„Der unruhige Balkan. Die EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa – Vollendung Europas oder Sprengsatz für die Union?“ mit Dr. Thomas Brey – Uni Bonn, 30. Mai 2018
„Der unruhige Balkan. Die EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa – Vollendung Europas oder Sprengsatz für die Union?“
Einführung von Prof. Bodo Hombach
Gast: Dr. Thomas Brey, dpa
30. Mai 2018
Meine Damen und Herren,
ich begrüße Sie und unseren großartigen heutigen Gast Dr. Thomas Brey. Er leitet schon längere Zeit das Regionalbüro der Deutschen Presse-Agentur für Südosteuropa in Belgrad. Ich kann Ihnen keinen besseren journalistischen Kenner der Region bieten als Herrn Dr. Brey. Er beobachtet genau und unvoreingenommen. Er ist kenntnisreich, hintergründig und richtet seinen Blick nicht nur nach Südosteuropa, sondern über den Tellerrand weit hinaus. So hat er mich gebeten, den Titel für die heutige Veranstaltung leicht zu verändern. Er wünscht sich die Überschrift: „Die EU-Beitrittskandidaten in Südosteuropa – Vollendung Europas oder Sprengsatz für die Union?“
Wenn Sie das vergleichen mit meinem Vorschlag: „Chancen im Spannungsfeld der Geopolitik“, dann merken Sie in dieser Nuancierung schon, welch skeptisch-analytischen Blick er auf die gegenseitige Union hat. Ich werde mich in der folgenden Diskussion gewiss beteiligen, auch weil ich annehme, dass er meinen Blick auf das heutige Serbien in Aspekten für romantisch, vielleicht sogar naiv hält. Herr Dr. Brey ist nicht nur in meiner hiesigen Tätigkeit mehr als Informant. Ich durfte ihn auch als Ratgeber ansprechen. Er wird uns heute interessante und analytische Einblicke geben.
Herzlich willkommen!
Wie immer möchte ich das Ko-Referat und unser Gespräch nicht durch lange Ausführungen beschädigen. Es genügt, ein paar Marken zu setzen, die uns eine Orientierung erleichtern. Keine leichte, aber gerade deshalb eine besonders nötige Aufgabe in einem Feld, das dem Westeuropäer als besonders unübersichtlich erscheint. – Vielleicht hat er seine eigene Spannungs- und Konfliktgeschichte nur vergessen. Und wenn er nicht aufpasst, kocht sie schnell wieder hoch, trotz EU und aller Sonntagsreden.
Gerade war EU-Gipfel in Sofia. Sechs Balkanstaaten klopfen seit Langem an die Tür. (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien.) Aber drinnen ist ein „schalltoter Raum“. Nach Brexit, Schulden- und Flüchtlingskrise mit konsequenter Entsolidarisierung einzelner Mitglieder ist die Erweiterungsbereitschaft alles andere als libidinös. Wer auf weichem Boden steht, kann nicht springen. Zwar verzeichnen die Staaten der bisherigen Ost-Erweiterung wirtschaftliche Erfolge, zugleich ist aber eine Entfremdung in Wertefragen wie Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unübersehbar. Auch das Thema „grassierende Korruption“ liegt noch lange nicht bei den Akten. – Wer unter der Bedingung echter Reformen die Eintrittskarte bekam, fällt anschließend in die alten Gewohnheiten zurück. – Ich frage mich, ob und wie man die erzieherisch wertvolle Konditionalität der Kandidatur nach dem „Examen“ aufrechterhalten kann.
Bei unseren bisherigen Treffen haben wir versucht, die geografischen und historischen Voraussetzungen Südosteuropas zu erkunden. Wir sprachen von einer zerklüfteten Region mit schroffen Gegensätzen. Seit den Zeiten der Römer war sie Durch- und Aufmarschgebiet fremder Mächte. Die ethnische Gliederung hatte lange Zeiten friedlicher Nachbarschaft, konnte aber auch durch Grenzverschiebungen rasch zu Konflikten führen. Fremdgesteuert wurden diese selten beruhigt, stattdessen eher verschärft und für machtpolitische und strategische Zwecke ausgebeutet.
Nach dem Zerfall Jugoslawiens hatte und hat Serbien eine Schlüsselrolle für die Region. Ich erlaube mir, aus einem Beitrag zu zitieren, den ich am 21. März 2014 für das Handelsblatt geschrieben habe und der mir noch immer gültig erscheint. Am Tonfall werden Sie erkennen, dass auch ich lieber durch Hoffnung ermutigen als durch Befürchtungen lähmen wollte. Ich selbst machte beim Wiederlesen die Erfahrung, dass nicht jeder Politiker und Staatsmann die in ihn gesetzte Erwartung enttäuschen muss.
„In Europa flackern die Lichter. Alarmlampen überwiegen. Leuchttürme sind selten. Da wählen die Serben mit großer Mehrheit einen Mann, der konsequent die Korruption bekämpft, kriminellen Oligarchen die Stirn bietet und seinem Land den Weg nach Europa öffnet. – Ach, tut das wohl! – Inmitten apokalyptischer Nachrichten stellt sich Serbien dem Abwärtstrend entgegen. Ausgerechnet das unruhige Balkanland verhagelt den Melancholikern die routinierte Depression. Das Kind schien in den Brunnen gefallen, jetzt klettert es mutig und munter heraus. Wer es noch spannender will: Wahlsieger Aleksander Vucic war in jugendlichen „wild days“ nicht nur der übliche Euroskeptiker. Als Mediensprecher von Slobodan Milosevic vertrat er den schäumenden Europahasser eloquent. In den heißen Zeiten des Balkankonflikts drohte er jedem, der es wagen würde, serbisches Territorium und die Ehre seiner Bewohner zu schmälern. – Nun spricht alles dafür, dass aus dem Saulus ein Paulus wurde. Er wird sein Land aus der Isolation ins Offene und zum Erfolg führen – starker Tobak für alle, die ihn längst im Zoo ihrer Vorurteile das Schild umhängten „Bitte, nicht füttern!“
Am 15. diesen Monats war Präsident Vucic Gast bei Ministerpräsident Laschet. Nach den Gesprächen beim Mittagessen in der Staatskanzlei hatte ich ihn vor mehr als hundert Unternehmern im Wirtschaftsclub vorzustellen, meine Einschätzung zu Serbien abzugeben und ihn zu interviewen. Er hat sehr um Investitionen geworben und seine Haltung für Europa deutlich gemacht. Auf drängendes Befragen hat er den Anschein erweckt, auch beim Kosovo-Thema auf dem Weg zur Lösung zu sein. Jedenfalls beteuerte er die gute Gesprächsbasis mit dem albanischen Präsidenten Rama.
In Politik und Geschichte ist es eine nicht seltene Erfahrung: Nicht die Akteure bringen es weit, die schon immer brav dasselbe taten, sondern diejenigen, die auch die andere Seite kennen, vielleicht sogar aus eigenen Irrtümern und Fehlern. Das ist auch der Grund, weshalb ich so viel Hoffnung auf Herrn Vucic setze.
Klar, dass ihm eine demokratisch errungene komfortable Mehrheit die Sache enorm erleichtert. O-Ton Vucic: „Jetzt hängen wir nicht länger von Arithmetik und Verhandlungen ab, sondern von seriösen Plänen und Programmen – und wir werden alle guten Ideen aufgreifen, ganz gleich, ob sie von unserer oder einer anderen Partei kommen.“
Wenn er Wort hält, sind ihm auch diejenigen wichtig, die ihn nicht gewählt haben. Er will sie auf seinen Reformweg mitnehmen und auf ihre Talente nicht verzichten. „Versöhnen statt spalten“ muss die Parole sein. Nur dann kann auch in Südosteuropa eine wohnliche Zukunft entstehen.
Übrigens: Ich wüsste manch alteingesessenes Vereinsmitglied in good old Europe, das an diesem Lernziel ebenfalls noch arbeitet.
Verehrter Herr Dr. Brey, wie sehen Sie die Situation? Gibt es eine klare EU-Perspektive? Jean-Claude Juncker sprach von 2025. Ist das realistisch? Störfeuer kommt aus Moskau und Washington, wo man eigene geostrategische Ziele verfolgt. Kommt aber auch aus Serbien selbst, wo vor ein paar Tagen ein Kabinettsmitglied sinngemäß tönte, man wolle gar nicht mehr in die EU, wenn die Anerkennung des Kosovo Kondition sei.
Sie haben das Wort.