„Medien als vierte Gewalt“ mit Dr. Stefan Willeke (Die Zeit) – Uni Bonn, 07. Dezember 2016

Medien als vierte Gewalt

Einführung

Prof. Bodo Hombach

Gast: Dr. Stefan Willeke – DIE ZEIT

7. Dezember 2016

Verehrter Herr Dr. Willeke,
meine Damen und Herren,

unser Gast ist einer der herausragenden Journalisten der Bundesrepublik. Er studierte Geschichte und Politikwissenschaft in Bochum und ging nach der Promotion als Reporter zum Wochenmagazin DIE ZEIT. Nach einem Wechselschritt zum Spiegel ist er wieder bei DIE ZEIT als Chefreporter für alle Ressorts tätig, Schwerpunkt Wirtschaftspolitik. – Dank an Ihren Kalender, dass er den Besuch erlaubt hat. Unsere „Willkommenskultur“ in diesem Seminar ist herzlich und ungebrochen. Ich werde mich kurzhalten, um Ihrem Referat und der Diskussion keine Zeit zu stehlen.

Wir untersuchen die Rolle der Medien als Berichterstatter und Akteur des politischen Systems. Offenbar gibt es eine neue Brisanz dieses Themas und damit Gründe, genauer hinzuschauen. Über die Grundlagen haben wir uns schon verständigt. Zur Erinnerung:

Seit der Aufklärung wissen wir: Jedes Staatswesen ist eine Methode, das Problem der Macht zu organisieren. Unter den bekannten Möglichkeiten erscheint uns die Demokratie als die einzig moderne und zukunftsfähige. Nur sie eignet sich, die nötigen Entscheidungen herbeizuführen und dabei den immer möglichen Machtmissbrauch einzudämmen. Ihr Ziel ist die Gestaltung einer offenen Bürgergesellschaft mit friedlichem Ausgleich der Interessen und unaufgeregtem Stabwechsel bei der Besetzung politischer Ämter. Dass dabei unterschiedliche Weltbilder und Haltungen konkurrieren, liegt in der Natur des Menschen.

Auch das System ist keine gesicherte Errungenschaft. Es wird zwar durch historische Erfahrungen, Verfassungen, Gesetze, Traditionen geschützt, bleibt aber ständig bedroht durch die ideologischen oder ökonomischen Partikularinteressen einzelner Personen und Gruppen. Die haben es schwerer gegen eine aufgeklärte Öffentlichkeit. Und diese entsteht durch aufklärende und unabhängige Medien.

Wie sieht es damit aus? Das beschriebene Modell ist weitgehend konsensual. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Täglich gibt es Streit um einzelne Artikel, Kommentare, Sendungen, Blogs. Das war immer so und wird so bleiben. Jeder Mensch lebt in seiner Meinungsblase. Die ist determiniert durch Erziehung, Charakter, Bildung, Milieu, Beruf, Parteibuch und Interessen. Man hungert nach Bestätigung und ärgert sich über Widerspruch. Selektive Wahrnehmung verengt den Blick. – Daran kann man nicht viel ändern. Es gehört zur kleinen Dämonologie des Alltags.

Es gibt jedoch aktuelle Entwicklungen, die weit darüber hinausragen. Sie kennzeichnen den Umbruch, stellenweise den Abbruch, den wir erleben. Maßstäbe gehen verloren. Kriterien scheinen nicht mehr zu gelten. In einer Phase, wo wir verantwortliche und professionelle Medien besonders nötig hätten, lassen sich viele korrumpieren und neigen fast zur Selbstaufgabe. Das tun sie in der Annahme, unseren Wünschen entgegenzukommen – und haben nicht ganz Unrecht damit.

Hier nur ein paar Aspekte:

  • Der moderne Medienkonsum suggeriert uns eine unbegrenzte Freiheit und Offenheit bei der Wahl unserer Informationsquellen. Tatsächlich steuern Netzwerke und Suchmaschinen über Big Data und die von uns angelegten Profile das Angebot.
  • Im Kampf um mediale Aufmerksamkeit geht es oft nur noch um inhaltsleere Erregungszustände, die sich gegenseitig überbieten. Die eigentlich wichtigen Themen werden ausgeblendet.
  • Unprofessionelle Journalisten beschränken sich nicht auf ihre Rolle als Berichterstatter. Sie betätigen sich als politische Akteure ohne Mandat.
  • Vorgaben bestimmter Medien werden massenhaft und ohne eigene Recherche nachgeschrieben. Unwichtiges und sogar Falsches bläht sich kampagnenhaft auf.
  • Populistische Bewegungen haben das hemmungslose Lügen als Erfolgsrezept entdeckt. Über die sozialen Medien mobilisieren sie unkritische Massen und gewinnen damit Volksabstimmungen und Wahlkämpfe.
  • Demagogen besetzen das Vakuum, das die seriöse Presse hinterlässt, wenn sie den Kontakt zu den einfachen Menschen verliert.
  • Der Stil politischer Kontroversen erlebt gegenwärtig eine Verluderung ohnegleichen. Wer sich öffentlich exponiert, erntet nicht nur Kritik, sondern gemeinste Beleidigungen, Hassbotschaften, Morddrohungen.

 

Soweit dieser kleine Katalog beunruhigender Wahrnehmungen. Sie werden ihn leicht verlängern können und sollten es tun.

Die Rolle der Presse war immer umstritten. Autokraten halten sie überhaupt für überflüssig, und die liegen zurzeit mal wieder im Trend.

Wir streiten also auf hohem Niveau, und das ist zunächst ja auch ein demokratisches Lebenszeichen. Ich betone immer wieder: Eine freie Presse ist keine Veranstaltung für die offene Gesellschaft, sondern eine Veranstaltung der offenen Gesellschaft. Sie gilt als die „Vierte Macht“ im demokratischen Staat. Da sie sich jedoch nicht durch Wählerwillen legitimieren kann, muss sie es durch verantwortliches Handeln tun. Fehlentwicklungen, die auf Strukturschwächen hinweisen, sind deshalb systemrelevant. Man sollte sie sehr ernstnehmen. Mindestens durch freiwillige Selbstkontrolle und kritische Begleitung durch Sie und mich.

Lieber Herr Dr. Willeke, Ihr Stichwort!