„Der unruhige Balkan. Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“ mit Prof. Dr. Marie-Janine Calic und Dr. Hans-Peter Siebenhaar – Uni Bonn, 25. April 2018
„Der unruhige Balkan. Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“
Einführung von Prof. Bodo Hombach
Gäste:
- Prof. Dr. Marie-Janine Calic, Professorin für Ost- und Südosteuropäische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Dr. Hans-Peter Siebenhaar, Korrespondent für Österreich und Südosteuropa beim Handelsblatt
25. April 2018
Meine Damen und Herren,
liebe Frau Professor Calic, lieber Herr Dr. Siebenhaar,
nach der Referatsleiterin des für Südosteuropa zuständigen Referats im Auswärtigen Amt, Frau Sabine Stöhr, habe ich die Freude, Ihnen heute erneut zwei außerordentlich kompetente und kundige Gäste vorzustellen.
Die Wissenschaftlerin Frau Professor Dr. Marie-Janine Calic lehrt Ost- und Süd-osteuropäische Geschichte an der Universität München. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Konflikt-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Region. Konkret geht es dabei um ethnische Minderheiten und die nationale Frage, Konfliktprävention, internationale Friedenssicherung und Vergangenheitspolitik. – Es geht also um alles.
Sie war uns in Brüssel eine besonders gefragte Beraterin und Mitarbeiterin im internationalen Diplomatenteam, als ich nach dem Balkankrieg Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa war. Heute ist sie auch Herausgeberin der Zeitschrift „Südosteuropa“ und befeuert mit ihren Kenntnissen und Erkenntnissen wichtige Gremien und Institute, die sich mit der Region befassen.
Außerdem begrüße ich Herrn Dr. Hans-Peter Siebenhaar. Er ist Politologe und langjähriger leitender Mitarbeit des Handelsblattes. Er hat sich wie kaum ein anderer in die Themen, die sich um Medien und Medienpolitik rankten, eingearbeitet. Er bleibt auch bei diesem Thema, obwohl sein Schreibtisch nun nach Wien geschoben wurde. Ich glaube, er empfindet die Tatsache, in dieser wunderbaren Stadt zu sein, als Gewinn, und seine intensive Beschäftigung mit Südosteuropa hindert ihn nicht daran, das Thema Medien und Medienpolitik weiterhin im Blick zu haben, den Lesern des Handelsblattes ein realistisches Bild von der Situation in Südosteuropa zu vermitteln und auch kluge Reisebücher zu schreiben.
Ich selber will mich in meiner heutigen Ausführung aufgrund eigener früherer Erfahrung seiner Spezialkenntnis auf das Thema Medienentwicklung in Südosteuropa verdichten. Frau Prof. Dr. Calic und Herr Dr. Siebenhaar werden ihren Blick aber weiter schweifen lassen, wie ich Sie kenne. Noch einmal herzlichen Dank und herzlichen willkommen.
Gerade gab es erstaunliche Unruhen in der Slowakei. In Bratislava und zahlreichen anderen Städten des Landes gingen Tausende auf die Straße und demonstrierten gegen die Regierung. Das EU-Land war in einer schweren innenpolitischen Krise. – Was war geschehen?
Der Investigativ-Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte untersuchten Kontakte von Regierungsmitarbeitern zur italienischen Mafia. Am 21. Februar wurden beide im Stil einer Hinrichtung erschossen. Ein schwerer Schock für den wachen Teil der Gesellschaft. In Sprechchören und auf Transparenten forderten die Demonstranten die Absetzung des Polizeichefs und eine lückenlose Aufklärung der Bluttat und ihrer Hintergründe.
Die Sache war durch das übliche Abbügeln nicht mehr zu beschwichtigen. In wenigen Tagen wuchs der Druck auf die Regierung. Im März trat sie zurück. Es folgten Neuwahlen und damit die Chance, das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen.
Diese hatte offenbar eines begriffen: Die meisten Konflikte sind Ansichtssachen. Die Fakten mögen so oder anders sein. Wie sie wahrgenommen und bewertet werden, hängt von der subjektiven Perspektive ab. Ein realistisches Bild braucht verlässliche Quellen, zum Beispiel unabhängige und verantwortliche Medien. Es ging also nicht um ein nebensächliches Ornament, sondern um ein Essential. Vermutlich hatten auch die Staatschefs der Nachbarländer einen unruhigen Schlaf.
In Sachen „Pressefreiheit“ gilt der Südosten Europas als defizitär, auch unter den Beitrittskandidaten der EU.
Human Rights Watch diagnostiziert in der gesamten Region ein für Journalisten feindseliges Klima. Es gebe Diskriminierung und Einschüchterung bis hin zu Todesdrohungen und realen Attentaten. Darunter leide die kritische Berichterstattung. Protest bleibe in der Regel ergebnislos. Weder die Regierungen, noch Brüssel hätten konkrete Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern.
Ich zitiere Lydia Gall, einer Kennerin der Szene: „In einer Zeit, in der unabhängiger Journalismus auf dem westlichen Balkan eigentlich dringend gebraucht würde, steht er mit dem Rücken zur Wand. Solange die EU den Regierungen nicht unmissverständlich klarmacht, dass freie und starke Medien die Voraussetzung für eine Perspektive in Europa sind, wird sich daran nichts ändern.“
Mit dem Zustand der Presse ist das Problem „Korruption“ verbunden. Man versucht, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Amtsinhaber missbrauchen ihren Einfluss, indem sie sich unmittelbar beteiligen oder die Täter decken. Wo weder Recht und Gesetz, noch eine ethisch orientierte Verantwortung ausreichen, kann nur die Macht der Enthüllung helfen. Die Angst, es könnte etwas herauskommen, ist ein starker Impuls. Dazu braucht es jedoch unabhängige Medien, professionelle Journalisten und den Rückhalt freier Sender und Verlage.
Das wissen auch die Übeltäter an den Schaltstellen der Macht. Sie versuchen, die Medien in ihre Hand zu bekommen. Zum Beispiel durch Werbebudgets, die gewährt oder entzogen werden. Kritische Journalisten werden illegal überwacht und teilweise unter fragwürdigen Umständen verhaftet. Man stellt sie gern unter Verdacht, für ausländische Regierungen zu spionieren. Regierung und Justiz sind zu schwach oder desinteressiert, solche Angriffe aufzuklären und zu sanktionieren.
Es geht nicht nur um Macht und Geld. Auch ideologische „Welterklärer“ haben ein gespaltenes Verhältnis zur freien Presse. In Umbruchsphasen der Geschichte mit ihrem Zuwachs an ängstigender Komplexität haben sie Hochkonjunktur. Sie versprechen und fordern die Rückkehr zur alten Übersichtlichkeit, und dazu gehört das nationale Stammesbewusstsein. Es sieht alles Neue und Fremde als Bedrohung. Ethnische Spannungen werden nicht analysiert und bearbeitet, sondern geschürt. Verschwörungstheorien erleichtern die Arbeit. Historische Fakten spielen keine Rolle. Es geht nicht um den Wahrheitsgehalt einer Information, sondern um ihre soziale Funktion. Die „Likes“, die man massenhaft verteilt, sind nicht begründete Überzeugung. Sie sollen nur zeigen, dass man ein gutes Mitglied der Gruppe ist.
Inzwischen wissen wir, dass auch ausländische Propagandamedien mitmischen. Sie versuchen, Misstrauen und Unzufriedenheit gegenüber der demokratischen Gesellschaftsordnung zu schüren, Wahlen zu beeinflussen und den Zusammenhalt der EU zu schwächen, Die Wiederkehr des Kalten Krieges ist vielleicht noch ein Gespenst. Der Cyber-War ist längst schon harte Realität.
Freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gehören zu den Kopenhagener Kriterien für den EU-Beitritt. Die Kommission bringt in ihren Jahresberichten zur Menschenrechtsbilanz der Westbalkanstaaten regelmäßig ihre Besorgnis hinsichtlich der Pressefreiheit zum Ausdruck, liefert aber kaum detaillierte Empfehlungen.
Anders das Europäische Parlament. Es fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Beitrittskandidaten konsequenter dazu zu drängen, die Einschüchterung von Journalisten einzustellen. Das Thema „Pressefreiheit“ müsse bei den Verhandlungen oberste Priorität haben.
Seit dem Zerfall Jugoslawiens und besonders nach dem Bürgerkrieg gab es die erklärte Hoffnung, den ewigen Unruheherd Südosteuropa zu befrieden. Die Angleichung der politischen, wirtschaftlichen und rechtsnormativen Verhältnisse würde den Weg in die Gemeinschaft ebnen.
Man gewöhnte sich, die Bedingungen großzügig auszulegen. Tempo ging vor Qualität. Nach der Aufnahme in den Club – so hoffte man – würde die Macht des Faktischen die noch nicht erreichten Lernziele fördern und realisieren.
Inzwischen verbreitet sich Skepsis. Nach dem Brexit, der Eurokrise und der unsolidarischen Politik mehrerer Mitglieder in der Flüchtlingsfrage zeigt sich:
Eine verfrühte (zu früher Wegfall der Konditionalität und der Überprüfung realer Verhältnisse) Aufnahme erweitert nicht automatisch die europäische Wertegemeinschaft. Stattdessen importiert sie die ungelösten Probleme der Kandidaten. Es zeigt sich, dass im Beitrittsprozess die Anpassungsleistungen an Rechtsstaatlichkeit und demokratische Strukturen erheblich sind, aber nach dem Beitritt verfallen können.
Wenn schwache Regierungen Europa nur als die Kuh verstehen, die man fleißig melken kann, ohne sie auch zu füttern, werden sie selbst nicht stärker. Sie schwächen jedoch die Gemeinschaft. Deren schließlicher Zerfall ist nicht mehr ausgeschlossen.
Das mag Regierungen und Gruppen kalt lassen, die sich von Abschottung Vorteile versprechen. Es verrät jedoch die Hoffnung der jungen Generation auf ein Leben in demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen mit offenen Grenzen zur Welt.
Damit hier kein Missverständnis entsteht. Die genannten Defizite und Probleme sind nicht exklusiv balkanische. Auch in Westeuropa liegen die Errungenschaften der Aufklärung wieder auf dem Tisch. Sie sind keine Konstanten, die uns verlässlich gehören. Freie Presse, unabhängige Justiz, „Ausgang aus selbstverschuldeter Unmündigkeit“ (Kant) müssen immer wieder neu erkannt und eingeübt werden. Auch der Kampf gegen Korruption ist hier noch lange nicht gewonnen. Wie sagte der alte Goethe: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, / erwirb es, um es zu besitzen.“
Frau Prof. Calic! Herr Dr. Siebenhaar! Ich bitte Sie um Ihr Referat.