„Muslimisch – weiblich – deutsch? Integrationserfahrungen muslimischer Mädchen und Frauen“ – BAPP, 14. April 2016
Sehr verehrte Frau Schwarzer,
sehr verehrte Frau Kaddor,
sehr verehrter Herr Seidl
sehr verehrter Herr Toprak,
ein so hochrangig und fachkundig besetztes Podium ist ein Versprechen für einen erfahrungs- und erkenntnisreichen Abend. Herzlichen Dank, dass Sie bei uns sind.
Die WDR-Journalistin Frau Anja Bröker hat trotz ihrer jungen Jahre eine beachtliche journalistische Laufbahn an fast allen wichtigen Brennpunkten von Moskau, Peking, New York und anderen Stationen hinter sich. Logisch,
dass sie Mitglied bei „Reporter ohne Grenzen“ ist. Gegenwärtig muss sie früh aufstehen, sie verantwortet wichtige Elemente des ARDMorgenmagazins. Frau Bröker wird es übernehmen, unsere Gäste, die Ihnen zwar bekannt sind, protokollarisch korrekt vorzustellen.
Mir bleiben das herzliche Willkommen und der große Dank.
Religionen streiten nur noch selten mit anderen Religionen. Wenn sie streiten, aus machtpolitischen, ethnischen und stammesgeschichtlichen Gründen. Viele Konfliktlinien verlaufen intern. Sie verlaufen auch zwischen gestern und morgen, Mann und Frau, Jung und Alt, dogmatisch und offen, statisch und dynamisch.
Der Islam ist gerade im Fokus. Er ist in einem Findungsprozess. Das kennen andere Religionen auch. Muslime verfügen durchaus über Mittel, den Herausforderungen der Moderne konstruktiv zu begegnen. Das muss nicht Unterwerfung unter ein Diktat pseudo-moderner Ideologien sein. Dialog ist Bereitschaft, sich selbst mit dem Blick des anderen zu betrachten. Der Dialog der Zivilisationen beginnt nicht mit dem Austausch von Glaubenssätzen. Welcher Gott der „Richtige“ ist, müssen die Religionen mit sich selber ausmachen. Vermutlich gibt es fast so viele Gottesbilder wie Menschen. Wer das Seinige mit Druck, gar Gewalt gegen andere durchsetzen will, ist ein Problem für sich und für uns. Es löst natürlich Widerstand und Gegenwehr aus. Es ist ergiebiger, sich mit anderen über zentrale Werte des Zusammenlebens zu verständigen. Das kommt nie an ein Ende. Man muss nicht bei Null anfangen.
Wir besitzen einen Erfahrungsschatz. Auch der Neugeborene findet ihn vor: In Traditionen, Gesetzen, Verfassungen. Jahrtausende haben ihn gesammelt. Mutige Leute haben ihn erkämpft und herbeigelitten. Der reicht aber nicht aus, um sich in einer globalen Welt zu orientieren. Die Kulturen sind nicht mehr geschützt durch Ozeane, Wüsten oder hohe Berge. Handelsinteressen, Tourismus, aber auch Kriege und Katastrophen setzen Völker in Bewegung.
Dialog beginnt mit gegenseitiger Anerkennung. Im Rahmen allgemeiner Menschenrechte gibt es Wege, im Einklang mit der Gegenwart zu leben. Ein Dialog kann trotz realer und gefühlter Ungleichzeitigkeiten gelingen. – Es braucht ihn nicht nur zwischen den Kulturen, sondern auch innerhalb jeder einzelnen.
Auch hier gibt es Gegenwartsverzicht und Zukunftsangst. Asymmetrien, de-nen nicht mehr einfällt als Sprachlosigkeit und Gebrüll. Okzident – Orient als gegensätzliche Pole entstammen gefährlich vereinfachter Sicht. Die ist darauf aus, das Gegenüber abzuwerten. Das legt die Lunte an sehr große Fässer. Freiheit, Menschenwürde und Entwicklungschancen sind bedroht. Da sollten Juden, Christen, Humanisten oder Muslime sich nicht im Feind täuschen. Gemeinsame Gefährdung erleichtert gemeinsames Handeln.
Kenner des Islam versichern, es gäbe eine prophetische Überlieferung, die für jedes Jahrhundert einen Reformer ankündigt. Der werde das Verständ-nis erneuern, das Muslime von ihrer Religion haben. Das sei nicht Erneue-rung der Quellen, sondern ihrer Interpretation. Es ginge um Entwicklung und Entfaltung.
Alle Religionen und Kulturen müssen sich dem stellen. Keine kann nach innen oder außen überzeugen, wenn sie ihrem Gott nicht Größeres zutraut als pedantisches Beharren auf historische Konflikte.
Der Buchstabe tötet. Der Geist macht lebendig. Neue Umgebungen sind Chance, den Geist der eigenen Buchstaben neu zu entdecken. Wer die Welt durch Schießscharten betrachtet, wählt den kleinstmöglichen Aus-schnitt.
Als Juden im babylonischen Exil über das Ende von allem klagten, rief ihnen der Prophet Jeremias zu: „Suchet der Stadt Bestes!“
Heute hätte er gesagt:
– “Taucht nicht ab! Werft keine Bomben!“
– „Seid aufrichtige und engagierte Bürger in diesem wie in jedem an-deren Land.“
– „Helft beim Aufbau einer Gesellschaft, in der Wohlfahrt und Gerech-tigkeit keine Fremdwörter sind.“
– „Lasst euch nicht von Fanatikern schrumpfen.“
– „Denkt größer, über euern Gott, über euch selbst und über die Welt!“
Keine leichte Aufgabe, wenn man es gegen das eigene Elternhaus und Tra-ditionen versuchen muss. – Eine schwere Aufgabe, wenn die Mehrheitsge-sellschaft einem fremd und ablehnend gegenüber steht.
Aufklärer sind überzeugt: In einer globalen Welt müssen Staat und Religion getrennte Wege gehen. Es tut beiden gut, sich nicht mehr mit den Fehlern des anderen identifizieren zu müssen. – Die christlichen Kirchen haben das entdecken müssen. Das ist noch nicht lange her.
In einem preußischen Hofbericht heißt es: „Hierauf begaben sich Aller-höchste in den Dom, um dem Höchsten zu danken.“
Ein friedliches Gemeinwesen braucht die Entsakralisierung der Politik und die Entpolitisierung des Sakralen. Es geht auch um einen Kampf gegen die Infantilisierung und die Entrechtung der Frauen – und damit auch der Män-ner. Der ist auch in der westlichen Gesellschaft noch nicht gewonnen.
Musliminnen und Muslime werden oft als „gemäßigt“ bezeichnet, wenn sie ihren Glauben nicht praktizieren. Das greift zu kurz. Es diffamiert diejenigen, die aus ihrer Religion Kraft beziehen. Auch Kraft, über den Schatten der ewig Gestrigen zu springen.
Die Bewahrung der Identität steht der sozialen und bürgerlichen Partizipa-tion nicht entgegen. Sie kann ihre Voraussetzung sein. Nur wer auf festem Boden steht, wagt den Sprung.
Ich fand einen Satz des Propheten: „Erst binde dein Reittier an. Dann ver-traue auf Allah!“
Wir haben die Geschichte von dem Bauern, dessen Felder vertrocknen. Er wendet sich an den Pfarrer. Der solle seine Verbindungen „nach oben“ spie-len lassen und um Regen zu beten.
Nach einer Woche zeigt sich noch immer kein Wölkchen. „Was ist?“ fragt der Bauer. „Geduld!“ sagt der Pfarrer. „Das Beten hat noch keinen Zweck. Das Barometer steht noch nicht günstig.“
Einige sagen, wir hätten ein „heikles“ Thema. Diese Akademie ist ein Ort, wo Themen nach ihrer Relevanz beurteilt und in ihrer Vielfalt erkundet wer-den. „Heikel“ ist hier keine Kategorie.
Ich freue mich auf einen anregenden Dialog. Wir können fest erwarten, klü-ger zu gehen als wir gekommen sind. Das war schon oft der Fall. Ganz sicher auch heute!