„Interview: Man sehnt sich nach Antworten“ – General-Anzeiger, 11. April 2017

Interview im General-Anzeiger mit Prof. Bodo Hombach zur Leistungsbilanz der SPD in NRW

„Man sehnt sich nach Antworten“

Im Interview mit dem General-Anzeiger äußert sich der ehemalige SPD-Politiker und Chef des Bundeskanzleramts Bodo Hombach zur Lage der SPD in Nordrhein-Westfalen und gibt seine Einschätzung zu den Landtagswahlen in NRW ab.

Die USA bombardieren nach den Giftgasanschlägen in Syrien eine Luftwaffenbasis der Regierungstruppen. Sollte auch Europa konsequenter reagieren?

Bodo Hombach: Außenminister Sigmar Gabriel hat Donnerstag in der BAPP deutlich gemacht, dass er die Reaktionsfähigkeit, sprich Geschlossenheit, und auch Fähigkeit zu zeitgerechtem Handeln noch für unzureichend hält. Nachdem Europa aus der ganzen Welt massiv aufgefordert wird, nicht nur Zuschauer von weltpolitischen Ereignissen zu sein, sondern Führungsverantwortung wahrzunehmen, muss es sich darauf vorbereiten – selbst wenn das eine unbequeme Rolle ist. Dazu gehört, dass es eine pragmatische Wiederannäherung gen Osten geben muss, um die schon vorhandenen Konflikte nicht durch Missverständnisse zu verschärfen.

Ist Europa für weltpolitische Verantwortung überhaupt genügend gut aufgestellt?

Hombach: Leider müssen wir selbstkritisch einsehen, dass es Bündnisse und Institutionen gibt, die in der Lage sind, gemeinsam Kriege zu führen, aber keine um den Frieden zu gewinnen. Die wichtigste Phase des Krieges ist die danach. Das Beispiel des deutschen Wiederaufbaus ist fast das einzige, das uns einfällt, wenn wir überlegen, wie man nach Gewalt und Zerstörung eine Gesellschaft befrieden und die Wirtschaft ans Laufen kriegt. Es gab Ansätze auf dem Balkan, die Lage durch Aussicht auf eine bessere Zukunft in Europa, mit dem Mittel klarer Konditionalität, zu befrieden. An diesen Verhandlungen waren die USA und Russland maßgeblich beteiligt. Aus diesen Erfahrungen könnte man lernen. Aber zu viele Probleme zur gleichen Zeit überfordern uns erkennbar.

Bei allen negativen Meldungen der letzten Zeit bleibt was Positives: eine breite, auch die Straße erreichende Rückbesinnung auf den guten Sinn Europas und darauf, dass man die Zukunft nur mit mehr Gemeinsamkeit besteht. Gabriel hat den Punkt gemacht. Europa kümmert sich oft um Dinge, um die es sich nicht zwingend kümmern müsste und lässt Probleme unbearbeitet, die europäischer Auftrag wären. Eine gemeinsame Umweltschutz- oder Grenz- und Sicherheitspolitik etwa hätte höchste Zustimmung im Volke und würde neue europäische Identität stiften.

Die Landtagswahl in NRW gilt als „kleine Bundestagswahl“ – ist das eine Aufwertung oder eine Abwertung?

Hombach: Wir haben einen föderalen Staat, das ist gut so. Das belebt einen gesunden Wettbewerb und das stärkt das Heimatgefühl. Das ist in Zeiten der Globalisierung wichtig. Wer dem Wind der globalen Welt ausgesetzt ist, möchte feste Wurzeln haben. Zentralismus, das können wir weltweit beobachten, erleichtert Machtmissbrauch. Ein Problem des Föderalismus ist die abstimmungsbedingte Langsamkeit, wenn etwas zügig zusammengebracht werden müsste, beim Datenaustausch und der Sicherheit etwa. Aber das Gute am Föderalismus sollte verteidigt werden. Landtagswahl soll Landtagswahl sein. Ausrufezeichen! Da geht es um Kompetenz, Leistungsbilanz und Zukunftspläne für die Heimatregion.

Es ist unerfreulich zu hören, dass man anstelle der klugen Nutzung landespolitischer Möglichkeiten auf Berlin, Brüssel oder das Schicksal verweist. Es ist erstaunlich zu sehen, wie schnell regionalpolitischer Stolz an der Haustür abgegeben wird und Mutti Merkel oder Papa Schulz es richten sollen. Das ist Selbstverzwergung des Föderalismus. In der Nacht der langen Gesichter ist die Niederlage dann natürlich kein Bundestrend. Wir werden hören, alles sei hausgemacht. Für die Stärke der SPD hier war — wie für die CSU in Bayern — die Landeskompetenz mal das Entscheidende. Aber seien wir nicht naiv: Geworben wird mit dem, von dem man hofft, dass es wirkt.

Packt die Politik im Land die richtigen Themen an und sind Unterschiede für die Wähler überhaupt zu erkennen?

Hombach: NRW hat große Probleme. Schon wer sie nur benennt, gilt schnell als Schlechtredner. Wir hatten 2016 zwar einen zarten wirtschaftlichen Aufschwung, da wird nun drüber gegackert, dass sich die Balken biegen. Eine Leistungsbilanz aber sieht anders aus. Kritiker sind hilfreicher als Gesundbeter. Wenn eine Opposition den Anspruch erhebt, besser zu regieren, dann ist das leicht gesagt. Sie muss aber zündende Ideen präsentieren, die das unterlegen. Fragen gibt es genug, man sehnt sich nach Antworten, die eine Konzeption aufzeigen. An der Spitze des politischen Witzes steht zurzeit: „Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht.“ Das soll bei uns nicht zur politischen Realität werden.

Gibt es denn eine politische Idee, die Sie im NRW-Wahlkampf positiv überrascht hat?

Hombach: Vielleicht kommt eine solche Idee ja noch. Im Wahlkampf sind Plakate wie Glocken zum Kirchgang. Sie mobilisieren, sollten aber keine Fake News verbreiten. Die Leute werden aufmerksamer und positionieren sich. Dafür sorgen auch schrille Töne von rechts und links, auch Sorge vor problematischen Koalitionen. Ihre Frage ist die nach rationalen Entscheidungsgründen. Ich entscheide mich für die, die Gestaltungsideen haben und sinnvolle Korrekturen wollen. Ein Beispiel: Vor Jahren war deutlich mehr ökologische Vernunft notwendig. Die Traditionsparteien wurden getrieben. Auch die SPD. Die war recht industrieorientiert und verflochten mit der Energiewirtschaft. Heute geht die Durchgrünung aller Politikbereiche weit über das tatsächliche grüne Wahlergebnis hinaus. Der Erfolg der Grünen macht sie beinahe überflüssig. Wenn die auffallen, dann mit Bevormundung durch Verordnung. Unsere Nachbarn ärgern sich sehr über Außenpolitik mit moralisierender Attitüde. Am deutschen Wesen wird nicht die Welt genesen. Gabriel war in der BAPP erfrischend pragmatisch, er hat die Interessen sortiert.

Zu viel Grün ist wohl auch bei jungen Leuten nicht mehr in. Auch der in der grünen NRW-Partei leider nicht prägende grüne Ministerpräsident Kretschmann hat erkannt: Für eine gute Zukunft muss nun mehr ökonomische Dynamik geweckt werden. Bildung und Forschung sind die Treiber dafür. Immer mehr begreifen: Was wir für Sozialstaat und Gerechtigkeit ausgeben wollen, muss erst erwirtschaftet werden. Im Ruhrgebiet sagt man: „Ohne Moos nix los.“ Ich respektiere Politiker, die bei dem Thema Gerechtigkeit nicht polarisieren zwischen denen, die von Transferleistungen leben und denen, die sie bezahlen und erwirtschaften müssen. Das gesellschaftliche Bündnis zwischen denen, die Transferleistung brauchen und denen, die in einer Gesellschaft leben wollen, in der es so etwas gibt, will gepflegt werden. Es geht neben Verteilungsgerechtigkeit auch um Leistungsgerechtigkeit und -bereitschaft. Die Forderung von Johannes Raus „Versöhnen statt spalten“ ist sehr aktuell. Der Blick in die USA ist lehrreich.

Es wird am 14. Mai relativ eng für Rot-Grün. Wie lässt sich die absolute Mehrheit noch gewinnen?

Hombach: Absolut? Absolut nicht. Ich bin kein Wahlkämpfer und habe keine Ratschläge zu geben. Eine Doppeldevise war in NRW immer erfolgreich, nämlich Wirtschaftsmotor und soziales Gewissen zu sein. Was als Gegensatz klingt, ist in Wirklichkeit ein Tandem, denn jeder weiß: Sozial geht nur, wenn der Motor läuft. Wenn man dem folgte, war Politik in NRW erfolgreich. Es besteht jedoch – wie gesagt – Aufhol- und Nachholbedarf in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik. Mehr Unternehmensgründungen, bessere Infrastruktur, Forschungsförderung, auch digitale Autobahnen, Hilfen für Unternehmen in neuen Märkten, Förderung der beruflichen Weiterbildung bis hin zu guten Konzepten betrieblicher Altersversorgung … . Es gibt eine Menge zu tun. Ein Land hat viel Einfluss und Möglichkeiten. Die Gesellschaft der Zukunft ist eine des Wissens. Wie sind die Schulen ausgestattet? Da sehe ich derzeit mehr Frust als Lust. „Kein Kind darf zurückbleiben“ war eine Parole. Ich frage mich: Warum ist das immer noch Parole und Wahlkampfslogan und nicht Realität?

Das klingt nach einer großen Diskrepanz zwischen dem Image von Hannelore Kraft als Kümmerin und dem Zustand dieses Bundeslandes. Ist Hannelore Kraft die richtige Kandidatin?

Hombach: Die Antwort liegt auf der Hand. Frau Kraft ist sehr populär und ihre Partei setzt voll auf diese Popularität. Sie wurde von den Genossen mit beinahe hundert Prozent gewählt. Wo gab es das schon mal? Nun tritt noch der unverbrauchte Martin Schulz an ihre Seite. Personalisierung spielt in allen Wahlkämpfen eine große Rolle, deshalb ist es auch ein Thema unserer Akademie in Bonn, daneben Fakten zu prüfen und zu bewerten, die den Alltag der Menschen ausmachen. Wer der Aufklärung verpflichtet, ist kämpft darum, sich der Wahrheit und Realität anzunähern ohne das menschliche aus dem Auge zu verlieren.

Die SPD diskutiert intensiv über rot-rote Bündnisse, auch Frau Kraft wird nicht alleine regieren können. Glauben Sie, dass diese Entwicklung in eine gute Richtung geht?

Hombach: Naja, ich sehe, die SPD hat bei der Saarland-Wahl erlitten, dass Ambivalenz in dieser Frage mobilisierend ist – nur eben nicht für sie, sondern für die CDU. Selbst deren frustriertes Potential sagt sich: Um Gottes Willen, das wollen wir nun wirklich nicht! Ich mag übrigens das Wort „Ausschließeritis“ nicht. Es suggeriert, es sei etwas Schlimmes, wie eine Krankheit, Gastritis etwa. Das Gegenteil ist richtig: Es geht um Haltung, Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit und Berechenbarkeit. Keiner will mit der AFD koalieren. Es wird keinen AFD- Innenminister geben. Ich wünsche mir die gleiche Sicherheit, keinen linken Innenminister zu bekommen. Die, die polit-genetisch noch verwandt sind mit denen, die auf Flüchtende geschossen, Mauern gebaut und von Demokratie gequatscht haben, um einen perfiden Unterdrückungsstaat aufzubauen, sind im Westen für jemanden, der dem Ruf „Mehr Demokratie wagen“ , gefolgt ist, nicht koalitionsfähig. Im Osten hat die Mehrheit in dieser Partei ein anderes Selbstverständnis. Sie verstehen sich als Kümmerer, Vertreter von Regionalinteressen und sind weniger ideologisch.

Sie haben für Schröder 1998 die Wahl organisiert und hatten damals Erfolg mit der „Neuen Mitte“. Wo würden denn heute Wahlen gewonnen werden? Wieder in der Mitte?

Hombach: Wo sonst? Die Mitte ist kein Punkt, sondern eine breite Schicht. Da sammeln sich klug Abwägende. Die wissen jede Medaille hat zwei Seiten. Für die wird eine Sache nicht dadurch richtig, weil es Parteitagsbeschluss ist. Für die Volksparteien kann man grob annehmen, dass einem ein Drittel potentiell zugetan ist und ein Drittel einen auf kein Fall wählt. Der Überzeugungskampf findet um das Drittel statt, das theoretisch beides wählen könnte. Wohin schlägt das Pendel aus? Frau Merkel hat sehr konsequent Themen und Ideen, die der SPD eigen waren, übernommen und die SPD in Teilen aus der Mitte verdrängt. Einige sind gerne ausgewichen. Frau Merkel profitiert davon, dass ursprünglich sozialdemokratische Grundideen Mehrheiten ansprechen. Es wird sehr spannend sein zu erleben, ob und wie Martin Schulz diese Themen und Weltsichten für die SPD zurückerobern kann, um die Wähler wieder zurück oder an die Urne zu holen. Emotional ist ihm der Weg dafür frei. Man ist freundlich neugierig auf ihn. Man genießt die Überwindung von Alternativlosigkeit. Nun kommt es auf die inhaltlichen Ausfüllungen an.

Auf wie hoch zweistellig wird die AfD am 14. Mai kommen?

Hombach: Der Hype, der Höhepunkt ist vorbei. Bei der Landtagswahl glaube ich nicht mal mehr an Zweistelligkeit. Die demokratischen Systeme und die Reifheit der Menschen sind stark genug, dass sie bei Fehlentwicklungen wach werden und sagen: Jetzt können wir nicht weiter dösen. In ruhigen Zeiten herrscht das Gefühl, die Politiker mal machen zu lassen. Denken folgt auf Schwierigkeiten und geht dem Handeln voraus. Wir haben jetzt genügend Schwierigkeiten, die die Leute ans Denken bringen. Alle Parteien verzeichnen, was eine Umkehr des Trends ist, wieder Zuwachs – selbst Parteien mit Strukturen, die für junge Leute nicht gerade einladend sind.

Wie sehr sind Sie selbst in diesen Wahlkampf involviert?

Hombach: Ganz und gar nicht. Ich bin durch meine Tätigkeit in der Bonner Akademie und als Bürger analysierender Beobachter. Das ist auch gut so und bleibt so.

Das Interview führten Jasmin Fischer und Helge Matthiesen.