Unverzichtbare Vierte Gewalt oder Lügenpresse? Medien in der Diskussion,30. Oktober 2019

Gastreferenten: Dr. Thomas Brey
Hon. Prof. Dr. phil. Klaus Kocks

Einführung

Prof. Bodo Hombach

30. Oktober 2019

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie zu unserem kleinen Seminar über ein großes Thema. Wir wollen es in vier Schritten erschließen:

  • Voraussetzungen und Entwicklung der Presse im modernen Verfassungsstaat.
  • Phänomenologie von Öffentlichkeit und Presse.
  • Aktuelle Entwicklungen, Spannungen, Probleme.
  • Orientierungen und Ausblick.

Unser Gast ist Professor Klaus Kocks. Er studierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Germanistik und Philosophie an der Ruhr – Universität Bochum, wechselte zur Öffentlichkeitsarbeit in die Ruhrkohle AG und arbeitete seither für verschiedene Unternehmen im Geschäftsbereich Kommunikation. Er ist Honorarprofessor für Kommunikationsmanagement an der Fachhochschule Osnabrück. Man kennt ihn von Fernsehauftritten und pointierten Kommentaren zu kontroversen Themen.

Ich begrüße auch Dr. Thomas Brey. Er leitete lange Zeit das Regionalbüro der Deutschen Presse – Agentur für Südosteuropa in Belgrad. Er ist ein exzellenter Kenner der Region und der medialen Wirklichkeit. An den Universitäten Regensburg und Duisburg hat er im Bereich der Politikwissenschaft Lehraufträge. Im letzten Semester hatte er daneben einen Lehrauftrag als Professur – Vertretung an der Fachhochschule Wilhelmshaven im Fach Journalistik.

Schön, dass Sie gekommen sind!

Die Medien sind in der Diskussion. Sind sie – neben Legislative, Judikative und Exekutive – die „Vierte Gewalt“ im Staat, ohne die das demokratische System nicht funktionieren kann? Oder sind sie zunehmend „Lügenpresse“, die man durch Sprechchöre zum Schweigen bringen möchte?

Der intentionale Journalismus – der Haltung zeigen und verbreiten möchte – nimmt nach Wahrnehmung vieler in unserem Land zu.

In zahlreichen Ländern der Erde lebt man als kritischer Journalist gefährlich. Täglich erfahren wir von Unterdrückung und Verfolgung. Repressives Vorgehen in Russland, in der Türkei, auf dem Balkan oder anderswo. Journalisten gelten als Feinde. Man erklärt sie zu Terroristen. Sie werden geheimdienstlich behandelt. Man steckt sie ins Gefängnis oder schafft sie durch Auftragsmord aus der Welt. – Wo immer sich ein autokratisches System etabliert, gehört es zu seinen ersten Maßnahmen, die Presse gleichzuschalten.

Als sich die Nationalsozialisten mit dem Volksempfänger in allen deutschen Haushalten platzierten, lieferte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die Gebrauchsanweisung gleich mit:

„Wir machen gar keinen Hehl daraus. Der Rundfunk gehört uns. Und niemandem sonst. Und den Rundfunk werden wir in den Dienst unserer Idee stellen. Und keine andere Idee soll hier zu Worte kommen.“ (18.08.1933)

Klare Ansage. Klare Verhältnisse. Man ließ die Medien gelten. Man brauchte sie sogar, aber nur noch als Propagandawerkzeug und Sprachrohr des Diktators. Es folgten zwölf Jahre Lüge, Hass, Marschtritt und hohles Pathos.

Wir wissen, wie es ausging, und man war gewillt, daraus zu lernen. Die Bundesrepublik bekam ein Grundgesetz, das die Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten garantierte. An prominenter Stelle Artikel 5:

„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ (Satz 1) „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“

Zwei Sätze, aber sie haben es in sich. Sie mögen uns heute selbstverständlich erscheinen, sind aber das Ergebnis langer und opferreicher Kämpfe.

Mit Erfindung der Druckerpresse erweiterte sich die Öffentlichkeit in Europa. Flugblatt, Zeitung und Buch wurden zur wichtigsten Methode, die Welt zu erfassen. Zur Primärerfahrung der persönlichen Wahrnehmung gesellte sich die Sekundärerfahrung durch Bericht und Kommen-tar. Journalisten blickten hinter die Kulissen und unter die Teppiche. Die Obrigkeit schäumte und zeigte Zähne. Aber die bürgerlichen Revolutionen erkämpften das demokratische System, in dem Jeder sich und andere frei informieren durfte.

Soziale, ethische, politische Kontroversen kamen zu Sprache und Bild. Das ermöglichte Teilhabe und Mitwirkung – nicht erst in der Wahlkabine. Eine unabhängige Presse war keine Veranstaltung für die demokratische Gesellschaft. Sie war und ist eine Veranstaltung der demokratischen Gesellschaft. Diese sichert sich damit nichts Geringeres als ihren Fortbestand. – Das klingt schön und gut wie ein Albumspruch. Es ist jedoch nicht selbstverständlich.

Auch die Bundesrepublik musste das erst üben. Mehrfach versuchte die Regierung in den fünfziger Jahren, die Presse an die Leine zu legen. 1962 ließ Verteidigungsminister Franz Josef Strauß unter dem Vorwurf des Geheimnisverrats Redakteure des Nachrichtenmagazins Der Spiegel verhaften. Breiter Widerstand in der Bevölkerung beendete die Aktion. Das inkriminierte Magazin ging gestärkt aus dem Konflikt hervor. Die Spiegel – Affäre gilt bis heute als Meilenstein auf dem Weg zu unabhängigen und selbstbewussten Medien.

1961 scheiterte Bundeskanzler Adenauer mit dem Versuch, ein staatsgelenktes Fernsehen zu etablieren. In mehreren Urteilen sicherte das Bundesverfassungsgericht den Bestand des öffentlich – rechtlichen Rundfunks, auch gegenüber kommerziellen Verdrängungsabsichten.
Einige Jahre später gerieten die Studentenbewegung und der Axel Springer Verlag aneinander. Gegenseitig erklärte man sich zum Lieblingsfeind. Die Blätter schossen aus allen Rohren gegen den „Mob“ der Straße. Die Studenten versuchten durch Blockade, die Auslieferung der Zeitungen zu verhindern.

Medien sind in der Lage, gesellschaftliche Debatten anzustoßen oder voranzutreiben. Der Stern stellte mit dem Titel „Wir haben abgetrieben“ das Abtreibungsverbot vehement infrage. Es wurde die Geburtsstunde der bundesdeutschen Frauenbewegung. Ohne die Medien wäre auch die gegenwärtige Klimadebatte nur eine Randerscheinung unter „Naturaposteln“ und Wissenschaftlern.

Investigativ arbeitende Journalisten prangern immer wieder Regelverstöße und persönliche Verfehlungen politischer Akteure an. Dabei stellen sich vermeintlich spektakuläre Enthüllungen gelegentlich auch als Fehlinformationen heraus. In jüngerer Zeit haben „Skandalisierung“ und „Boulevardisierung“ zugenommen. Die Verquickung von Politik und Privatleben prominenter Politiker steigert den Unterhaltungswert der Presse, kann im Übereifer aber auch zur Vernichtungskampagne ausarten.

Konfrontation oder Umarmung? In Berlin existieren zahlreiche interne Gesprächskreise mit Politikern und Medienvertretern. Politiker versuchen, die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Manche beschweren sich bei Redaktionen über unliebsame Artikel oder versuchen, solche im Vorhinein zu unterdrücken. Auch über den Hebel „Personalpolitik“ ist Einflussnahme möglich.

Das Internet hat die Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft stark verändert. Nutzer können jederzeit und ohne Filterung durch professionelle Presse oder Rundfunk Informationen erhalten und verbreiten. Die politische Diskussion wird dadurch lebendiger. Sie entzieht sich aber auch der freiwilligen Selbstkontrolle und kann – demagogisch gesteuert – gefährlich verarmen.

Gezielte Irreführung ist in der Lage, das politische System als solches zu attackieren. Große Gruppen der Bevölkerung, die sich als Verlierer fühlen oder im gesteigerten Tempo technischer und sozialer Umbrüche aus der Spur geraten, entziehen den sogenannten „Eliten“ ihr Vertrauen. Sie verdächtigen die Presse der Kumpanei und skandieren das Wort von der „Lügenpresse“. Extremistische Bewegungen greifen Ängste auf und schüren sie. Sie präsentieren sich als die einzige Lösung aller Probleme. Wenn ihnen die Wahrheit hinderlich ist, machen sie sich mit Fake – News eine eigene.

Die Internet – Konkurrenz schmälert die Reichweite der klassischen Nachrichtenübermittlung und setzt Rundfunkanstalten und Zeitschriftenverlage auch wirtschaftlich unter Druck. Um zu überleben, bauen die Verlage ihr Online – Angebot aus und entwickeln alternative Geschäftsmodelle.

Die neuen technischen Möglichkeiten erleichtern auch Geheimdiensten die flächendeckende Überwachung. Es ist schwer geworden, Informanten zu schützen und der Rolle als „vierte Gewalt“ gerecht zu werden.

Ich halte inne. Wir ahnen die Relevanz, aber auch die Komplexität des Themas. Da lohnen sich Ko – Referenten mit eigenen, täglichen und praktischen Erfahrungen.

Herr Professor Kocks und Herr Dr. Brey, Sie haben das Wort!