„Die Volksparteien und das Volk – Demokratie zwischen Vertrauensverlust und Populismus“ – BAPP, 11. Januar 2018
„Die Volksparteien und das Volk – Demokratie zwischen Vertrauensverlust und Populismus“
Begrüßung und Einführung von Prof. Bodo Hombach
Bonner Universitätsforum, 11. Januar 2018
Sehr verehrte Damen und Herren,
Victor Adler, der Begründer der österreichischen Sozialdemokratie, hat sich bis zu seinem Ende 1918 in Wien an unserem Thema abgearbeitet. Es ist wieder von drängender Aktualität.
Unsere großartigen Gäste werden das deutlich machen. Wir werden in zwei Stunden sehr viel klüger sein als wir es jetzt sind. Außenminister Sigmar Gabriel, Staatsminister a.D. Dr. Peter Gauweiler, Altoberbürgermeister Christian Ude und Chefredakteur Christoph Schwennicke begrüße ich – auch in Ihrem Namen – herzlich.
Die historischen Erfolge von Victor Adler sind Fakt. Sein Kampf für Arbeiter- und Frauenrechte bewirkte stabile Fortschritte. Er begründete die österreichische Sozialdemokratie. Die war auch mal stabil. Er hatte die Fähigkeit, Menschen von Kompromissen zu überzeugen. Er gewann neue Gefolgschaft. Zwischen Radikalen und Reformisten schmiedete er gestaltungsfähige Einheit. Früher nannte man mehrheitsfähige Politiker populär. Heute nennen viele österreichische Sozialdemokraten ihren Urvater Adler (einige auch schon ihren Bruno Kreisky) populistisch. Zündstoff ist Alders Maxime: „Es ist besser mit dem Volk zu irren, als gegen das Volk Recht zu haben.“ Wir übersetzen Demokratie mit Volksherrschaft. Wir sprechen Recht im Namen des Volkes.
Auf der historischen Goldwaage zeigt sich: Völkische Gefühlswallungen sind nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss. Heute würde Adler vorsichtiger formulieren. Auf dialektische Weise behielte er Recht. Mit dem Volk irren meint, seine Befindlichkeiten als Tatsache zu erkennen. Man hat nach Ursachen und Gründen zu fragen.
Man könnte helfen, aus richtigen Gründen richtigere Schlüsse zu ziehen. Der Politiker-Schwur meint auch: dem Volk dabei zu dienen, Recht zu behalten. Das hieße auch: Verhältnisse schaffen, die das Vertrauen auf die Machbarkeit politischer Versprechen reanimieren.
Wer an nichts und niemanden mehr glaubt, durchlebt nicht den Zustand unabhängiger Glückseligkeit. Wer den Leuten Glaube und Hoffnung nimmt, wird keine emanzipierten Bürger ernten. Verunsicherte suchen neue Sicherheit. Orientierungshilfe und Aufklärung sind mehr und anderes als oberlehrerhaftes Besserwissen mit der Gestik von Ignoranz und Arroganz.
Man ist noch kein Sekundant des Trumpismus, wenn man nichts von Tugendwächtern und Wortpolizei hält. Politische Korrektheit als formelhafte Pose beschreibt weniger das Nötige, sondern oft Denkfaulheit ihrer Nachbeter.
Political correctness als Panikraum der Denkfaulen ist eine „reale Gefahr für die Demokratie“ schrieb jüngst Joseph Joffe in DER ZEIT. Ein unverdächtiger Zeuge. Das Risiko sei, „unsere tatsächliche Neigung, die Realitäten nicht zu beschreiben.“ Medien und Politik sollten wieder lernen, sich in diesem Punkt nicht von Demagogen und Populisten vorführen zu lassen.
Den Sorgen der Leute kann man auch nicht mit Statistik kommen. Wem das Wasser – gefühlt oder real – am Halse steht, den tröstet nicht, dass es im Durchschnitt nur den Gürtel erreicht.
Sogenannte soziale Medien haben nicht gehalten, was man sich von ihnen versprach. Wirklichkeitsverlust, wohin man sieht. Wenig Bemühen, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen. Im Gegenteil: „Fakt you – Fakt mit „A“ ist Modewort. Es entstand ein anarchistischer Raum. Den besetzen – wie immer und üblich – weniger Kluge und Weise, sondern Gemeine und Skrupellose. Sie finden Gehör besonders bei solchen, die mit echten Anliegen schon zu lange auf taube Ohren stoßen.
Die Macht des Aussprechens, was wirklich ist, den neuen Trumps zu überlassen, führte richtige Probleme mit falschen Lösungen zusammen. Man hat es den Trumpisten leicht gemacht. Ihre Parole: „Die intellektuellen, politischen und wirtschaftlichen Eliten hören Euch nicht“, traf die Wahrnehmung ihrer Wähler. Wer zu hören glaubt: „Wir brauchen dich nicht. – Du darfst nicht mitspielen“, wird sauer. Er verbündet sich mit Rabulisten statt Diplomaten.
Wir möchten nicht wissen, was wir hierzulande erleben, wenn die Schönwetterperiode der Wirtschaft einem längeren Sturmtief weicht.
Die sozialen Folgen der Digitalen Revolution sind bisher nur angedacht. Die Verteilung sozialer Kosten und Lasten ist noch nicht transparent bilanziert. Empörungstreiber ist gegenwärtig nicht: „Ich hab zu wenig“, sondern „Auf mich hört ja keiner.“ – Vorerst sehen wir nur Wetterleuchten. Aber auch Wetterleuchten sind schon Blitze.
Auch bei uns wird es unruhig werden, wenn den sogenannten „Volksparteien“ das Volk noch mehr abhandenkommt. Die jüngsten Wahlen haben das an die Wand gemalt. Die Lebenserfahrung der Leute ist wirkmächtiger als unsere Beschreibung der Verhältnisse.
Auch belehrender Journalismus ist schlechter Frontalunterricht. Die Schüler schauen aus dem Fenster und hoffen auf die Pause. Sie wähnen sich von den Gatekeepern der Sachverhalte schon länger unverstanden, sogar hintergangen. Als Folge glauben viele auch den Tatsachen nicht mehr. Machen wir uns nichts vor: Huxley schrieb einmal: „Nicht die Philosophen bilden das Rückgrat der Menschheit, sondern die Laubsägebastler und Briefmarkensammler.“
Wir sind nicht mehr gut darin, vernünftige Botschaften mit Überzeugungskraft an Mehrheiten zu transportieren. Gegen populistischen Eifer hilft nicht Empörung. Es braucht Leidenschaft für den eigenen Standpunkt. Das „unter uns Gesagte“ wich immer vom öffentlich Vertretenen ab. Aber ich beobachte erschreckt: Die Kluft dazwischen war noch nie so groß.
Im Glücksfall finden Wahrheit und Wirklichkeit zusammen. Es reicht nicht, Recht zu haben. Man muss es bekommen.
Volksparteien nennt man so, wenn sie sich mit der Lebenswirklichkeit der Leute beschäftigen. Gute Politiker beschuldigen die Leute nicht nach jedem Wahldebakel, nicht kapiert zu haben. Sie befragen die Wirksamkeit eigenen Tuns. Unsere wunderbaren Gäste gehören zu Anführern einer solchen politischen Haltung.
Deshalb wird es höchste Zeit, dass ich mir selbst ins Wort falle. Das Privileg des begrüßenden Gastgebers, die eigene Position erkennen zu lassen, habe ich genutzt. Jetzt überwiegt die Lust an neuer Erkenntnis.
Herr Außenminister, ich freue mich auf Ihre Sicht der Dinge und auf das folgende weiträumige Gespräch.