„Vertrauensverlust und ‚Lügenpresse‘ – Die Medien in der Krise?“ mit Ulrike Demmer und Clemens Tönnies – Uni Bonn, 10. Mai 2017
„Vertrauensverlust und ‚Lügenpresse‘ – Die Medien in der Krise?“
Einführung von Prof. Bodo Hombach
Gäste:
- Ulrike Demmer, Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Stellvertretende Leiterin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung
- Clemens Tönnies, Miteigentümer der Unternehmensgruppe Tönnies Lebensmittel, Alleineigentümer der Zur-Mühlen-Gruppe, Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04
10. Mai 2017
Meine Damen und Herren,
liebe Frau Demmer, lieber Herr Tönnies,
so viel ist klar: unser Thema brennt auf den Nägeln. Um die Medien, und hier im engeren Sinn um die Nachrichten-Medien, ist ein heftiger Diskurs entstanden. Die verbalen Raufbolde skandieren im Sprechchor Lügenpresse und lassen sich von ihren Volkstribunen bereitwillig belügen. Die Gemäßigten empfinden einen großen Vertrauensverlust. Sie fühlen sich mit ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit, ihren Themen und ihren Sorgen nicht mehr gespiegelt. Sie sehnen sich nach Orientierung in einer unübersichtlichen Welt und unterstellen Kontrollverlust bei den Entscheidungsträgern.
Warum ist das wichtig? Warum lohnt es sich, diesem Phänomen ein ganzes Seminar zu widmen und damit kostbare Lebenszeit zu investieren?
Verzeihen Sie, wenn ich mit einem kleinen Repetitorium beginne. Das wird Ihnen nichts sensationell Neues sagen, klärt aber die Basis, auf der wir aufbauen wollen.
Der moderne, demokratische Rechtsstaat ist die bisher intelligenteste Methode, die Macht zu organisieren.
Sie wissen, wie das geht: Wir erwachsenen Bürger wählen auf Widerruf eine Regierung, die – so hoffen wir – dann zu unserem Wohle agiert. Um den immer möglichen Machtmissbrauch einzudämmen, bedarf es der Gewaltenteilung (Legislative, Exekutive, Judikative) und der öffentlichen Kontrolle. Diese ist nur möglich auf der Basis von Informationen, die uns ein adäquates Bild der Welt vermitteln.
In der komplexen und ausgedehnten Gesellschaft können wir nur weniges primär und unmittelbar erfahren. Für den größeren Anteil unseres Welt- und Menschenbildes sind wir auf Sekundärerfahrungen angewiesen. Die liefern uns die Medien. Nur eine möglichst umfassende, sachgerechte und unabhängige Information ermöglicht uns die Teilnahme an der politischen Willensbildung und die Abwehr unliebsamer Entwicklungen.
Wir brauchen also Transparenz und Öffentlichkeit. Wir brauchen Medien. Was aber ist Öffentlichkeit, und was sind Medien? Die Antwort ist interessanter als die Frage.
Öffentlichkeit ist nicht einfach da. Sie ist kein vorhandener Raum, den man so oder so oder auch gar nicht füllen kann. Nach einer zentralen Erkenntnis von Jürgen Habermas entsteht Öffentlichkeit nur dann, wenn man sie beansprucht und wenn nötig ertrotzt. Zum Beispiel gegen Personen und Gruppen, die sie scheuen, weil sie ihre Geschäfte stört oder ihre Machtinteressen. Zum Beispiel auch gegen die eigene Trägheit und die Lust an der Unterwerfung. Wenn dieser Kampf erlahmt, schrumpft sie und kann praktisch verschwinden. Mit ihr schwindet der gesellschaftliche Diskurs. Es bleibt die bloße Verlautbarung von oben nach unten.
Und was sind Medien? Sie sind nicht Zweck, sondern Werkzeug. Ob sie nutzen oder schaden, hängt auch bei ihnen davon ab, ob und wie man sie gebraucht. Immer stehen Interessen im Hintergrund. Sie haben Einfluss und Macht. Sie entscheiden, was berichtet wird und was nicht. Sie beleuchten ihren Gegenstand in einer breiten Skala zwischen Objektivität und Fehlinformation durch Manipulation und Verzerrung.
Die Problematik ist nicht neu. Von den ersten gedruckten Flugblättern am Ende des 15. Jahrhunderts bis heute gab es ein natürliches Spannungsfeld zwischen den Kombattanten der Gesellschaft: Obrigkeit und Untertanen, Regierung und Bürger, konservative, liberale und progressive Parteien, Interessengruppen, Weltanschauungen, Moden.
Es kostete Jahrhunderte und große Opfer, um die Pressefreiheit als ein konstitutives Gut des demokratischen und freiheitlichen Rechtsstaates zu erkennen und durchzusetzen. Täglich erleben wir, dass dieser Kampf noch lange nicht gewonnen ist. Autokratische Systeme – und sie sind wieder einmal auf dem Vormarsch – haben einen unüberwindlichen Widerwillen gegen freie Berichterstattung. Ich muss die Namen gar nicht nennen, die ihnen jetzt einfallen.
Aber auch unabhängig von Sein oder Nichtsein: Medien werden von Menschen gemacht und konsumiert, und diese sind fehlbar. Sie sind unterschiedlich konditioniert durch körperliche Eigenschaften, Lebensumstände, Bildungsstand, Parteibuch. Auch bei guter Absicht unterliegen sie selektiver Wahrnehmung.
Die Fehlerquote der Journalisten sinkt durch Professionalität. Sie müssen ihr Handwerk verstehen: sorgfältige Recherche und abgewogenes Urteil, Trennung von Information und Kommentar, Entschleunigung zugunsten von Validität, Unabhängigkeit von exogenem Druck und persönlichen Vorlieben. Man erwartet von ihnen Mut und Stehvermögen. Sie sollten sich – nach einem Diktum von Hanns-Joachim Friedrich – mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten.
Die Fehlerquote des Empfängers verringert sich, wenn er die Mechanismen der Medien kennt und durchschaut, sich nicht blind auf die erstbeste Botschaft verlässt und sich aus verschiedenen Quellen ernährt, auch aus solchen, die seinem eigenen Vorurteil widersprechen.
Neue Techniken erleichtern den Zugang zu Informationen und ermöglichen eine nie dagewesene und weltumspannende Kommunikation. Jeder ist ständig auf Sendung und Empfang. Das bietet aber auch ganz neuartige Möglichkeiten der Desinformation und Manipulation.
Wir erleben gegenwärtig einen Paradigmenwechsel der Mediengeschichte. Ich nenne nur ein paar Vokabeln, die sie beliebig ergänzen können:
- Totale Entgrenzung
- Enorme Beschleunigung
- Multidirektionale Kommunikation
- Enttarnung von Herrschaftswissen
- Verdrängungswettkampf auf dem begrenzten Markt der Aufmerksamkeit
- Personalisierung und Skandalisierung statt relevanter Information
- Zerfall schützender Strukturen
- Wachsendes Desinteresse an Fakten
- Stattdessen: massenhafte Einübung und Befriedigung emotionaler bis paranoider Bedürfnisse
All das ist systemrelevant. Es ist systemgefährdend, wenn Sorgfalt und Vielfalt schwinden. Sind wir im „postfaktischen“ Zeitalter? Ist der Kampf um die Wahrheit verloren? Ist die Lüge nicht mehr Faux-pas, sondern Mainstream und Breitensport? Weicht die konstruktive Argumentation des öffentlichen Diskurses einem Grobianismus, der nur noch – verzeihen Sie – „auf die Kacke haut“?
Der elementare Grundstoff der Demokratie ist das Misstrauen. Es geht nicht um die Frage, wie bringt man jemanden an die Macht, sondern: Wie verhindert man den immer möglichen Machtmissbrauch? Das war das Anliegen der europäischen Aufklärung von Solon bis Montesquieu.
Der zweite Grundstoff der Demokratie ist aber das Vertrauen. Es ist unentbehrlich, weil wir uns ständig darauf verlassen müssen, dass sich die Politik an Recht und Gesetz orientiert, dass die Richter unabhängig entscheiden und dass die Informationen der Presse den Tatsachen entsprechen.
Was ist, wenn dieses Vertrauen schwindet? Wenn es nicht durch einzelne Fehltritte, sondern durch systematische Abwertung der Wahrheit zerrüttet wird?
Der amerikanische Wahlkampf war vor allem ein Kampf der Medien. Sein Ergebnis heißt Donald Trump. Er bezeichnet die kritische Presse pauschal als Feind des Volkes und hantiert selbst wie noch keiner seiner Vorgänger mit Gerüchten, Halbwahrheiten und offenkundigen Lügen. – Der Brexit wäre nicht passiert ohne ein jahrzehntelanges Trommelfeuer der Murdoch Gruppe gegen die EU, in Tateinheit mit Desinformation und Überzeichnung.
Aber auch im ganz normalen Alltag beobachten wir sinkende Standards, Boulevardisierung, Kampagnenjournalismus und die Überschwemmung aller möglichen Internetplattformen mit einem „Beifang“ an Nachrichten, die ein Algorithmus auswählt und die nicht mehr redaktionell verantwortet werden.
Aber „wo Gefahr ist wächst das Rettende auch“ (Hölderlin). In den ersten 100 Tagen der neuen US-Administration verzeichnete die New York Times einen Zuwachs um 2 Millionen Abonnenten ihres Onlinedienstes. So ist das, wenn Notwendiges knapper wird. Es wird täglich wichtiger.
Ich beende meinen kursorischen Überblick. Bei den kommenden Terminen werden wir wichtige Aspekte unseres Themas genauer beleuchten und interessante Erkenntnisse gewinnen. Dafür stehen ja auch unsere Gäste.
Herr Tönnies, Frau Demmer, Ihr Wort!