„Mehr als ‚Alexa‘: Künstliche Intelligenz im Dienst von Justiz und Strafverfolgung“ Museum Folkwang, 1. Oktober 2019

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

1. Oktober 2019

Verehrter Herr Minister Dr. Biesenbach,
verehrte Frau Hustedt,
verehrter Herr Langkabel!

Herrn Tyrock danke ich für die Moderation und für die protokollgerechte Vorstellung unserer wunderbaren Gäste.

Sehr verehrte Damen und Herren,

ein Richter, der stark schielte, hatte drei Zeugen einzuvernehmen. „Haben Sie die Tat gesehen?“, fragte er den Ersten. – „Nein!“, antwortete der Zweite.“ Der Richter ungehalten: „Ich habe Sie nicht gefragt!“ – Darauf der Dritte: „Ich hab doch auch gar nichts gesagt.“

Der Witz ist – zugegeben – unter Ihrem Niveau. Er fiel mir ein, als ich mich fragte, ob „Errare humanum est“ „Irren ist menschlich“ durch Chipeinsatz aufgehoben werden wird.

Seit es uns gibt, menschelt es. Können wir Irren so erfolgreich eliminieren, dass es nicht mehr menschelt? Die Instrumente der neuen Welt im Werden werden – wie ein Küchenmesser – nützlich oder mörderisch sein.

Bei der Volkszählung 1983 empörten sich die Leute gegen Datensammelei. Massenhaft Aufrufe zu Boykott oder Sabotage. Heute liefert man bedenkenlos Daten ab. Es wird erfolgreich gelockt mit modernen Fliegenfängern à la Smartphone, Alexa und Konsorten. Im Hintergrund schnüren daraus die vier Supermächte Amazon, Facebook, Microsoft und Apple unser Profil. Das verhökern sie an jeden. In seinen kühnsten Träumen hätte Erich Mielke das nicht zu wünschen gewagt.

Solchermaßen ausgestattet betreten wir das Jahrtausend totaler Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Es fehlt uns halt an natürlicher, meint der Sarkast. In diesem Ton werde ich nicht fortfahren. Manche Rede ist verpasste Chance, den Mund zu halten. Besonders angesichts unserer kompetenten Gäste.

Deshalb einige Zwischenrufe zum digitalen Tsunami. Der alten analogen Welt wird sich eine neue digitale zugesellen. Die werden sich durchdringen. Mit den zwei Vokabeln, „Null“ und „Eins“ können wir die Reichweite unserer Sinne, unserer Kraft, unseres Denkens ad infinitum vergrößern. Sicher im Bereich von Produktion und Logistik, mehr und mehr in Medizin, Verkehr, Bildung. Und, wie wir hören, auch in der Justiz. Also her mit einer Möglichkeit, die Irrtümer seltener macht und ihre Folgen erträglicher.

Ab einem Punkt werden wir uns im Algorithmus nicht wiedererkennen. Man erkennt Grenzen meist erst, wenn man sie überschreitet.

Nachvollziehbar, dass KI der Justiz und den Strafverfolgungsbehörden im Kampf gegen Kriminalität nützlich sein kann. Der Oberstaatsanwalt von Dortmund soll jährlich 60.000 Fälle auf dem Schreibtisch haben. Tendenz steigend. Wer will es dem verdenken, sich einen Helfer zu wünschen. Einer der geduldig vorsortiert, sämtliche Paragraphen und Präzedenzfälle abrufbereit im Kopf hat.

KI würde sicher das Berufsrisiko der Gauner erhöhen, vom schmuddeligen Trickbetrüger bis hinauf zur Chefetage. Der intelligente „Gerichtsdiener“ wäre nicht nur Archivar und Ratgeber. Der könnte im Sekundentakt die Rechtslage scannen. Der würde sogar aus Irrtümern lernen, ohne sein Gesicht wahren zu müssen. Wenn dann doch mal die analoge Welt der Irrungen und Wirrungen durchbricht, kann man hoffentlich auf Handsteuerung umschalten.

Natürlich berührt der Einsatz künstlicher Intelligenz ethische Fragen. Dürfen wir alles, was wir können, weil wir es können?

Wer Segnungen des technischen Fortschritts leugnet, ist geschichtsblind. Technik ist gut, wenn wir sie beherrschen. Das muss politisch erkämpft werden. Technik-Folgen müssen seriös kalkulierbar sein. Irrungen müssen reversibel sein.

Ein neues Gebot lautet: „Macht euch die Technik Untertan!“ Denen, die uns durch Technik zu Untertanen machen wollen, gilt es zu widerstehen. Dafür erhalten wir heute geistige Munition. Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit. Es gibt aber Freiheitsrechte, die wir nicht aufgeben können, wenn wir ruhig schlafen wollen.
Spontan möchte man meinen: Im Bereich der Leidenschaften, der menschlichen Abgründe, der Streitigkeiten hätte digitale Automatik nichts zu suchen. Das Recht ist kein exakt definierter Zustand. Es hat gleitende – menschliche – Übergänge.

Fortschritte der Rechtsgeschichte entstehen aus Dilemmata. Da scheiterten überkommende Paragraphen und Verfahren. Dann brauchte es Mut, Genialität und Kreativität.

Im Namen des Volkes ist vieles abzuwägen. Für Rechtsempfinden und Humanität bleibt zwischen Null und Eins wenig Raum. Technische Systeme werden exponentiell komplexer. In fragilen Strukturen benötigen Störungen wenig Aufwand bei immensen Folgen.

Eines ist klar: Wir brauchen einen öffentlichen und transparenten Diskurs. Dank denen, die ihn frühzeitig anstoßen. Er muss breite Schichten einbeziehen, denn Recht wird in Ihrem Namen gesprochen. Jedermann ist Experte.

In Amerika galt eine Hängebrücke als Vorzeigeobjekt für nützliche und schöne Architektur. Man war stolz auf die Erfindungskraft. Die Brücke gibt es nicht mehr. Vibrationen haben sich zu heftigen Schwankungen aufgeschaukelt. Stahl und Beton gerieten in einen Todeskampf. Die Trümmer stürzten haltlos in die Tiefe. Ein Konstruktionsfehler erzeugte irgendwann eine winzige Irritation, eine Spannung, die zunächst niemand bemerkte. Unsichtbare Kräfte verstärkten sich gegenseitig. Zuletzt waren ihnen keine Statik und kein Material gewachsen.

Es gibt auch in Gesellschaften, in Verfassungen, im Rechtswesen strukturelle Fehlschaltungen, die lange unauffällig bleiben, bis sie eines Tages ihre destabilisierende Kraft entfalten.
Liebe Gäste, ich habe mich in Spannung geredet. Unsere Akademie begleitet Entwicklungen und Ereignisse. Am liebsten, wenn sich neue Perspektiven eröffnen. Besonders, wenn sich daraus praktische Politik ergibt.

Sicher fällt uns heute manche Schuppe von den Augen. Wir werden diesen Saal klüger zu verlassen, als wir ihn betreten haben. Unsere großartigen Gäste sind dafür Garantie. Dafür vorauseilenden Dank!