„Voneinander Lernen – Erfolgsfaktoren in der internationalen Integrationsarbeit“ – Beitrag zur Publikation, 2. März 2017
„Voneinander Lernen – Erfolgsfaktoren in der internationalen Integrationsarbeit“
Publikation im Rahmen des in Kooperation mit der Brost-Stiftung durchgeführten Forschungsprojekts „Wieviel Islam gehört zu Deutschland? Integrationserfahrungen junger und alter Menschen in einer säkular geprägten Gesellschaft am Beispiel des Ruhrgebiets“
Vorwort von Prof. Bodo Hombach
März 2017
Eigentlich ist das nur ein neues Wort für einen uralten Inhalt: Im längsten Teil der Menschheitsgeschichte gab es weder Grenzen noch Zäune. Man war ständig auf Wanderung, denn man folgte den Wildherden oder der Sonne. Die Erde war dünn besiedelt, und die Sesshaftigkeit noch nicht erfunden. Aber auch nach dem Beginn der Geschichte gab es ständig Bewegungen von Individuen, Gruppen und ganzen Völkern.
Sie hatten sehr oft gute Gründe. Missernten oder Naturgewalten zwangen sie, buchstäblich das Weite zu suchen. Ein „Mongolensturm“ war ihnen auf den Fersen. Krieg, Verfolgung, sozialer Druck in ihrer alten Welt trieben sie an, eine neue zu suchen. Immer waren auch Menschen unterwegs, die einfach nur einen Traum hatten und ihn verwirklichen wollten.
Je nach den Umständen vollzogen sich solche Begegnungen konflikthaft, opferreich und kostenträchtig, oder über lange Zeiträume, behutsam und friedlich. Dann waren sie für beide Seiten nützlich. Es entstanden Zonen mit „erhöhter Temperatur“, mit großer Umsatzgeschwindigkeit von Austausch und neuen Ideen. Handwerker gingen auf Wanderschaft. Künstler suchten ferne Meister auf und schauten ihnen über die Schulter. Händler besuchten ferne Märkte. Die Herausforderungen inspirierten kreatives Denken und Handeln. Es kam zu überraschenden Lösungen und kulturell-sozialer Hochkonjunktur.
Historiker beobachten dieses Phänomen entlang der großen Handelsstraßen und Pilgerwege. Ganze Regionen profitierten davon. Die meisten Städte entstanden an Kreuzungen oder Flussübergängen. Als Friedrich der Große die in Frankreich verfolgten Hugenotten aufnahm, erlebte das unterentwickelte Preußen einen enormen Aufschwung. Auch genetisch ergaben sich positive Effekte.
Heute leben wir in einer sich rapide globalisierenden Alle bedrängenden und dringlichen Probleme scheren sich weder um natürliche Hindernisse (Gebirge, Flüsse, Ozeane, Wüsten), noch um künstliche wie Schlagbäume, Zäune oder Mauern. Was irgendwo geschieht, hat sofort und unmittelbar Auswirkungen überall. Eine Diktatur, ein Bürgerkrieg, eine Hungerkatastrophe, und Menschen setzen sich in Bewegung, fliehen aus akuter Lebensgefahr oder suchen eine Perspektive für sich und ihre Kinder.
Längst haben wir eine Welt-Innenpolitik. Es geht nur noch um die Frage: Ist sie vorausschauend und klug, oder ist sie blind, egomanisch und dumm? Alle Länder der Welt stehen vor Herausforderungen von Migration und Integration, auch die der westlichen, die sich lange für unzuständig hielten, obwohl gerade sie mit ihrer Kolonialpolitik und strategischen Interessen manche der Ursachen schufen.
Aber mit moralischen Kategorien kommt man nicht weit. Entscheidend ist die Suche nach pragmatischen Lösungen für überschaubare Teilprobleme. Der Fremde vor meiner Tür löst widerstreitende Gefühle aus. Diese schwanken zwischen Faszination und Angst.
Selbstverständlich erwarten wir, dass er sich möglichst rasch an die hiesigen Sitten und Gebräuche anpasst. Gern vergessen wir, dass auch wir lernen und uns verändern müssen (dürfen). Integration ist ein wechselseitiger Kommunikationsprozess. Er kann gelingen, wenn die Signale richtig entziffert werden, und das werden sie, wenn man sich mit Respekt und wertschätzender Neugier begegnet. Er misslingt, wenn man den Fremden in Container und Ghettos entsorgt und ihn bei jedem Versuch scheitern lässt, sich eine selbstbestimmte und menschenwürdige Existenz zu schaffen.
Sozialpsychologen sind sich sicher: Jeder Mensch braucht eine eigene Identität. Die entsteht in der Familie, in der Nachbarschaft, in seinem Milieu, seiner Arbeitswelt. Und das heißt: Sie entsteht immer im Dialog mit anderen. Sie ist der Boden unter seinen Füßen und erlaubt ihm Schritte, manchmal Sprünge. Wird sie ihm beharrlich verwehrt, weicht er aus, z. B. in pseudoreligiöse Welterklärungen. Die fanatischen Prediger stehen bereit und helfen gern bei der Selbstvernichtung, die sie ihm als gottgewollte Heldentat verkaufen. Junge Männer sind besonders gefährdet.
Integration ist kein Luxus, den sich die Zivilgesellschaft erlaubt oder auch nicht. Sie ist eine Kernaufgabe dieses Jahrhunderts. Wer an ihr nicht scheitert, kann nur von ihr profitieren. Um sie ernst zu nehmen, braucht es keine altruistischen Gefühlswallungen. Es genügt, auf hohem Niveau Egoist zu sein.
Die hier vorgelegte Publikation stellt die Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie vor. Sie hat vielversprechende Ansätze in New York, Stockholm und Wien untersucht. Ihre Erkenntnisse sind auf das Ruhrgebiet übertragbar und versprechen spannende neue Impulse für die Integrationsarbeit vor Ort.
Die vollständige Publikation finden Sie hier.