„Russlands neues Selbstbewusstsein – Zum Umgang mit einem schwierigen Partner“ – BAPP, 16. Oktober 2018

„Russlands neues Selbstbewusstsein – Zum Umgang mit einem schwierigen Partner“

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

16. November 2018

Sehr verehrte Damen und Herren,

ein schwieriges Thema verlangt kluge Köpfe. Unsere wunderbaren Gäste (Frau Gloger und die Herren Gabriel, Pofalla, Elbe und Prof. Rahr) begründen Gewissheit: Wir werden klüger gehen als wir gekommen sind. Dafür vorauseilender Dank.

Wie die meisten kann ich nur hoffen, von Medien ein realistisches Bild unserer Zeit und ihrer prägenden Persönlichkeiten vermittelt zu bekommen. Da durchlebe ich durchaus anschwellende Verunsicherung. Wir haben Gäste, die nicht auf Sekundärerfahrung angewiesen sind.
Auch unsere heutige Moderatorin (die leitende WDR-Journalistin) Anja Bröker hat Primärerfahrung. Sie war fünf Jahre im ARD-Studio Moskau. Sie wird unsere großartigen Gäste – die ich auch in Ihrem Namen herzlich begrüße – protokollgerecht vorstellen.

Der russische Botschafter hatte Gründe abzusagen. Ich danke Herrn Prof. Rahr und Herrn Elbe, daraufhin unsere Einladung angenommen zu haben. Sie werden den Herrn Botschafter nicht vertreten – aber verstehen.

Ein ausdrucksstarkes Bild: 70 Staatschefs – friedlich versammelt im Stern von Paris. Die Schlachten Napoleons – im Triumphbogen gelistet – für immer vom Verkehr eingekreist. Hier brennt auch die Flamme für den unbekannten Soldaten. Die erinnert an Katastrophen der europäischen Geschichte. Erinnerung muss sein. Jeder Neugeborene ist historischpolitisch ahnungslos wie ein neugeborener Neandertaler. Hier wird niemand mit Steinen werfen. Wir sitzen im Glashaus. In einer Welt, wo es jeder mit allen zu tun hat, kann man nur gewinnen, wenn keiner verliert.

Für einen Westeuropäer gibt es neue Freiheiten. Wer dem seltsamen Mann im Weißen Haus widerspricht, muss sich nicht unvernünftig vorkommen. Die Beliebtheit Präsident Macrons stieg steil an, als er getwitterten Beleidigungen deutlich widersprach. Ich sehe eine belebende Dialektik. „ Der liebe Gott schreibt gerade, auch auf krummen Zeilen“, sagt der Volksmund. Als man den amerikanischen Historiker Craig nach der Quintessenz seines Forscherlebens fragte, sagte er: „Im Dunkeln leuchten die Sterne.“

Grundsätze der Aufklärung und Lehren der Geschichte werden wieder einmal in Frage gestellt. Umso deutlicher strahlen sie hervor. Die Lüge kann sich eben nicht gleichberechtigt neben die Wahrheit stellen. Auch der Lügner will nämlich nicht belogen werden. Es brettern allerlei Täternaturen durch Porzellanläden. Mühsam ausgehandelte Verträge werden zerrissen.

Politikern scheint innenpolitisches Kalkül wichtiger zu sein als internationale Verantwortung. Diplomatie benötigt neues Ansehen. Sie ist die Verwandlung von Gegnerschaft in Prozesse. Sie erforscht die Interessen des Gegenübers und sucht Gemeinsamkeiten. Immer hat sie das Ziel, den Frieden und das allgemeine Wohl zu fördern. Gewiss verfolgt sie auch die Interessen des eigenen Landes. Sie tut es im Bewusstsein, dass man dafür den anderen braucht. Diplomatie glaubt an den Sinn eines Ausgleichs.

Wer das Neue nicht will, findet Gründe. Wer Neues wagt, findet Wege. Das gelingt meist nur in kleinen Schritten. Wege entstehen erst, wenn man sie begeht. Macron will was wagen. Dabei hat er mehr Zuschauer als Gefolgschaft. Dem Westen erscheinen viele Aktionen des Kremls als sprunghaft. Der Viel-Völker-Staat hat nach 27 Millionen Tote im 2. Weltkrieg lernen müssen, ein Näherrücken des Westens als Epidemie zu deuten.

Nach 1989 gab es eine wunderbare Phase der Öffnung. Beide Seiten bemühten sich um Vertiefung der Beziehungen. Konvergenz, Integration und strategische Allianz sollten den fragilen Wandel stützen. Was im Westen als ‚gemeinsamer Aufbruch zu neuen Ufern‘ galt, erschien aus Moskauer Sicht als permanenter Rückzug. In den 1990er Jahren als Balancieren am Abgrund. So entwickelte sich das Verhältnis eher durch Missverständnisse als durch Annäherung.

Frühere Satelliten hatten nichts Eiligeres zu tun, als unter das Dach von EU und NATO zu schlüpfen. Anstatt die Wende als Leistung anzuerkennen, wurde das große und stolze Land herumgeschubst und gedemütigt. Hardliner im Westen hielten sich für Sieger. Sie testeten, wie weit man zu weit gehen könnte.

Nun hat sich Russland zurückgemeldet. Mit neuem Selbstbewusstsein oder alter Schwäche? Darüber werden gleich Kompetente reden.

Der große Mitarchitekt der Ostverträge Hans-Dietrich Genscher beschrieb diplomatische Grundrechenarten. Gegenwärtig scheinen die in Vergessenheit zu geraten. Zum Beispiel: Einen schwachen Gegner führt man nicht in seiner Schwäche vor. Man verschafft ihm Erfolge durch eigene Zurückhaltung.

Wir kennen die bedrückende Agenda: In Europa verlangsamt sich der Einigungsprozess. Es gibt Tendenzen, ihn aufzuhalten oder zurückzudrehen. Die Währungsunion wird zum Spaltpilz statt – wie erhofft – zum Motor der Einigung. Der Nahe und Mittlere Osten zerfällt in Anarchie. Im Mittelmeer spielen sich Tragödien ab. Der Eiserne Vorhang wurde nur scheinbar verschrottet. Konfrontative Kräfte haben ihn nach Osten verschoben. Russland setzt wieder auf militärische Lösungen. Das Dogma von Unverrückbarkeit der Grenzen scheint zur Unverrückbarkeit der Einflusszonen umgedeutet. Russland ist nicht nur atomare Supermacht. Es ist ein lebendiger Teil der Weltgesellschaft, auf dessen konstruktive Ideen und Kräfte niemand verzichten darf.

Das Irrlicht aus Washington hat auch in Sachen Russland eine sehr spezielle Agenda. Mit monströser Ungewöhnlichkeit meint es zu überwältigen. Journalisten verdanken dem Phänomen explodierende Klickzahlen. Aufmerksamkeit ist auch Währung.

Viele wollen sich nach anfänglich ungläubigem Staunen nicht von fideler Resignation hinreißen lassen. Ein bezeichnendes Symptom: Selbst wenn man sich über das Verhältnis zu Russland Gedanken macht, drängt sich Herr Trump massiv ins Bild. Er schaukelt die sicher geglaubte atlantische Brücke auf. Dass Michel nicht einfach selbstzufrieden vor sich hin dösen kann, lehrt er uns. Ich danke dafür.

Wir würden gern vom staunenden Objekt zum gestaltenden Akteur werden. Wir freuen uns sehr auf hilfreiche Wegweisung.
Verehrte Gäste….Ihre Bühne!