um es wiederherzustellen, braucht man mehr als Vertrauen.

Das zarte Pflänzchen muss geschützt und begossen werden. Dann wächst es und wird vielleicht ein starker Baum. Der bringt Früchte und angenehmen Schatten. Er bietet Schutz und Nahrung. Er reinigt die Atmosphäre. Er übersteht den einen oder anderen Sturm.

Wer neue Bündnisse und echte, treue Partner sucht, kann das nicht nur mit militärischer oder wirtschaftlicher Stärke. Er muss mit glaubwürdigen und gelebten Werten überzeugen. Durch reales Vorleben der propagierten Werte beweist sich Verlässlichkeit. Da diese Eigenschaft seltener geworden ist, ist sie um sehr vieles wertvoller.

In allen Systemen stellt sich die Frage: Wie erhält man die Loyalität des Volkes? Die, in deren Namen regiert wird, müssen sich identifizieren und wohlfühlen können. Wenn zwischen Regierenden und Regierten annähernd Harmonie herrscht, wird sich die ganze schöpferische Kraft einer Nation entfalten. In einer Zeit globaler Transparenz und Kommunikation ist das für alle politischen Systeme eine herausfordernde Aufgabe und ein Element der Systemkonkurrenz.

Wir kennen kritische Töne aus der öffentlichen Diskussion in unserem Land. Da stellt sich gehäuft die Frage, ob die reale Politik vom Volk mit ausreichender Mehrheit getragen wird. In einem System, wo erklärtermaßen alle Macht vom Volke ausgehen soll und „im Namen des Volkes“ Recht gesprochen wird, wäre eine massenhafte Entfremdung zerstörerisch. Die Herrschaft einer knappen Mehrheit über eine annähernd gleich große Minderheit auch. Tiefe Spaltungen in westlichen Gesellschaften müssen in den nächsten Jahren therapiert werden.

Kluger Interessenausgleich und vernünftige Kompromisse, nicht weitere Polarisierung, scheinen mir das richtige Rezept. Das ist erprobt und bewährt. Immer mehr Menschen bei uns sind die zunehmende Polarisierung leid. In den Außenbeziehungen ist das seit dem wahnsinnigen 30jährigen Krieg die Funktion der Diplomatie. Leider beobachten wir auch hier eine verstärkte Neigung, vor der ein altes deutsches Sprichwort warnt, den Splitter im Auge des anderen, aber nicht den Balken im eigenen zu sehen. Mancher Redner spitzt die Dinge zu. Er wirft alles in die eine Waagschale, weil er glaubt, die andere sei schon übergewichtig voll. Er tut es mit unnötigem Eifer. Manchmal gegen seine eigene Überzeugung, die eigentlich differenzierter ist.

Wir müssen aufpassen, dass das brutale Wort und chaotisches Agieren nicht zur brutalen Realität und zum Chaos der Welt wird. Wir müssen Fehler vermeiden, die das Verstehen bedrohen oder stören. Wenn sich die Gegenseite ähnlich verhält, steigt die Temperatur der Debatte manchmal bis zum Fieber. Dann helfen nur noch kalte Wickel aus der Realität.

Das beste Hausmittel ist die persönliche Begegnung. Bei allen Konferenzen, die ich erlebe, geschieht Wichtiges auch im Zwischenraum, in den Pausen, zwischen dem zweiten oder dritten Glas.

Ich freue mich über diesen wunderbaren Kontakt mit Ihnen. Er ist längst kein „zartes Pflänzchen“ mehr. Er ist eine gesicherte Tradition. Wir kommen von weit her und haben uns viel zu sagen. Wir werden lernen… Herzlichen Dank für diese Gelegenheit. Dank für den sympathischen Ort und die großartige Organisation!

Nochmal Dank, verehrter Freund Prof. Wang Limin.


Jemand muss das alles gewollt haben. Jemand muss es möglich gemacht haben.

Vergangenheit strahlt in Gegenwart und Zukunft.

Ich fand einen fröhlichen chinesischen Spruch. Der Dolmetscher wird ihm auch die richtige Melodie geben, und ich freue mich schon lange darauf, sie zu hören: „Alles an der Vergangenheit starb gestern; alles an der Zukunft wird heute geboren.“

Ich danke Ihnen allen… und wünsche uns neue Sichten und Anregungen.