Diskussionsveranstaltung „Arbeit, Freiheit, Abhängigkeit?“,06. November 2019

Begrüßung

Prof. Bodo Hombach

06. November 2019

Sehr verehrte Damen und Herren,
ich begrüße den Herrn Minister Laumann – seit Langem der erste handfeste Sozialdemokrat an der Hausspitze, hört man aus seinem Amt. Für die Opposition erlebbar schwer zu händeln. Ich begrüße ihn und unsere großartigen Gäste – auch in Ihrem Namen – bei uns sehr herzlich. Frau Michaela Kolster, die Programmgeschäftsführerin des Senders Phoenix – der aus meiner Sicht die Gebühren rechtfertigt – wird gekonnt moderieren und unsere Gäste protokollgerecht vorstellen. Ihr danke ich schon jetzt.


Verehrter Herr Prof. Dr. Conermann,
Sie und Ihr Team starten im Rahmen des Excellence Clusters BCDSS ein großartiges Projekt. Wir werden neugierig und unterstützend Ihr anregendes Wirken begleiten.


Verehrter Damen und Herren,
Sie kennen vielleicht die Geschichte von Heinrich Böll „Ein nervöser deutscher Urlauber“. Im Hafen an der italienischen Sonnenküste trifft er auf einen dösenden Fischer. Der war am Morgen hinausgefahren und hatte ein paar Fische gefangen. Nun ruhte er. Das leuchtet dem Urlauber nicht ein. Er könnte nochmals rausfahren, vielleicht sogar ein drittes Mal. So ließen sich Umsatz und Gewinn verdreifachen. Er hätte ein größeres Boot. Wenn er dann ein reicher Mann sei, könne er andere arbeiten lassen. „Wozu?“, fragt der Fischer. Der Deutsche ist überrascht. „Dann hätten Sie noch mehr Freizeit.“ Ach ja?“, staunt der Fischer, „die hab ich doch jetzt auch.“


Arbeit hat Geschichte. In der Altsteinzeit war es „Tätigkeit“ der Sammler und Jäger. Die lebten von der Hand in den Mund. Da war ein ständiger Kampf um ein kurzes Dasein. Man wanderte. Man suchte Nahrung. Man erfand und unterhielt das Feuer. Manchmal malte einer magische Bilder an Wände.


Sesshaftigkeit und frühe Hochkulturen änderten das. Arbeit wurde arbeitsteilig. Es gab Spezialisten, verteilte Rollen. Priester, Bauern, Handwerker, Sklaven. Die „upper class“ der attischen Demokratie war arbeitsscheu. Der „höhere“ Mensch war der „Homo ludens“. Er flanierte im Schatten der Akropolis. Er erörterte philosophische Grundbegriffe. Das Ergebnis: Eine Supernova der Kultur und der Wissenschaft. Es gab Gewinner und Verlierer.


Arbeitskraft war Energie. Das Römische Reich verendete an einer Energiekrise. Man fand nicht mehr genug Sklaven. Den Rest besorgte eine Bewegung: Germanische Völker migrierten in den wärmeren Süden. Das christliche Mittelalter war fleißig. Man produzierte mit Muskelkraft, Ochse und Pferd.


Die Kathedralen waren steingewordener Glaubenseifer und zünftiges Erfahrungswissen. Der Maschinenpark beschränkte sich auf Rad, Seil und Flaschenzug. Die Scholastik war mehr Poesie als Wissenschaft. Die Neuzeit entdeckte Wind und Wasser als Kraftquelle – auch das Kapital als Produktionsmittel von Einfluss und Reichtum.

Die Reformation erfand das Arbeitsethos. Fleiß galt als gottgefällig. Ein mehr und mehr parasitärer Adel und Klerus beherrschten die übrige Bevölkerung. Mit der Aufklärung kamen rationales Denken und Forschen auf. Kolonialismus. Merkantilismus. Imperialismus. Die industrielle Revolution entfesselte ungeheure Produktivkräfte.


Die nächsten Schritte waren Sprünge: Elektrotechnik, Elektronik, Halbleiter- und Übertragungstechnik, totale Vernetzung, unbegrenzte Speicher, „Null“ und „Eins“, als Vokabeln einer universalen Beschreibungssprache der berechenbaren Welt.


Jede Stufe veränderte auch die Arbeitswelt. Anpassung in Permanenz. Das Internet ist keine Revolution wie andere. Es ist eine Revolutionsmaschine. Die erzeugt nicht Gegenstände und Waren. Sie erzeugt Revolutionen. Ein Paradigmenwechsel von nie dagewesener Wucht. Wir vergleichen es mit der Zähmung des Feuers, der Erfindung der Schrift und des Buchdrucks.

Da täuschen wir uns. Alle früheren Revolutionen der menschlichen Zivilisation hatten Vorlauf. Der ließ uns Zeit, uns damit vertraut zu machen. Die digitale Revolution nimmt auf unsere Langsamkeit, Vergesslichkeit, Trägheit keine Rücksicht.

Sie überholt sich selbst. Im Wochentakt konfrontiert sie uns mit grundstürzenden Neuerungen. Wir nutzen Computer, um die Welt der Computer zu steuern. Wir wissen noch nicht, wohin die Reise führt. Wir ahnen die Veränderungen für die Zukunft der Arbeit.

Arbeit war immer ambivalent: Erfüllung, Teilhabe und Maloche. Fortschritt war vor allem: Schwere Arbeit erleichtern, gefährliche einhegen, natürliche Kraft verstärken Reichweite vergrößern. – Umsatz steigern. Erfindergeist und Arbeit dienten auch dazu, Arbeit zu vermeiden. Weil sie Kostenfaktor ist. Weil sie mit Menschen verbunden ist, die krank werden, fehlbar sind, Urlaub brauchen, streiken. Für die meisten ist Arbeit – Wandel hin oder her – existenzielle Notwendigkeit – ein zentraler Faktor ihrer Identität.

Keiner will hilf- und wehrloses Objekt sein. Es gilt, mitsteuerndes Subjekt der Entwicklung zu sein. Deshalb müssen wir befragen, was in Frage steht. Der Arbeitsbegriff definiert sich neu. Eine Schicht von Spezialisten sind Gewinner der Veränderung. Etliche in lohnabhängiger Arbeit fürchten, von willigen Robotern ersetzt zu werden. Auch Freiheit und Abhängigkeit im künftigen Berufsleben sortieren sich neu. Unser Bildungs- und Ausbildungssystem ist den neuen Herausforderungen noch nicht gewachsen. Wir suchen nach Kriterien, Maßstäben, Leitlinien und angepasster Rechtslage. Der nationale politische Sektor muss sich wenigstens europäisch koordinieren. Der ganze Globus hat sich in ein hochkomplexes Nervensystem verwandelt.

Das demokratische System muss neue Spannkraft aufbauen. Der Ausgleich der Interessen wird nicht leicht. Marktwirtschaft verliert Akzeptanz, wenn sie das Soziale verliert. Figuren ähnlich spätantiken „Soldatenkaisern“ lauern in der Kulisse. Sie hoffen, über verwirrte und frustrierte Massen Macht erhaschen zu können. Das könnten die schaffen, wenn die neue Arbeitswelt keine auskömmlichen Optionen für alle bereithält.

Künstliche Intelligenz ist – verglichen mit menschlichen Fähigkeiten – noch künstliche Einfalt. Aber die Entwicklung ist rasant. Technische Neuerungen ähneln einer Naturgewalt. Sie platzen mit fröhlicher Frechheit in den Porzellanladen. Nun heißt es: Aufräumen.

Auf keinen Fall will ich Sie unterzuckern. Gleich ist: Podium frei für ein spannendes und weiträumiges Gespräch! Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind. Die Herrschaften, die nun nach vorne kommen, sind Garantie dafür.

Deshalb vorauseilenden Dank!