„Wege der Krise: Das Europa der Regionen stärken“ – BAPP, 07. Dezember 2016
„Wege der Krise: Das Europa der Regionen stärken?“
Begrüßung und Einführung Prof. Bodo Hombach
Universitätsclub Bonn, 7. Dezember 2016
Verehrte Frau Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer,
verehrte Damen und Herren!
„Wenn etwas nicht funktioniert, ist es meistens zu groß.“ – Ich weiß nicht, wer diesen Satz aufgeschrieben hat, aber er ist durchaus richtig. Man sollte den Gedanken weiterspinnen.
Rilke bemerkte in seinem Stundenbuch „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, / die sich über die Dinge ziehn.“ Wer’s weniger poetisch mag, kann es sich bei Entwicklungspsychologen und Historikern bestätigen lassen:
Vom Kleinkind bis zum Greis, von der altsteinzeitlichen Wohnhöhle bis zur modernen Gesellschaft: Menschen und Gruppen entwickeln sich in Stufen. Sie leben in Kreisen, deren Umfang ihrem aktuellen Bewusstsein entspricht. Für viele reicht das nicht weiter als bis zum Vorgärtchen oder Kegelklub.
Andere haben nach Studium und Reisen einen großen Horizont. Bei wenigen umfasst dieser sogar Räume der Geschichte und der Zukunft. Der Grad an Abstraktion und Komplexität, den Menschen bewältigen können, ist individuell sehr variabel. Im übersichtlichen und vertrauten Gelände fühlen sie sich geborgen. Da besteht eine Kongruenz zwischen innerem Bewusstsein und äußeren Lebensumständen. Bei anhaltender Überforderung entstehen Unruhe, Ängste und Aggressionen. Kommen diese dann als Überfall daher, gibt es Umbrüche oder gar Abbrüche, wird es ungemütlich. Die Folge sind irrationale Reaktionen.
Die kann man abfedern. Das geht im vertrauten Milieu, in Familie und Verein. Man kann dem Neuen durch behutsames Erklären seinen Schrecken nehmen. – Familien zerfallen und Vereine trocknen aus. Treiber der Entwicklung blicken häufig verächtlich auf die Nachzügler. Sie wollen nicht zuhören und nachfragen. Sie interessieren sich für ihre Geschäfte. Manche träumen am ideologischen Schreibtisch vom „neuen Menschen“.
Wir leben politisch auf drei Ebenen: Die kommunal-regionale Eben. Sie ist uns vertraut. Man spricht die Sprache, kocht die Rezepte, feiert die Feste. Soziologen schätzen, dass wir uns 85 Prozent des Lebens in diesem überschaubaren Raum bewegen. Für die nationale Ebene und erst recht die supranationale bleibt viel weniger Aufmerksamkeit.
Der Nationalismus war eine Erscheinungsform des Tribalismus. Er markiert die Pubertätsphase der Völker mit allen Merkmalen, die dazugehören: Identitätskrise, bandenmäßige Zusammenrottung, Imponiergehabe, Türknallen und Rauflust. Das Ergebnis waren eskalierende Konflikte, zuletzt zwei Weltkriege, die Europa an den Rand der Vernichtung brachten.
Das begründet den Entschluss: Aufbau einer Staatengemeinschaft als Friedensordnung. Interessenausgleich und gemeinsamer Nutzen. Nicht nur als Bündnis zum Schutz und Trutz vor äußeren Feinden, sondern vor allem als Schutz der Mitglieder vor ihren eigenen schlechten Gewohnheiten. Deutschland wurde auf diesem Weg wieder ein geachtetes Mitglied der zivilisierten Völker.
Später rückte ein weiteres Moment in den Vordergrund. Neben die Bewältigung der Vergangenheit tritt die Bewältigung der Zukunft. Wir erkennen, dass die großen Herausforderungen globaler Natur sind. Zähmung der Finanzmärkte, Schulden- und Eurokrise, Klimawandel, Armutswanderung, bewaffnete Konflikte, Terrorismus.
Sie alle respektieren weder Schlagbäume, noch Flüsse, Gebirge oder Wüsten. Sie sind nur in supranationaler Zusammenarbeit zu bewältigen. Mit der Globalisierung traten neue Spieler auf den Plan. In diesem Maßstab sind die einzelnen Staaten Europas – auch die größten – nur noch eine Marginalie.
Die Verschiebung klassischer Souveränitätsrechte von der nationalen Ebene in die europäische wurde akzeptiert. Es entstand jedoch ein Vakuum. Die Leute nahmen es hin, solange draußen die Sonne schien. Dann häuften sich die genannten Krisen. Die große Politik schien den Verantwortlichen zu entgleiten. Sie war – gefühlt – zum Spiel geworden. Spiele erzeugen Gewinner und Verlierer. Die Zweifel an den Spielregeln wuchsen. Signifikante Wählerschichten fühlen sich abgehängt und ferngesteuert. Es kommt zu anschwellenden fundamentalkritischen Bewegungen. Früher erwartete man von der Zukunft Neues, vielleicht Besseres. Jetzt schreckt die Zukunft eher ab.
Demagogen nutzen ihre Chance. Sie schüren die Angst, bieten schnelle Lösungen an: In der Gegenwart bleiben oder zurück in eine romantisierte Vergangenheit. Abwehr des Fremden und Neuen. Mauern, neue Schlagbäume, alte Ressentiments.
Manchen scheint die europäische Ebene übermächtig und die nationale nur eine schwache Alternative. Wir fragen uns, ob die Regionalität eine neue Chance der Identifikation bietet. Regionalität und europäische Orientierung scheinen kein Gegensatz – vielleicht bedingen sie einander. Nur wer fest verwurzelt ist, kann dem rauen Wind der Globalisierung standhalten.
Meine Damen und Herren,
ich bin sicher, dass unsere Gäste uns mit interessanten Erfahrungen und Vorschlägen überraschen werden. Der leitende Redakteur des Senders Phoenix, Herr Krons, wird unsere Gäste nach der Rede von Frau Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer protokollgerecht vorstellen.
Ich danke Ihnen.