„Die Selbstverzwergung der Landespolitik“ – Rheinische Post, 25. April 2017
Gastbeitrag in der Rheinischen Post zur NRW-Wahl – von Prof. Bodo Hombach
„Die Selbstverzwergung der Landespolitik“
Wo sind die „Eliten“ gelandet, wenn sie nicht für die Lösbarkeit, sondern für die gefühlte Unlösbarkeit der Probleme stehen? Das Mantra von der Komplexität und die verbreitete „apokalyptische Vision“ sind nicht Faktencheck, sondern Selbstaufgabe. Europa soll – so will es das Oval Office – mehr Führungsverantwortung übernehmen. Gut so. Gießen wir Öl, aber auf die Wogen – nicht ins Feuer.
Anders wäre es führende Verantwortungslosigkeit. Wichtig: pragmatische Wiederannäherung an den Osten, faire Handelsverträge, Friedensinitiativen, gerade wenn sie aussichtslos erscheinen. Sigmar Gabriel hat Haltung und frische Kraft dazu. Er kritisierte kürzlich: „Europa kümmert sich zu oft um Rand- statt um Kernfragen.“ Es ignoriert die gestaltende Kraft der Regionen. Dort wählen die Leute die Welt, in der sie leben wollen. Wer sich dem globalen Wind ausgesetzt sieht, möchte feste Wurzeln haben.
Deshalb ist eine kluge Nutzung landespolitischer Kompetenzen möglich und wichtig – dazu braucht es aufmerksame Wähler. Ein Land kann viel bewegen. Das zeigt der Ländervergleich. Auf Berlin, Brüssel oder das Schicksal zu verweisen, schwächt Föderalismus. Den lassen wir uns eine Menge kosten. Es ist erstaunlich, wie schnell regionalpolitischer Stolz an der Haustür abgegeben wird, wenn Mutti Merkel oder Papa Schulz es richten sollen. Das ist Selbstverzwergung der Landespolitik. In der Nacht der langen Gesichter ist die Niederlage natürlich kein Bundestrend. Fehler machen sowieso nur die anderen. Man selbst konnte sich nur nicht richtig verständlich machen.
Miteinander muss man hier nicht erfinden
In NRW gab es immer grelle Lichter und tiefe Schatten. Probleme, die auch andere hatten, stellten sich hier früher oft heftiger. Wir kennen die Geburtsschmerzen des Strukturwandels und die Wachstumsschmerzen der Globalisierung. Integratives Miteinander muss man hier nicht erfinden. Es hat lange Tradition. Wir haben auch Leute und Gruppen, die anpacken mit Kreativität und Geduld.
Dazu gehört Norbert Walter-Borjans. Der hat findig und mutig die Schummelzonen der Finanzwirtschaft vertikutiert. Verkehrsminister Groschek kämpft – gegen grüne Bremser – für eine bessere Infrastruktur.
Martin Schulz will die erfolgreiche Agenda-Politik nicht zerschlagen, sondern zeitgemäß anpassen. Sigmar Gabriel knallt in der Außenpolitik nicht mit den Türen, sondern öffnet sie, um Spielräume zu schaffen. Armin Laschet will das Land nicht nur besser regiert sehen, sondern er kommt mit belastbaren Ideen rüber. Christian Lindner mischt verstaubte, trübe Strukturen mit jugendlicher Energie auf. Natürlich: Die Amtsinhaberin Hannelore Kraft, wenn für sie nicht jeder als Schlechtredner gilt, der die tatsächlichen Probleme benennt. Wer es mit diesem Land ernst meint, redet mit Kritikern und nicht mit Schmeichlern. Kritiker sind nützlicher als Gesundbeter. Fake News kann man auf Plakate und Traktate drucken – nicht in Köpfe drücken, die anderes erleben.
Wir haben großen Nachholbedarf in Sachen Unternehmensförderung, Infrastruktur und Bildung. Die Gesellschaft der Zukunft ist eine des Wissens. Wie sind die Schulen ausgestattet? In Dortmund ist der Unterrichtsausfall doppelt so groß wie ihn die grüne Schulministerin behaupten lässt. „Kein Kind darf zurückbleiben!“ – Eine schöne Parole schon bei der vorigen Wahl, aber sie ist es noch immer.
Wahlen werden in der Mitte gewonnen
Wir hatten 2016 einen zarten wirtschaftlichen Aufschwung. Darüber wird gegackert, dass sich die Balken bieten, nach dem Motto: „Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.“ – Eine Leistungsbilanz sieht anders aus.
Ökologische Besinnung war nötig. Nun gibt es zu oft die moralinsaure Pose, die sich mit ökonomischer Unvernunft legitimiert. Der Sozialstaat ist Grundpfeiler der Bundesrepublik, aber was man zwecks Verteilungs- und Chancengerechtigkeit ausgeben will, muss erst erwirtschaftet werden. NRW hatte immer Erfolg mit der Doppeldevise: Wirtschaftsmotor und soziales Gewissen. Was als Gegensatz klingt, ist in Wirklichkeit Tandem. Sozial geht nur, wenn der Motor läuft. Ein gesunder Ausgleich zwischen Bringern und Empfängern respektiert die Grundrechenarten und hält die Gesellschaft zusammen.
Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Volksparteien wissen: Ein Drittel ist ihnen zugetan, ein Drittel wählt sie auf keinen Fall, ein Drittel ist unentschieden. Die fühlen sich unverstanden wie nie. Erleben wir Richtungswahlen oder sind es längst Systemwahlen? Auf der einen Seite – Brexit, Trump, Erdogan, Le PEN sei Dank – Rückkehr des Politischen, Zuwachs der gemäßigten Parteien, selbstbewusste Bekenntnisse zur Demokratie, zur Europäischen Einigung, zu dynamischem Wirtschaften.
Auf der anderen Seite Rückfall in eine polarisierte und emotionalisierte Gesellschaft, in der mit Neidgefühlen und Zukunftsängsten geistige Gefangene gemacht werden sollen. Die einen haben Fragen und wollen Antworten. Die anderen haben nur Antworten und dulden keine Fragen. Wir können kritisch fragen, prüfen und auswählen. Rechte, die man nicht nutzt, verkümmern.