„Die neuen Medienmacher? – Institutionelle Akteure als Konkurrenz für den (Lokal-) Journalisten“ Essen, 1. Juli 2019

Einführung „Jetzt erst recht!“ durch Prof. Bodo Hombach

1. Juli 2019

Sehr verehrte Damen und Herren,

hier ist mehr Kompetenz vertreten, als sich ein Begrüßungsredner wünschen kann. Bescheidenheit ist das mindeste, was ich Ihnen schulde.

Ich will nicht breittreten, was Sie tagtäglich erleben. Was Sie verifizieren oder erforschen kenne ich nur vom Hörensagen oder ahne es. Natürlich bin ich Medienkonsument.

Unsere Gesellschaft ist nervös. Sie verhandelt gegenwärtig zahlreiche und grundstürzende Themen. Dazu gehört der dramatische Transformationsprozess der Medienbranche. Damit auch die Zukunft des Lokaljournalismus.

Alle schwärmen vom hohen Wert der Zeitungsvielfalt. Die Sonntagsreden sind voll donnernder Bekenntnisse. Das ist meist mehr Appell als Interpretation. Es ist mehr „Pfeifen im Wald“ als Frohbotschaft. Förster nennen das „Angsttriebe“ sterbender Bäume.

Wer will sich schon die gute Laune verderben.

Immer mehr Zeitungsausgaben, die sich auf dem Markt nicht mehr behaupten, werden eingestellt. Ein-Zeitungskreise wachsen. Pseudo-soziale Netzwerke bedienen ihre Nutzer „en passant“ mit dünnflüssigen Nachrichten und wackeligen Videos. Die sind selten verantwortlich recherchiert, meist unkritisch herbeigeklickt. Der digitale Krake saugt nicht nur Daten der „User“, sondern auch Werbe-Etats. Die Zeitungskrise ist vor allem eine Werbekrise.

Besonders erschreckend: Zu viele Journalisten schauen düster in die Zukunft ihres wunderbaren Berufs. Ganze Imperien – ich denke an den Kölner Stadt-Anzeiger – stehen zum Verkauf und werden gar Ladenhüter.

Zeitung war immer Ware, aber nicht nur. Sie ist ein Lebensmittel der offenen Gesellschaft. Gesundschrumpfen bis zum Exitus ist nicht Triumph des Marktes, sondern totales Marktversagen. Monopole sind des einen Traum, des anderen Albtraum.

Es gibt kein Wundermittel. Strukturelle Überlegungen sind wichtig, aber nicht alleinseligmachend.

Stiftungen nach amerikanischem Vorbild lesen sich schön. Sie wirken. Bei uns gibt es kleine Ansätze. Aber das deutsche Stiftungswesen ist unterentwickelt. Ich sehe nirgendwo ein Gedränge möglicher Förderer.

Ein bemerkenswerter Fortschritt ist die Initiative der Landesregierung, Journalismusförderung als gemeinnützig anzuerkennen.

Genossenschaftliche Modelle kommen höchstens für einzelne Nischenprodukte in Frage. Als Ersatz für heutige Lokalausgaben dienen sie sicher nicht.

Interne Querfinanzierungen defizitärer Ausgaben oder Deregulierung sind nicht nachhaltig.

Ich hätte nichts gegen die Öffentliche Hand. Die gehört keinem König, der gnädig in die Privatschatulle greift. Der Staat verwaltet unser aller Geld.

Ein neutrales Gremium mit breit gestreuter Legitimation könnte Bedürftigkeit und Förderhöhen definieren. Das müsste die Staatsferne sichern. Gesellschaftlich relevant und damit förderwürdig ist sicher nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk.

Wie auch immer. Die Zukunft einer Pflanze liegt nicht in der Gießkanne des Gärtners, sondern in den eigenen Wurzeln.

Lokalredakteure sind Lokalpatrioten. Sie sind realitätssüchtige Beobachter der Region. Sie fragen. Sie fragen nach. Sie begleiten politische Projekte und bürgerschaftliche Initiativen. Sie geben den Schwachen eine Stimme und schielen unter die Teppiche der Mächtigen. Sie spiegeln das Für und Wider, erzählen Geschichten und scheuen sich nicht, kritisch zu reflektieren. Immer im Nahkontakt mit den Leuten und Entscheidern. Immer mit hohem Nutzwert für den Alltag. Immer aktuell, aber auch verlässlich. Immer mit der Frage: Was können wir bieten, was andere nicht haben. Der Leser – auch der digitale – ist das ewig unbekannte Wesen.

Man kann ihn oder sie nicht monochrom einsortieren. Er ist ein komplexer, multifokaler Zeitgenosse. Meistens liebenswert, manchmal vergesslich. Immer ist er gefühlig, gelegentlich irrational. Er ist vielfach herumgeschubst von Interessenvertretern aller Art. Er braucht Begleitschutz. Er braucht einen Partner, der ihn mag und auf ihn neugierig ist. – Nur dann wächst eine Basis des Vertrauens.

Wo echte Lokaljournalisten leben und arbeiten, darf niemand mehr sagen (was man immer häufiger hört): „Auf uns hört ja keiner.“

Die technische Entwicklung ist eine Naturgewalt. Kulturkritische Lamentos lassen sie unbeeindruckt. Die aktuelle Herausforderung heißt: Wie kann Lokaljournalismus unter den Bedingungen der digitalen Revolution existieren und gedeihen?

Entscheidend ist und bleibt die Unabhängigkeit. Lokaljournalismus unterscheidet sich wesentlich von den Verlautbarungen einer Partei, einer Behörde, eines Unternehmens. Es gilt das Motto Kurt Tucholskys: „Ich glaube jedem, der die Wahrheit sucht. Ich glaube keinem, der sie gefunden hat.“

Ich danke fürs Zuhören und wünsche diesem Kreis gute Erkenntnisse und Erfolg.