„Deutsche Sicherheit in turbulenten Zeiten“ – BAPP, 6. April 2017

„Deutsche Sicherheit in turbulenten Zeiten“

Begrüßung von Prof. Bodo Hombach

Bonner Universitätsforum, 6. April 2017

Sehr verehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Außenminister,
verehrte Herren Kornelius und Prof. Dr. Schöllgen,

unser großartiger Moderator Herr Bröcker, Chefredakteur der Rheinischen Post, wird Sie gleich protokollgerecht vorstellen.

Roger Willemsen hat kurz vor seinem Tod ein kleines Buch vorgelegt. Darin heißt es: „Die einzige sichere Zukunft des Homo sapiens ist die Krise“. Diesem Zustand geben wir immer neue Namen: Klimaerwärmung, Übersäuerung der Meere, Abschmelzen der Gletscher, Migration, Burnout, Dürre, Glaubens- und Handelskriege, Ansteigen des Meeresspiegels, Ausbreitung der Wüsten, Ressourcenknappheit, Überbevölkerung, Artensterben, multiresistente Keime.

Sigmar Gabriel hätte Gründe zu ergänzen: – Die SPD. Deren Leitung hat er abgegeben. Er widmet sich vergleichsweise leichteren Aufgaben: dem Zerfall der EU, Afghanistan, dem Syrien- und Ukrainekonflikt, IS-Terror, Putin, Trump und Erdogan.

Er und ich rivalisieren gerade darin, wer mehr Ballast abwirft.

Zu Ernsterem zurück.

Es geht um „Deutsche Sicherheit in turbulenten Zeiten“. Vor Jahren hätte man das Thema als „zu akademisch“ abgetan. Heute hat es drängende Bedeutsamkeit.

Für sicher gehaltene Konstanten stehen zur Disposition:

  • die europäische Solidarität,
  • das transatlantische Verhältnis,
  • der Markenwert deutscher Ingenieurskunst,
  • die Überwindung nationalistischer Abschottung,
  • die Unterscheidbarkeit von Wahrheit und Lüge,
  • der redliche Dialog,
  • die Bereitschaft zum lebbaren Kompromiss.

Rahmenbedingungen unseres politischen Systems geraten ins Schwanken.

  • Der Brexit ist mehr als ein Unfall. Auch mehr als leichtfertiger Umgang mit dem Instrument des Referendums.
  • Die griechische Schuldenkrise und die italienische Bankenkrise sind mehr als lokale Misswirtschaft. Sie instabilisieren ein ganzes Währungssystem.
  • Das Ukraine-Problem ist brisanter als ein regionaler Interessenkonflikt. Gewalt ist wieder Mittel der Politik. Eine neue Aufrüstungsspirale beginnt.

Es sind Verschleißerscheinungen einer langen erfolgreichen Friedensordnung. Es handelt sich auch um immanente Strukturfehler. Die werden im Stresstest plötzlich sichtbar.

Deutsche Diplomatie steht für Pragmatismus und Besonnenheit. Wenn sich an den Verhandlungstischen Leidenschaften, offenen Rechnungen und Rachedurst ausgetobt haben, fragt unser Muster-Diplomat: „Und jetzt?“ Er will keinen Sieg, sondern einen Frieden. Ich höre aus Diplomatenkreisen von überraschend schneller Einarbeitung und Akzeptanz des neuen Hausherrn. Sigmar Gabriel ist dabei, das Erbe diplomatischer Rationalität klug zu verwalten und auszubauen.

Das Schicksal ist nicht zuständig. Die meisten Probleme sind hausgemacht. Man könnte etliches als mediale Übertreibung abwinken. Es ist aber Tatsache: Es gab Ereignisse, die Urvertrauen in die Konsistenz unserer Welt und die Kompetenz der Entscheidungsträger erschüttern:

  • Man hätte wissen können, dass einer wie Putin die Reißleine zieht, wenn ihm die NATO so nahe auf den Leib rückt, dass sie demnächst den Mietvertrag der Schwarzmeerflotte kündigen könnte.
  • Man hätte mit weniger Scheuklappen den Flüchtlingsdruck aus Nahost oder Afrika voraussehen können.
  • Man hätte wissen müssen, dass nichts so sehr Wut und Aggression weckt, wie geweckte Erwartungen, die bitter enttäuscht werden.
  • Man hätte mit weniger Wirklichkeitsverlust ahnen müssen, dass Globalisierung Widerstand erzeugt, wenn sich zu viele Verlierer ansammeln.
  • Man hätte – mit etwas gesundem Menschenverstand – wissen müssen, dass das Internet – wie jedes Werkzeug – nicht nur Licht verbreiten kann, sondern auch Schatten.

Kritische Anfragen an die Demokratie hat es immer gegeben. Deren Leistungsfähigkeit wird an den unterschiedlichsten eigenen Bedürfnissen und Wünschen gemessen. Spannung zwischen Ideal und Alltag ist unauflösbar. Nehmen die an Intensität und Häufigkeit zu, werden sie als Krise empfunden.

„Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, glaubte Hölderlin. Er wäre sich heute nicht mehr sicher:

  • Die politische Klasse lähmt sich zunehmend im Parteienstreit.
  • Große Teile der Öffentlichkeit lassen sich von einer nicht wahrheitsverliebten, sondern intentionalen Informationslage für dumm verkaufen.
  • Das Niveau des allgemeinen Umgangstons beginnt unter das Erträgliche zu sinken.
  • Eine hochemotionale Protestbereitschaft lässt kaum noch mit sich reden.
  • Demagogen scheinen es leicht zu haben, Trümmer der politischen Kultur für ihre Zwecke einzusammeln.

Wir sehen aber auch, dass wieder Leute auf die Straße gehen. In London, Berlin und anderswo. Sie demonstrieren hellwach für offene Grenzen und friedlichen Ausgleich.

Vereinzelt steigt die Wahlbeteiligung, und der Ausmarsch aus Parteien scheint – zumindest gegenwärtig – gestoppt.

Sehr verehrte Damen und Herren,

das sind nur beispielhafte Beobachtungen, die uns umtreiben. Sie werden sie längst ergänzt, vielleicht ihnen schon widersprochen haben.

Unstrittig ist: Sicherheit ist das elementarste aller Grund-Daseins-Bedürfnisse. Ist sie bedroht, tritt alles andere in den Hintergrund. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Unstrittig ist: In Zeiten von Unruhe und Desorientierung braucht es Begegnungen wie diese: einen Rahmen für lösungsorientierten Dialog. Es braucht die Bonner Akademie für praxisnahe Politik. Als sie gegründet wurde, ahnten wir nicht, wie notwendig und hilfreich sie werden würde.

Sehr geehrter Herr Außenminister, lieber Sigmar Gabriel,

wir sind gespannt auf Ihren Vortrag und auf das anschließende Gespräch.

Apropos Sicherheit. Ich bin ganz sicher, dass wir diesen Saal klüger verlassen werden als wir ihn betreten haben. Dafür vorauseilenden Dank.