„Was die Menschen ‚wirklich‘ denken – Demokratie in Zeiten des Populismus“ – BAPP, 27. März 2018
„Was die Menschen ‚wirklich‘ denken – Demokratie in Zeiten des Populismus“
Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach
Bonner Universitätsforum, 27. März 2018
Sehr verehrte Damen und Herren,
unser Thema hat es in sich. Es stellt schlicht eine Systemfrage. Das mit Dringlichkeit.
Liebe Frau Hellemann, liebe Herren Prof. Dr. Korte, Schönenborn und Stauss,
Herr Weigel, wird Sie protokollgerecht vorstellen. Ich danke und begrüße unsere großartigen Gäste – auch in Ihrem Namen – herzlich.
Was die Menschen ‚wirklich’ denken – Die Formulierung insinuiert Vermutungen:
- Das „wirkliche“ Denken vieler Leute unterscheidet sich von dem, was Gatekeeper in Politik und etablierter Gesellschaft darüber meinen. – Auch von dem, was sie verbreiten.
- Populismus ist offenbar was anderes als Basisdemokratie. Die macht sich auf kontrovers gemeinsame Suche nach gangbaren Wegen. Sie will erträgliche Lösungen für real existierende Probleme. Populismus will die nutzen. Er will austesten, bis zu welchem Punkt man zu weit gehen kann.
- Das unter uns Gesagte unterscheidet sich vom öffentlich Vertretenen. Das gab es immer, aber es nimmt zu.
- Es hat sich was aufgestaut. Der frühere US-Außenminister Tillerson hat seinem früheren Kollegen Gabriel das Motiv der Trump-Wähler mal mit wenigen, aber treffenden Worten erläutert: „Can you hear me now?“
- Demokratie übersetzt sich mit Volksherrschaft. Bei zu vielen entsteht der Eindruck, es seien die Populisten, die im Namen des Volkes sprechen. Die würden die wirklichen Interessen und Beweggründe des Volkes wirklich kennen. Jemand muss versagt haben. Kürzlich hörte ich den originellen Satz: „Man darf die Angst der Leute nicht verteufeln.“
- Es gibt Bevölkerungsverdrossenheit bei Politikern. Sie fürchten sich vor unklaren Minderheiten anstelle klarer Mehrheiten. Etlichen fehlt die Fantasie, eine Gesellschaft zu denken, die mehr ist als ein Markt.
- Die Bertelsmänner haben diagnostiziert, mit Demokratien ginge es bergab. Der Club der Diktatoren wachse. Dialogfähigkeit maßgeblicher politischer Akteure leide.
Es dämmert die Erkenntnis: Teile der Gesellschaft haben tatsächliche Gründe, Meinungsbildern und Weichenstellern Misstrauen auszusprechen,
- weil die verkünden statt zu erklären.
- weil die parteiliches Fingerhakeln mit Politik verwechseln.
- weil Kontrollverlust das Gefühl der Unsicherheit züchtet.
- weil gemeinsam erarbeiteter Reichtum in wenige Taschen verschwindet.
- weil immer mehr Autoritäten skandalierbar sind.
Misstrauen gilt auch Wortführern von „Moralkonzernen“. Denen geht es um die richtige Gesinnung. Weniger um das realistische Bild unserer Welt. Die verwandeln Sachverhalte in Glaubenssätze. Da fühlt man sich als Dummkopf oder Bösewicht abgestempelt.
Populisten agieren ähnlich, aber spiegelverkehrt. Auch die weigern sich, ernst zu nehmen. Sie nutzen Ängste. Sie haben das Placebo immer dabei.
Aber Vorsicht: Man sollte jemanden, der die Sorgen der Leute aufgreift und öffentlich vorträgt, nicht mit der Populismuskeule niedermachen. Das käme der Methode moderner Autokraten gleich. Die brandmarken Opposition als unpatriotisch oder „gemeingefährlich“.
In einer sich spaltenden Gesellschaft geht es um die Frage: Wie kann Zusammenhalt gelingen?
- Starke Kräfte und Bewegungen setzen inzwischen auf Segregation und nationale Abschottung. Mühsam errungene Strukturen internationaler Zusammenarbeit stehen unter Druck. Europäische Solidarität leidet.
- Völkerrechtliche Standards werden ignoriert. Sie werden aus strategischen Machtinteressen verletzt. Am Horizont dreunt neuer Kalter Krieg. Rüstungswettlauf ist angeworfen.
- Autokratische Systeme stützen sich auf gelenkte Mehrheiten. Eine offene, demokratische Gesellschaft mit Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit muss sich zunehmend neu begründen.
- Im Parteienspektrum westlicher Demokratien erodieren Mehrheiten in der konsensfähigen Mitte. Die sind in den traditionellen Parteien einander näher als ihren eigenen Flügeln. Fundis aller Lager boykottieren pragmatische Regierungsarbeit.
- Ausgleich und Konsensbildung ist nicht mediale Kernkompetenz. Talkshow-Inszenierungen leben von Rollenzuweisung, Polarisierung und Konflikt. Neue Medien sind noch anfälliger. Sie werden emsig für ideologische und demagogische Zwecke missbraucht. Ereignisse werden angeknipst und wieder ausgeschaltet.
- Immer mehr Menschen schweben in einer Meinungsblase. Die erwarten nicht Aufklärung, sondern Bestätigung ihrer Befindlichkeit.
Ein Netz fängt auf und auch ein. Im Inter-Netz tobt es. Die digitalen Revolutionäre sind keine Volksbefreiungsarmee.
An der Universität Dresden wurde untersucht, wie sich angehende Lehrer über die Realitäten dieser Welt informieren. Keine 20 Prozent nutzen traditionelle Quellen. Relevant erscheinendes Wissen schöpfen sie aus sogenannten Sozialen Medien.
Ingeborg Bachmann meinte: „Die Geschichte lehrt andauernd. Sie findet nur keine Schüler.“ Der Erfahrungsfundus ist groß. Er wurde auch herbeigelitten. Er ist auch Aufarbeitung unserer Irrtümer. Mit seiner Hilfe formulierten wir Verfassungen, Gesetze und Traditionen. Er gärt im Gedächtnis der Menschheit. Er kann vergessen und ignoriert werden. Er muss vermittelt werden. Jedes Neugeborene von heute ist so dumm und ahnungslos wie ein neugeborener Neandertaler.
Das Thema bohrt auf Nerven: Wer uns vormacht, er könne sich der Globalisierung entziehen, könnte auch behaupten, der Parteitag könne Wetter machen. Globalisierung und Integration funktionieren nur im Doppelpack. Neben der Handelsbilanz muss auch die soziale Kostenrechnung stimmen.
Wir merken, wie interessant die Diskussion wird. Wir freuen uns auf das Kommende. Wir sind wie immer entschlossen, diesen Saal klüger zu verlassen, als wir ihn betreten haben. Unsere hochkompetenten Gäste garantieren dafür.
Dafür mein vorauseilender Dank.