„Kommunikationsstress im Ruhrgebiet: Die Gesprächsstörung zwischen Politikern, Bürgern und Journalisten“- Brost-Stiftung, 27. Oktober 2016
Kick-Off-Veranstaltung zum Projekt
„Kommunikationsstress im Ruhrgebiet: Die Gesprächsstörung zwischen Politikern, Bürgern und Journalisten“
Grußwort Prof. Bodo Hombach
Duisburg, 27. Oktober 2016
Sehr verehrte Damen und Herren,
heute geht es um ein interessantes Projekt. Über Einzelheiten werden Sie gleich von Berufeneren informiert. Dafür herzlichen Dank.
Ich möchte mich – quasi propädeutisch – in dem thematischen Rahmen bewegen, um den es geht. Nehmen Sie es als Beobachtungen eines Menschen, der auf allen beteiligten Seiten – Politik, Wirtschaft, Medien, Täter und Opfer – ausgiebige Erfahrungen gemacht hat.
Wir konstatieren eine Störung der öffentlichen Kommunikation. Wir vermuten dahinter mehr als ein flüchtiges Phänomen. Es ist kein spezifisches Problem unserer Region. Es ist international zu beobachten.
- Sichtbar geschieht es in entwickelten und offenen Gesellschaften. Die sind auf störungsfreie Kommunikation angewiesen. Die haben dafür alle denkbaren Foren und Instrumente.
- Es geschieht in Ländern, die einen historischen Hochstand von Sicherheit und Versorgung bieten.
- Es geschieht in grobianischen Formen dicht an der Schwelle zur Gewalt (auch schon darüber hinaus). Das hat man in der politischen Auseinandersetzung eigentlich für überwunden gehalten. Es gibt eine verstärkte Neigung zum Beleidigtsein.
Menschen geben sich enttäuscht, verraten, mit ihren Ängsten alleingelassen. Man höre ihnen nicht zu. Also müssten sie schreien. Demagogische Souffleure heizen die Stimmungen an. Sie liefern die Schuldigen gleich mit. Viele ihrer Gefolgsleute – sie werden auf 40 % der Bevölkerung geschätzt – haben sich vorher nie „res-publikanisch“ interessiert. Erst recht nicht engagiert.
Gefühle haben ihre eigene Logik. Enttäuschungen, Angriffe, Demütigungen sind schmerzhaft. Buchstäblich. Neurologen können das nachmessen. Im Hirn flackert das gleiche Zentrum, das auch ein Hammerschlag auf den Daumen oder der Fußtritt des Tanzpartners aktiviert.
Wir wissen: Kaum etwas wirkt auf den Einzelnen oder die Gesellschaft negativer ein, als enttäuschte Erwartung. Solche Enttäuschung nährt Wut bis zur Gewalttätigkeit. Erwartungen werden leichtfertig geweckt.
Vielleicht ist man im Ruhrgebiet weniger enttäuscht als anderswo. Man erwartet nicht viel. Hier leben die Leute seit 150 Jahren in einem technisch-ökonomisch-kulturellen Unruheherd. Nicht sanfter Ausgleich, sondern grelle Gegensätze kennzeichnen die Geschichte. Zahlreiche Armutswanderer strömten hinein. Man arrangierte und integrierte sich. Bisher jedenfalls.
Entwicklungen kamen zumeist als Überfall. Sie fragten nicht höflich, ob es denn recht sei. Sie warteten nicht auf Parteitagsbeschlüsse oder Parlamentsdebatten. Wer am Neuen nicht scheitern wollte, der durfte nicht lange fremdeln oder trauern.
Ohne in Romantik zu verfallen: Im Ruhrgebiet ist die Neigung relativ groß, sich selber zu helfen. Die Erwartung, dass Politik und Medien es schon richten werden, ist nur zart entwickelt. Alte Bewusstseinsstudien belegen das. Es gibt signifikante Mehrheiten für den Satz: „Wir haben größere Probleme als andere, aber wir schaffen das.“ – Wäre ich ein Aphoristiker würde ich zuspitzen: „Unsere Probleme sind moderner als anderswo die Lösungen.“
Aber natürlich: Das Ruhrgebiet ist keine Insel. Das war es nie. Man nannte es das schlagende Herz Deutschlands. Das heißt ja dann wohl:
- Es hielt den Kreislauf in Gang.
- Es war über kommunizierende Röhren mit allen wichtigen Organen verbunden.
- Seine Wirkungen reichten bis in entfernte Kapillaren.
- Störungen wurden noch weit entfernt bemerkt.
Heute – so drängt sich der Eindruck auf – merkt man nicht einmal irgendwas in Düsseldorf.
Glaubwürdigkeitskrise der Politik und der Parteien ist seit Jahrzehnten Thema. Eigentlich recht neu ist die Glaubwürdigkeitskrise der Medien.
Wer nur auf „Glauben“ setzt, statt auf Transparenz und Teilhabe, hat die Aufklärung verpasst. Die Demokratie hat keine Obrigkeit, die per Verlautbarung kommuniziert.
Entscheidungen resultieren aus dem Widerstreit der Meinungen bei Respekt vor der Person des Gegners. Wir nennen das politische Kultur. Wenn sie gestört ist, weil sich jeder im Alleinbesitz der Wahrheit wähnt und im Andersdenkenden nur noch den Dummkopf oder Bösewicht sieht, bricht das System zusammen.
Ein intaktes System kann nichts Besseres erreichen als einen Kompromiss.
Der ist nicht Fehler oder Krankheitssymptom, sondern das Bestmögliche überhaupt. Er lässt verschiedene Konzepte nebeneinander bestehen. Wer weiß schon heute, welches übermorgen das Richtige gewesen sein wird!
„Versöhnen statt Spalten“ ist nicht in Mode. Gerade Medien bevorzugen den Konflikt. Dann haben sie etwas zu berichten.
Wir beobachten die Zerlegung der Volksparteien. Sie waren lange Garant für politische Stabilität. Die deckten ein breites Spektrum ab, machten aber die Ränder unzufrieden. Besonders, wenn sie meinten, die Welt sei restlos unter ihnen aufgeteilt.
Aus abweichenden Bewegungen entstehen „one-issue-Parteien“. Die ersetzen den Horizont durch einen Standpunkt. Sie verkünden den Weltuntergang, wenn man ihnen nicht folgt.
Beim Stichwort Glaubwürdigkeit sehe ich neuerdings Medien im Fokus. Der intentionale Journalismus verbreitet sich. Er mandatiert sich selbst.
Prinzipiell ist Zweifel an der Verlässlichkeit der Medien nicht neu. Christian Morgenstern wunderte sich schon, dass immer genau so viel in der Welt passiert, wie in die Zeitung passt.
Medien werden von Menschen gemacht. Also gibt es selektive Wahrnehmung und vorgefasste Meinung. Wie jede Branche hat auch diese ihre Windbeutel und Raubritter. Aber auch Journalisten mit Weitblick, Professionalität und einem ethischen Anspruch an sich selbst.
Für die Glaubwürdigkeitskrise der Medien gibt es Gründe:
- Totale Ökonomisierung.
- Verdrängungswettkampf,
- Personalisierung der Sachverhalte.
- Künstliche Dramatisierung und Skandalisierung.
- Journalisten wollen mitregieren, statt kritisch zu beobachten.
Der intentionale Journalismus will beeinflussen, statt objektiv zu informieren.
Das Relative an der „Objektivität“ ist nicht zu bestreiten. Aber wer den Anspruch aufgibt, wird das Bild und Selbstbild des Qualitätsjournalismus zertrümmern.
Wir machen wenig Primärerfahrungen. Medien sind der unverzichtbare Vermittler von Sekundärerfahrungen. Wenn sie uns kein realistisches Bild unserer Welt und Umwelt präsentieren, haben wir ein Problem.
Der rasanteste Umbruch der Medienlandschaft resultiert aus der anarchischen Phase des Internets. Jeder hat einen Weltsender in der Tasche. Grenzenlose Manipulierbarkeit von Text und Bild.
Seriöse Medien haben eine Aufklärungsfunktion, aber auch eine Integrationsfunktion. Wenn sie beides verlieren, ist das demokratische System in Gefahr.
Ja. Es gibt sie, die Kommunikationsstörung zwischen Bürgern, Politik und Medien.
- In einer Zeit, die nichts nötiger hätte, als den offenen und realitätsnahen Diskurs.
- In einem sich scharf polarisierenden Land.
- In einer EU, wo starke Bewegungen und schwache Regierungen auf Rückwärtsträume setzen vor dem Hintergrund gefährlicher Konflikte in der Welt.
Es hagelt Stichworte in jeder Talkshow, in jedem Zeitungskommentar, in jeder öffentlichen Debatte:
- Abstiegsängste.
- Globalisierung als Bedrohung.
- Verachtung der Eliten von unten.
- Verachtung der Unterschichten von oben.
- Parteienkritik,
Dass der Ruf nach „Volksabstimmung“ zur Drohung wird, ist für Demokratien ein schweres Dilemma. Viele politische Projekte der Gegenwart sind nicht referendumsfest. Überbordende Geschwätzigkeit, bei gleichzeitiger argumentationsarmer politischer Kommunikation. Dröhnende Sprachlosigkeit, wo Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit nötig wäre.
Das muss uns nicht in Angstpsychosen stürzen. Es darf aber Sorgen machen. Es macht neugierig auf die Hintergründe, Strukturen und Mechanismen, vielleicht sogar Lösungswege.
„Was tun?“, fragte Erich Kästner und gab sich selbst die Antwort: „Was tun!“
Genau das gehört zum Selbstverständnis der Brost-Stiftung. Wir unterstützen Projekte, welche die Herausforderung annehmen: Hier. An Ort und Stelle. Mit einer relevanten Thematik, für das Wohl der Ruhr-Region und ihrer Bewohner.
Ich danke Ihnen und übergebe an die großartige Mannschaft der NRW School of Governance, und später wird auch Herr Prof. Dr. Korte noch einmal zum Thema sprechen.