„Stiftungstag 2017“ – Brost-Stiftung, 14. September 2017

„Stiftungstag 2017“

Einführung durch Prof. Bodo Hombach

Erich-Brost-Pavillon, Zeche Zollverein Essen, 14. September 2017

Sehr verehrte Damen und Herren,

der Vorsitzende Prof. Dr. Heit hat Sie willkommen geheißen.

Ich denke ans Ruhrgebiet, wenn ich von Wilhelm Busch lese:

         Wo du bist und wo ich sei,
         ferneweg und nebenbei;
         dein gedenk ich, still erfreut,
         selbsten in der Einsamkeit;
         ja, im dicksten Publikum
         schwebt mein Geist
         um dich herum.

Eine biedermeierliche Liebeserklärung an eine genügsame, spröde Schöne.

Fürs Ruhrgebiet ist mir Goethes „Genug kann nimmermehr genügen“ noch lieber.

Alle wollen Gerechtigkeit. Wir auch. Auch bei der öffentlichen Wahrnehmung unseres Lebensraumes. Dieser ist unterbewertet. Nicht im Vergrößerungsglas des Lokalpatrioten, sondern nachprüfbar.

Im nächsten Jahr wird die letzte Zeche schließen. Längst sind Grün und Blau vorherrschende Farben im Revier. Aber noch lange wird man draußen vom „Kohlenpott“ reden. Der „Ruhri“ wird die Achseln zucken.

Die Region ist selbst nicht unschuldig. Ihr stabiles Selbstwertgefühl war begründet. Sein im Innern und Erscheinung nach außen lagen weit auseinander. Imagefragen waren nicht wichtig für die Leute.

Bescheidenheit kann chronisch werden. Hier sagt man: „Keiner liebt dich. Wieso ich?“

Wir haben eine der dichtesten Kulturlandschaften. Aber auch große kulturelle Leistungen werden im nationalen Feuilleton wenig wahrgenommen. Es ist vieles zu tun. Wir wollen nicht wie Dornröschen hundert Jahre schlafen. Kein Prinz wird uns wachküssen. – Es gibt eine Bringschuld, auch in der Selbstdarstellung.

Regionen mit vergleichbarer Herausforderung schaffen es auch: Vor 30 Jahren war ich im Stahlrevier von Pittsburgh. Dort war es öde, zusammengestrickte Industrie, rostige Atemluft, blasse Menschen im Dauer-Smog. Schon mittags musste man das Hemd wechseln.

Nach dem Strukturbruch kriegte man die Kurve. In einem damals noch typisch amerikanischen Crash-Programm verbündeten sich alle Kräfte. Bürgergruppen und Vereine engagierten sich. Schulen machten Projekte. Kultur- und Lebensqualität rückten nach vorn.

Die Wirtschaft kapierte: Bilanzen bleiben nur stabil, wenn sie am Ende in eine lebenswert gestaltete Gesellschaft münden. Heute ist Pittsburgh im obersten Ranking der liebenswerteren Städte Amerikas. Die Leute identifizierten sich mit ihrer Region.

Kultur ist mehr als Theater und Museen. Kultur ist Erkenntnis besserer Alternativen. Sie ist eine Methode des Einspruchs gegen lähmende Zustände.

So hat Anneliese Brost gedacht. Sie war eine kluge Frau. Das Wohlergehen der Region lag ihr am Herzen: das Soziale, das Zusammenleben von Alt und Jung, die internationale Begegnung die Aufklärung durch eine verantwortliche Presse, auch das Kulturelle.

Ich las mal: „Deine Liebe macht mich schön.“ Warum sollte das nur für Frauen gelten? Warum nicht auch für Land und Leute an der Ruhr?

Wir haben jemanden eingeladen. Jemanden, der des Wortes mächtig ist und uns mit seinen Augen betrachtet. Die bedeutende Schriftstellerin Gila Lustiger wird erste Stadtschreiberin Ruhr. Als „writer in residence“ wird sie ein Jahr lang im Ruhrgebiet leben.

Ich begrüße sie – auch in Ihrem Namen – sehr herzlich!

Für einen ihrer Romane hat sie gründlich das Leben in den Pariser Vorstädten erkundet. Sie sagte mir: Das sei mit unserem Revier nicht eins zu eins vergleichbar. Sie wird sich und uns ein Bild machen. Sie wird ihren Blick auf Realitäten finden.

Aus zu großer Nähe sind wir für manches blind. Sie kann uns die Augen öffnen, nicht in pädagogischer Belehrung, sondern als radikaler Verstehensversuch mit den Mitteln einer Künstlerin.

Was wir gegenwärtig an Entfremdung in der Gesellschaft beobachten, hat auch damit zu tun, dass wir vor der eigenen Lebenswirklichkeit fremdeln.

Oft machen wir uns was vor. Zu oft wird uns was vorgemacht. Goethes Zauberlehrling hat „das Wort vergessen“.

Fakten wollen wir nicht beschönigen. Das Revier hat viel erreicht. Und manches versäumt.

Wir haben Leuchttürme, aber auch Schlusslichter. Junge Fachkräfte werden hier gut ausgebildet. Anschließend suchen zu viele das Weite. Wer das verhindern will, braucht ein sympathisches Ambiente. Die neue Landesregierung reibt sich tatendurstig die Hände. Sie muss sich keinen Tag langweilen.

Sie, sehr verehrte Gäste, sollen sich auch nicht langweilen. Deshalb übergebe ich an die großartige Gesprächsrunde, die sich hier eingefunden hat. Sie wird uns klüger machen als wir gekommen sind.

Dafür vorauseilenden Dank.