„Frankreich nach der Wahl: Chance für einen Neustart in Europa?“ – BAPP, 1. Juni 2017

„Frankreich nach der Wahl: Chance für einen Neustart in Europa?“

Begrüßung durch Prof. Bodo Hombach

Bonner Universitätsforum, 1. Juni 2017

Sehr verehrte Damen und Herren,

auch in Ihrem Namen begrüße ich unsere Podiumsgäste Frau Calla, Herrn Prof. Dr. Rüttgers und den mit Vorfreude erwarteten Herrn Prof. Dr. Grosser sehr herzlich. Der leitende Redakteur des Senders für besonders kluge Köpfe PHOENIX, Herr Michael Krons, wird wie immer gekonnt moderieren.

Frankreich hat gewählt. Es gab hörbares Aufatmen.

Die Grande Nation ließ sich nicht auf provinzielles Maß krankschrumpfen. Eine Jugendrevolte namens Macron sprang aus dem Busch. Er schickte die breite Phalanx Bisheriger in Rente. Die hatten das Wort „Europa“ vorsichtig vermieden. Sie wollten nicht als „Grufties“ verdächtigt werden. Macron holte blau-gelbe Fähnchen aus der Schublade. Er schwebte im Hof des Louvre auf den Flügeln der Europahymne zur Siegesfeier ein.

Wer hätte das gedacht? Mit Europa Wahlen gewinnen! In Frankreich, wo viele es als Ladenhüter der Nachkriegszeit gerne begraben hätten! Aber die Erleichterung war nicht ungetrübt.

Der Messias der neuen Bewegung erschien vielen als das kleinere Übel. Die Linke verweigerte ihm Unterstützung. Mancher gab seine Stimme, aber nicht seine Zustimmung. Würde er die Reformen durchsetzen, die jeder wollte, aber nur vom Gegner forderte?

Das Schlimmste ist vorläufig verhindert. Für das Schlimme bleibt noch Zeit und Raum in der Nationalversammlung. Noch kennt niemand die dortigen Mehrheitsverhältnisse. „Warten wir’s ab“, sagt der deutsche Michel und zieht sich die Schlafmütze über die Ohren. Dabei müsste er hellwach auf der Stuhlkante sitzen. In Frankreich wird auch sein Schicksal verhandelt. Michel denkt gern an Fehler und Defizite der anderen. Er verteilt Zensuren. Soll doch Marianne erst einmal die Staatsquote senken, die Arbeitszeit verlängern, das Gefecht zwischen CGT und Unternehmern beenden und die Schulden abbauen.

Er hat gut reden. Wie kein Zweiter hat er von Europa profitiert. Manchmal mit falscher Kostenrechnung in der eigenen Bilanz. Alfred Grosser denkt jetzt an seinen Freund Schäuble. Der solle nicht nur die 3 % Marke im Auge haben. Der möge marode Straßen, zerbröselnde Schulen und den Investitionsstau in Ordnung bringen. Wenn ihm Marianne, alias Macron, Vorschläge macht, sollte Michel zuhören. Nicht vom hohen Ross herab Ratschläge austeilen. Pragmatische Politik fragt: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Und: Was machen wir jetzt?

Die drei Fragen stehen unsichtbar über unserer Akademie. Sie zu erörtern, sind wir hier. Das Projekt EU ist reformbedürftig. Das ist so, seitdem und solange es existiert. Das hat einen einfachen Grund: Die EU ist selbst die Reform. Sie war nie fertiges Ergebnis, sondern Instrument und Methode. Sie ist ein Weg für den friedlichen Ausgleich der Interessen. Wir brauchen das ständige Gespräch über Defizite, Zuständigkeiten und das Zusammenspiel der Organe. Diese Debatte ist der Normalfall – sie ist nicht Kriesensymptom.

Wir brauchen Bündnisse: Zwischen der künftigen Wissensgesellschaft und den heutigen Schulen. Zwischen Politik und Wissenschaft. Zwischen innovativen Start-ups und einer hilfreich-kreativen Verwaltung. Zwischen den Zentren und den Randgebieten. Zwischen Empfängern und Einzahlern in die Sozialkassen. Zwischen Zugewanderten und Einheimischen. Zwischen der lebenden und künftigen Generationen.

Europa ist ein System kommunizierender Röhren. Das interagiert mit globalen Chancen und Gefahren. Ich beobachte in meinen Seminaren: Bei den jungen Leuten wächst politisches und europäisches Interesse. Es gibt neues Interesse an der Demokratie. Es gibt neue Wertschätzung der Solidarität. Es gibt neue Bereitschaft zu Verantwortung und Engagement über den Tellerrand hinaus.

Ich nehme an: Das verdanken wir den Putins, Erdogans, Assads und Trumps unserer Zeit. Hölderlin wusste: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Und es heißt auch: „Gott schreibt gerade…..auch auf krummen Zeilen“.

Im Haus der Geschichte – nicht weit von hier – zeigte man den Besuchern einen genialen Trickfilm: Auf einer im Raum schwebenden Platte ist eine Gruppe von Menschen. Wer sich bewegt und sein Gewicht verlagert, zwingt alle anderen, darauf zu reagieren und sich ihrerseits zu bewegen.

Das hat etwas Verzweifeltes, aber auch Spielerisches. Manchmal ist höchste Gefahr. Manchmal scheinbare Ruhe. Das Beste, was sie gemeinsam erreichen können, ist ein schwankendes Gleichgewicht.

Liebe Gäste,

meine Neugier auf die folgende Diskussion steigt ins Unermessliche. Aber wir sind im 500. Jahr der Reformation. Da kommt niemand an Martin Luther vorbei. In dessen Tischreden findet sich das Dictum: „Iss, was gar ist. Trink, was klar ist. Sprich, was wahr ist!“

Wir wissen – bei diesen Gästen mit Gewissheit – wir werden diesen Saal klüger verlassen, als wir ihn betreten haben. Dafür mein vorauseilender Dank!