„Hoffnungsträger: Die Stunde des Christian Lindner“ – Handelsblatt, 16. Dezember 2016

Gastbeitrag für das Handelsblatt – von Prof. Bodo Hombach

Hoffnungsträger

Die Stunde des Christian Lindner

Für Politiker gilt kein Artenschutz. Wähler vergeben Blankoschecks auf die Zukunft – nicht Belohnungen für einkassierte Leistungen. Wiederkehr ist möglich. Das Liberale wird vermisst. Das führt zu Christian Lindner.

Er hat eine versunkene Partei wieder über die Wasserlinie gekämpft. Er sucht Wege, wo andere nur Probleme sehen. Er ist ein Liebhaber geschliffener Worte und Argumente, aber seine Eloquenz bleibt bei der Sache. Sie ist nicht selbstverliebtes Behagen, sondern mehr Inhalt als Manier. Im NRW-Landtag macht er für seine Partei und gegen Hannelore Kraft eine solide Opposition. Das ist – zugegeben – nicht schwer in einem Land, das sich scheinbar auf fast allen wichtigen Gebieten mit der roten Laterne abgefunden hat. Dabei gab es erfolgreiche Phasen sozial-liberaler Zusammenarbeit, als sich marktwirtschaftliche Orientierung und soziale Verantwortung noch nicht für unberührbar hielten. Nun ist er Hoffnungsträger für alle, die ein rot-rot-grünes Experiment für den ökonomischen Wiederaufstieg des Landes unverträglich und für ihren Demokratenstolz unerträglich finden.

Lindner ist unergiebig für Journalisten, die sich mit Stereotypen bescheiden oder intentional die Politik machen wollen, über die sie eigentlich zu berichten haben. Gegenüber beiden wahrt der FDP-Mann trotz Drängens eine gesunde Distanz, sowohl aus Charakter, als aus leidvoller Erfahrung. Vorgänger ließen die gebotene Trennschärfe vermissen und gerieten in den Mahlstrom personalisierender Medien. Nichts gegen intelligente Unterhaltung, aber alles gegen pseudopolitisches Tandaradei, das sich aus den ernsten Problemen der Zeit schleichen will.

Wenn Lindner es schafft, er selbst zu bleiben (und täglich neu zu werden), hätte er im Ensemblespiel der bundesdeutschen Politik die wichtige Rolle des Pragmatikers. Das Liberale ist gleichweit entfernt vom Wolkenkuckucksheim selbstverliebter Weltverbesserer wie vom lügenhaften populistischen Schrottwichteln. Beide beschädigen die aufklärerischen Konstanten unserer Zivilisation.

Lindner hält nichts vom angestrengten Moralisieren, das als Pose daherkommt. Dem FDP-Chef kann man durchaus Werte unterstellen, aber er trägt sie nicht pastos vor sich her. Er scheut die Attitüde des dogmatischen Predigers oder des leutseligen Kümmerers. Wo andere das Suchen üben, übt er das Finden. Schwache Politiker halten das für Schwäche. Er darf es sich als Stärke anrechnen. Er schafft sich damit einen Raum, in dem er sich und der Sache treu bleiben kann.

Ein Hoffnungsträger bliebe wirkungslos ohne den Resonanzboden einer verbreiteten Hoffnung. Gerade sendet Frankreich ein solches Signal mit der Nominierung des Francois Fillon für die Präsidentschaftswahl. Dass ein Wirtschaftsliberaler, der ein hartes Spar- und Reformprogramm verkündet und nichts verspricht, was er nicht halten kann und damit erkennbar auf der Linie des Schröder-Blair-Papiers liegt, die Konkurrenten in seiner Partei überflügelt oder in Rente schickt, ist erstaunlich. Dabei mögen seine „hausväterliche“ Ruhe und sein prinzipienstrenger Katholizismus eine Rolle spielen. Sein Erfolg belegt: Wenn das Schiff in wirklich schwere Wasser gerät, springen nicht alle blind in die löchrigen Rettungsboote hilfloser Helfer. Viele klettern dann auch in die Wanten, halten das Steuer und korrigieren den Kurs. Vielleicht ist es die Rückkehr zur Vernunft in dem Land, das die politische Vernunft für Europa überhaupt erfunden hat.

Man soll den kommenden Wahlen nicht vorauseilen. Es gibt eine quotenträchtige Zustimmung zum radikalen Wandel, denn das Versagen der Eliten und ihre gefährliche Distanz zu den Entwurzelten der Globalisierung ist nicht zu leugnen, aber sind Marine Le Pen und Konsorten wirklich die rettende Alternative? Gegen politische Kernschmelze hilft keine Schnellabschaltung des Denkens.

Als Francois Hollande noch Generalsekretär der Sozialisten war, raunzte er mich an: „Macht ihr Technokraten doch die Politik, die ihr wollt, aber lasst uns Linken die alten Lieder!“ – Das Ergebnis war eine Politik, die die, die soziale Gerechtigkeit brauchen, gegen die ausspielte, die sie wollen und finanzieren. Das wurde zum Debakel für Frankreich und Europa, so gründlich, dass nun die Linken auf die Konservativen setzen müssen, um den Front National zu verhindern. Notorischen Umverteilern scheint zu dämmern, dass man erst erwirtschaften muss, was man verteilen will.

Ein möglicher Weckruf für den wirtschaftsliberalen Zweig des deutschen Liberalismus. Christian Lindner muss diesen nicht im Rückspiegel rekonstruieren. Er könnte sich für dessen Modernisierung zum Sprecher machen. Es bedarf keiner Barrikadenkämpfe. Verantwortlich denkende Wirtschaftsführer haben längst begriffen, dass sie mit der Illusion unbegrenzter Ressourcen und einer Müllhalde namens Erde keine Zukunft haben. Wenn sogar VW – aus vielen Wunden der Selbstverstümmelung blutend – nun massiv auf Erneuerung setzt, und die Deutsche Bank zugunsten von Solidität und Vertrauen auf Taschenspielertricks verzichtet, dann steht die Wetterfahne günstig.

Auch der andere Zweig des deutschen Liberalismus, der Machtkontrolle, Menschenrechte und Bürgerfreiheiten hätte Konjunktur. Durch die technisch getriebene Anarchie des Internets ist die Selbstbestimmung des Menschen auf ganz neue Art bedroht. Eine Handvoll Drahtzieher, durch nichts legitimiert als durch pekuniäre und Machtinteressen, ist dabei, die Individualgesellschaft in eine Massengesellschaft zu verwandeln. Der Bürger ist da nur noch Terminal für Werbeterror und unfreiwillige Selbstentblößung. Außerdem: Der ganze Rest dieses Jahrhunderts wird nötig sein, dasjenige an rechtlichen Errungenschaften wieder zurückzugewinnen, was im Schatten von Terrorangst, wachsender Kriminalität – auch Cyberkriminalität – und leichtfertigem Vergessen verlorenging.

Wenn es Christian Lindner gelänge, beide zentralen Inhalte der liberalen Semantik im Dialekt unserer Epoche zu verbünden und sie (dynamisch) in der Waage zu halten, gehörte er nicht zu den Gestrigen, sondern zu den Modernen von Übermorgen. Er hat das Zeug dazu.