Diskussionsveranstaltung „Demokratie in der Akzeptanzkrise“, 28. Oktober 2019

Begrüßung

Prof. Bodo Hombach

28. Oktober 2019

Sehr verehrte Damen und Herren,

als ich letzte Woche in die USA reiste, hätte ich nicht geglaubt, wie aktuell unser heutiges Thema in Deutschland geworden ist. Auf dem Rückflug las ich von Herrn Kubicki den Satz: „Keine Ideologie, keine Überzeugung kann für sich in Anspruch nehmen, über dem Gesetz zu stehen.“ Was er da sagte, ist eine schiere Selbstverständlichkeit, aber von wem und mit welcher Heftigkeit gegengehalten wurde, ist irritierend.

Früher kehrte ich von einer Reise in die USA mit Staunen über deren Pragmatismus und gesunden Patriotismus zurück. In der letzten Woche schmeckte dort aber einem alten Freund das Essen nicht. Farbe und Muster meiner Krawatte erinnerten ihn unerträglich an Symbole der politischen Gegner. Das hatte er früher – selbst in seinem Amtszimmer im Weißen Haus als Berater des Präsidenten Clinton – niemals bemerkt. Damit er sich entspannen konnte, habe ich sie abgenommen.

Verehrte Damen und Herren,

Sie sind am Ort der Meinungsbildung. Wir haben großartige Gäste. Begrüßen Sie mit mir:

  • Herrn Wolfgang Kubicki MdB, den Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages und stellvertretenden Vorsitzenden der FDP,
  • Frau Prof. Dr. Grit Straßenberger vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn
  • und Frau Dr. Susanne Gaschke, bekannte Journalistin und Publizistin.
  • Frau Dr. Anna Sauerbrey ist Ressortleiterin „Causa/Meinung“ beim Tagesspiegel, sie wird die Diskussionsrunde moderieren und beleben.

Im amerikanischen Washington State galt eine Hängebrücke als Vorzeigeobjekt für nützliche und schöne Architektur. Man war stolz auf die Erfindungskraft. Die Brücke gibt es nicht mehr (seit dem 7. November 1940). Sie zerstörte sich schon nach vier Monaten.

Vibrationen haben sich aufgeschaukelt – Stahl und Beton gerieten in Todeskampf. Trümmer stürzten haltlos in die Tiefe. Ein Konstruktionsfehler erzeugte irgendwann eine winzige Irritation, die zunächst niemand bemerkte. Die verstärkten sich gegenseitig. Zuletzt war ihnen keine Statik gewachsen.

Gibt es auch in Gesellschaften Fehlkonstruktionen, die lange unauffällig bleiben, bis sich destabilisierende Kraft Bahn bricht?

Das erinnert mich an eine Nachkriegsrede von Heinrich Böll. Er erzählte von der Trümmerkulisse Kölns. Zuweilen kam es vor – so Böll -, dass Giebelwände, die lange aufrecht standen, plötzlich umstürzten – ohne sichtbaren Grund. Im Innern des Fundaments, musste sich etwas verändert haben. Eine Kraft ermüdete. Aus heiterem Himmel übernahm Gravitation das Regiment. Der Krieg schrieb eine letzte Anekdote. Auf dem Schuttberg lag eine neue Schicht. Trümmer wurden beseitigt. Häuser wurden rekonstruiert oder neu errichtet.

Die Bundesrepublik Deutschland schrieb eine Erfolgsgeschichte. Fast alle Schritte waren umkämpft. Parteien und ihre Matadoren schenkten sich nichts. Es gab aber einen Grundkonsens. Die Verfasser des Grundgesetzes haben sich darauf geeinigt. Der war in der Bevölkerung mehrheitsfähig. Es galt: Nie wieder Krieg. Nie wieder Unrechtsstaat. Nie wieder Diktatur. Nie wieder soziale Verwerfung.

Eugen Kogon begrüßte den neuen Versuch in der dünnen Demokratiegeschichte mit feierlichen Worten: „Zum zweiten Mal ist nunmehr dem deutschen Volk nach seiner militärischen Niederlage von den Siegern die Demokratie als Strafe auferlegt worden. Möchten wir doch aus der Bürde ein Instrument der Freiheit machen! Es wäre die größte Revolution, die in Deutschland jemals stattgefunden hätte, eine Revolution nun endlich ohne Unterdrückung…“

Die Westdeutschen wuchsen in den großen Anzug hinein. Sie übten und lernten die demokratische Methode als vernünftiges Management der Macht. Das „Provisorium“ des Weststaates – von Bonn aus regiert – erwies sich als erstaunlich stabil. Die Kasse stimmte. Soziale Marktwirtschaft versprach Wohlstand für alle. Wer fleißig war konnte mit Aufstieg rechnen. Sogar das Misstrauen der Nachbarn schwand.

Es erfüllte sich Brechts Wunsch: „Dass die Völker nicht erbleichen / wie vor einer Räuberin, / sondern uns die Hände reichen, / uns wie andern Völkern hin.“

Später wollte ein Kanzler „mehr Demokratie wagen“. Das befriedete ungebärdige 68ger. Es bewirkte einen Modernisierungsschub der politischen Kultur. Drei „Volksparteien“ teilten die Welt unter sich auf. Für Experimente gab es keine Basis.

Die Zeiten änderten sich. Wie, wann und warum muss ich nicht beschreiben. Es gehört zu Ihrer eigenen Biografie. Einige fühlen sich wie aus der alten Welt gefallen. Volksparteien sind in der Krise. Sie sind es schon lange. Sie haben es nicht gemerkt. Mitgliederschwund und Wahlergebnisse zerrütten ihre politische Identität. Davon nähren sich politische Ränder. „Meinungsblasen“ in sozialen Netzwerken fördern zugespitzte Positionen. Unbehagen, anonymen Mächten ausgeliefert zu sein, schürt Ängste und Vertrauensverlust.

Das Gefühl der Irrelevanz, also irrelevant zu sein, verbreitet sich. Das ständig zu hörende: „Auf uns hört ja keiner“ muss wohl mit: „Egal, was ich sage oder poste, es interessiert kein Schwein“ übersetzt werden. Bundestagsdebatten als Ausdruck der repräsentativen Demokratie finden kaum Beachtung.

Manche haben den „In – ear“ – Kopfhörer auf dröhnender Lautstärke. Wir suchen den Ort der politischen Willensbildung. Trotz regelmäßiger Sprech – Shows leidet der öffentliche Diskurs an Argumentationsarmut. Menschen, die Amt und Verantwortung übernehmen, werden mit Hassbotschaften überzogen.

Da ist es schwer, auf Dauer ein stolzes „Ich dien!“ auszusprechen. In sogenannten „gelenkten Demokratien“ zerfällt die politische Kultur. Auch aus dem Vereinigten Königreich oder den USA, – die als Muster und Vorbild galten -, hören wir Verstörendes.

Früher kehrte ich von einer Amerika – Reise mit einem Gefühl der Bewunderung zurück. Man staunte über den Pragmatismus und gesunden Patriotismus. Mit dem wurden Spannungen in der Bevölkerung überbrückt.

Kürzlich schmeckte einem alten Freund das Essen nicht. Farbe und Muster meiner Krawatte erinnerten ihn unerträglich an Symbole der politischen Gegner. Das hatte er früher in seinem Amtszimmer nie bemerkt. Ich habe sie abgenommen.

Die Demokratie kränkelt. Palliativ – Mediziner sind noch nicht gefragt. Aber wir brauchen eine geeignete Therapie. Wir hoffen auf Selbstheilungskräfte. Die trauen wir unserer Staatsform zu. Aber: wir müssen uns sagen können, was ist. Sprachregelung ist nicht nützlich. Unwort ist Unwort.

Wenn 78 Prozent der Deutschen den Allensbachern (FAZ) flüstern, sie könnten nicht sagen, was sie denken, und mehr als zwei Drittel das auch bei einer Infratest – Umfrage (MDR) verrieten, schrillt für Demokraten die Alarmsirene.

Es reicht nicht zu singen: „Die Gedanken sind frei!“. An verspürten Wortfesseln kann der gefühlte Wert von Freiheit schwinden. Die jüngste Shell – Jugendstudie spricht von 68 Prozent der 12 – 25 Jahre alten, die meinen, dass man nicht offen diskutieren könne.

Gibt es eine Akzeptanzkrise? Oder sind wir zu empfindlich – oder neigen wir zu frivoler Schwarzmaler? Kann ein mit so vielen Opfern herbeigelittenes System zerfallen? – Wir müssen mal darüber reden. – Dazu gibt es diese Akademie. Dazu sind wir hier. Wir sind dankbar für unsere wunderbaren, erfahrenen und meinungsstarken Gäste. Die werden dafür sorgen, dass wir diesen Raum klüger verlassen als wir ihn betreten haben.

Dafür vorauseilenden Dank!