„Der unruhige Balkan – Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“ mit Andreas Rudas – Uni Bonn, 29. November 2017

„Der unruhige Balkan – Süd-Ost-Europa vor schwierigen Zeiten“

Einführung von Prof. Bodo Hombach

Gast: Andreas Rudas, österreichischer Medienmanager und ehemaliger SPÖ-Politiker

29. November 2017

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren sehr interessanten und in unserem heutigen Thema einzigartig erfahrenen Gastreferenten. Andreas Rudas kommt aus Österreich und hat eine facettenreiche Biografie als Kommunikator in den Bereichen Politik (Generalsekretär der SPÖ), Medien und Marketing hingelegt. (Ein Vizepräsident des Fußballvereins FK Austria Wien ist auch noch dabei.)

Uns interessieren heute seine Erfahrungen als früherer Chef der WAZ-Mediengruppe für Ost- und Südosteuropa und die als Vorstandsmitglied der RTL-Group. Es geht um die Presse- und Medienlandschaft der Region.

Erlauben Sie mir vorab ein paar Anmerkungen.

Die meisten Konflikte sind Ansichtssachen. Die Fakten mögen so oder anders sein. Wie sie wahrgenommen und bewertet werden, hängt von der subjektiven Perspektive ab. Wer sich nicht auf Befindlichkeiten verlassen will, sondern ein realistisches Bild der Welt sucht, um sich konsistent darin zu verhalten, der braucht verlässliche Quellen. Eine davon sind freie und unabhängige Medien.

Wie steht es damit im Südosten Europas?

Human Rights Watch diagnostiziert auf dem gesamten westlichen Balkan ein für Journalisten feindseliges Klima. Es gebe Diskriminierung und Einschüchterung bis hin zu Todesdrohungen und realen Attentaten. Darunter leide die kritische Berichterstattung. Berichte über Einschränkungen der Pressefreiheit in Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Mazedonien und Kosovo blieben ergebnislos. Weder die Regierungen noch die Europäische Union hätten konkrete Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern.

Ich erkenne allerdings in Serbien und Montenegro Bemühungen, die Mediensituation nicht ganz ins Unüberschaubare abrutschen zu lassen und vorsichtig zu europäisieren. Ich erkenne allerdings auch – im Falle Montenegro habe ich konkrete Beispiele -, dass vermeintliche journalistische Opfer von Unterdrückung in Wirklichkeit Täter und üble Gesellen sind. Man sollte überhaupt vorsichtig mit Schuldzuweisungen in dieser Region sein, weil Kulissenschieberei eingeübt ist. Gleichwohl gilt es, die Medienlage äußerst kritisch im Auge zu behalten.

Ich zitiere Lydia Gall, Juristin bei Human Rights Watch, welche die Region diesbezüglich beobachtet:

„In einer Zeit, in der unabhängiger Journalismus auf dem westlichen Balkan eigentlich dringend gebraucht würde, steht er mit dem Rücken zur Wand. Solange die EU den Regierungen nicht unmissverständlich klarmacht, dass freie und starke Medien die Voraussetzung für eine Perspektive in Europa sind, wird sich daran nichts ändern.“

Ein großes Problem ist die Korruption. Man versucht, sich auf Kosten der Allgemeinheit zu bereichern. Amtsinhaber missbrauchen ihren Einfluss, indem sie sich unmittelbar beteiligen oder die Täter decken. Wo weder Recht und Gesetz, noch eine ethisch orientierte Verantwortung ausreichen, kann nur die Macht der Enthüllung helfen. Die Angst, es könnte etwas herauskommen, ist ein starker Impuls. Dazu braucht es jedoch unabhängige Medien, also professionelle und mutige Journalisten und den Rückhalt freier Sender und Verlage.

Das wissen auch die Übeltäter. Oligarchen und Aktivisten versuchen, die Medien in ihre Hand zu bekommen. Das geschieht zum Beispiel durch Werbebudgets, die gewährt oder entzogen werden. Regierung und Justiz sind zu schwach oder desinteressiert, Angriffe auf Journalisten aufzuklären. Kritische Journalisten werden illegal überwacht und teilweise unter fragwürdigen Umständen verhaftet. Man stellt sie unter Verdacht, für ausländische Regierungen zu spionieren.

Es geht nicht nur um Macht und Geld. In fast allen Staaten Südosteuropas betreiben rückwärtsgewandte Gruppen eine Re-Nationalisierung. Uralte Rechnungen werden wieder präsentiert. Ethnische Spannungen werden geschürt. Verschwörungstheorien haben Konjunktur. Jeder empfindet sich als Opfer, niemand als Täter. Historische Fakten spielen dabei keine Rolle.

Hier setzen auch ausländische, oft anonyme Propagandamedien an, die von Zeitungen und Internetportalen unkommentiert übernommen werden. Sie versuchen die ohnehin brodelnden Konflikte zu befeuern.

Kürzlich wandten sich die Außenminister acht verschiedener Länder in einem besorgten Brief an die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, darunter neben Schweden, Großbritannien, Polen und Tschechien auch Litauen, Kroatien, Lettland und Rumänien.

Es gebe Versuche „externer Akteure“, Misstrauen und Unzufriedenheit gegenüber der demokratischen Gesellschaftsordnung zu schüren und die Einheit der EU zu schwächen, heißt es in dem Dokument. (n-tv 17.11.2017)

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Rolle der Europäischen Union. Freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gehören zu den Kopenhagener Kriterien für den EU-Beitritt. Die Kommission bringt in ihren jährlichen Berichten zur Menschenrechtsbilanz der Westbalkanstaaten regelmäßig ihre Besorgnis hinsichtlich der Pressefreiheit zum Ausdruck, liefert aber kaum detaillierte Empfehlungen dazu.

Anders das Europäische Parlament. Es fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Behörden in den westlichen Balkanstaaten konsequenter dazu zu drängen, die Einschüchterung von Journalisten einzustellen. Zudem sollen sie dem Thema Pressefreiheit bei den Beitrittsverhandlungen oberste Priorität geben.

Warum ist das noch längst nicht gängige Praxis?

Seit dem Zerfall Jugoslawiens gab es die erklärte Hoffnung, den ewigen Unruheherd Südosteuropa zu befrieden. Nach einer Phase der Angleichung der politischen, wirtschaftlichen und rechtsnormativen Verhältnisse sollten die früheren jugoslawischen Republiken Mitglieder werden.

Dabei gab es eine Neigung, die Bedingungen großzügig auszulegen. Man hoffte, nach der Aufnahme in den Club würde die Macht des Faktischen die noch nicht erreichten Lernziele fördern und bald realisieren.

Ich habe im letzten Seminar schon angedeutet, dass meine Erfahrung gegenteilig ist. Auf dem Weg zur EU haben Länder in Südosteuropa, wie Rumänien, Kroatien und Bulgarien, die Unabhängigkeit der Medien stärker geachtet und gefördert als sie es heute tun. Nachdem diese Länder Mitglieder wurden, gab es schwerwiegende Rückschläge, wobei im Mediensektor die zuständigen Rumänen nach meiner Beobachtung die bedrückendsten sind. Trotz eines weltweit respektierten Präsidenten finden sich Regierungen, manchmal gar Parlamentsmehrheiten, die den Kampf gegen Korruption so übersetzen, als sei es der Kampf gegen eine Opposition. Korrupte werfen anderen korruptes Verhalten vor.

Ich selber habe erlebt, dass ein Kaufmann, der nach meinen Erfahrungen zu den seriösesten gehörte, die mir seinerzeit begegnet sind, wegen angeblicher Korruption im Gefängnis landete. Der Vorwurf wurde nie konkretisiert, aber er starb im Gefängnis, bevor es zum Prozess kam, weil eine schwere Krankheit nicht ausreichend behandelt wurde. Bei mir schleicht sich der Verdacht ein, dass sein einziges Vergehen der Besitz einer Zeitung (der wohl einzigen Oppositionszeitung) war, die den damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten, der als tatsächlich überführt gelten kann, heftig kritisierte.

Inzwischen verbreitet sich Skepsis. Nach dem Brexit, der Eurokrise und der unsolidarischen Politik mehrerer Mitglieder in der Flüchtlingsfrage zeigt sich:

Eine verfrühte Aufnahme erweitert nicht automatisch die europäische Wertegemeinschaft. Stattdessen importiert sie die ungelösten Probleme der Kandidaten.

Wenn schwache Regierungen Europa nur als die Kuh verstehen, die man fleißig melken kann, ohne sie auch zu füttern, werden sie selbst nicht stärker. Sie schwächen jedoch die Gemeinschaft. Deren schließlicher Zerfall ist nicht mehr ausgeschlossen.

Das mag Regierungen und Gruppen kalt lassen, die sich von nationalistischer Abschottung Vorteile versprechen. Es verrät jedoch die Hoffnung der jungen Generation auf ein Leben in demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen mit offenen Grenzen zur Welt.

Noch einmal Lydia Gall: „Die Liste der Druckmittel und Regelüberschreitungen gegen unabhängige Medien auf dem westlichen Balkan ist lang und betrüblich. Solange auf dem westlichen Balkan eine starke unabhängige Presse fehlt, werden die Staaten der Region den Hoffnungen und europäischen Ambitionen ihrer Bevölkerungen kaum gerecht werden können.“

Lieber Herr Rudas, teilen Sie diese Einschätzung? Ich bitte Sie um Ihr Referat.