Keynote – Führungskräfteforum des WDR, 28. Januar 2016

Sehr verehrte Damen und Herren,

eine unvermutete, aber interessante Zusammenkunft: Ein ehemaliger Manager mit heftiger Umstrukturierungserfahrung – auch im politischen Teil seiner Biografie – erst recht in den zehn Jahren als Geschäftsführer eines internationalen Handelshauses und noch mehr in den zehn Jahren der Verantwortung für eine Gruppe von „Holz-Medien“ – zu Gast bei den Führungskräften des Westdeutschen Rundfunks. Ich danke für die Ehre der Einladung. Vor Jahren hätte ich gefremdelt.

Inzwischen hat sich das duale System eingespielt. Kassandrarufe, die sich gegenseitig Untergang prophezeiten, waren überanstrengt. Wettbewerb hält frisch.

Dazu die Geschichte von zwei Großwildjägern: Einer zieht Turnschuhe an. „Glaubst du, damit rennst du schneller als der Löwe?“, fragt der Andere. – „Nein“, sagt sein Gefährte, „aber schneller als du.“

Klassische Mediengattungen stehen vor gemeinsamen Chancen und Risiken. Das sollte Verbindungen schaffen. Ich habe nichts zu verkünden. Schon gar nicht vom hohen Ross. Ich will laut denken, fast als Selbstgespräch. Neuerdings genieße ich die Unabhängigkeit eines Hochschullehrers.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in unserem Land ist Kulturinstitution. Die hat auch den Journalismus davor bewahrt, so herunterzukommen wie in anderen Ländern.

Nachricht ist Ware, aber nicht nur. Marktgesetze haben Sinn, aber nicht überall.
Das Publikum ist ernst zu nehmen – ernster als es sich selbst häufig nimmt.
Empfänger von Massenmedien ist die Individualgesellschaft.

Nun ist Digitale Revolution. Nichts bleibt verschont. Schon gar nicht die Medienwelt. Im Guten wie im Schlechten.

Alles ist Kampf um eine Ressource: die Lebenszeit und Aufmerksamkeit der Leute.
Es erwuchsen unbegrenzte Möglichkeiten und Unmöglichkeiten:

• naive Anarchie der Kommunikation,
• schwellenlose Mobilität der Geräte,
• ein gigantisches Angebot an Informationen und Desinformationen.

Ein Netz fängt auf und auch ein. Probleme, besonders durch Anonymität sind gewaltiger als erwartet.

Wir erleben Auflösung klassischer Milieus. Wir sind noch am Anfang. Wir erleben neue Fragilität des zivilisatorischen Überbaus, uneingeübte Nähe scheinbar ferner Konflikte. Wir erleben veränderte Prioritäten der Steuermittelverwendung, eine Asynchronität von Aufwand und Wirkung, Anlass und Folgen.

Wir hören das Geschrei „Lügenpresse“. Meist von Leuten, die jede Lüge gierig glauben, wenn sie ihre Vorurteile bestätigt. Die Massenmedien, Rundfunk, Fernsehen und Zeitung können die Masse nicht verachten. Sie sollten sie verstehen.

Der Verdacht, die mediale Wirklichkeit hätte mit der realen zu wenig zu tun, hat inzwischen Wucht. Das ist mit „Dumpfbacken“ und „Mob“ allein nicht zu erklären.

Es gibt tolle Journalisten. Es gibt aber welche, die uns belügen. Durch Übertreibungen. Durch hemmungsloses Skandalisieren. Durch Überbelichtung hier und Wegblenden dort.
Der seriöse Journalist ist nicht Animateur ständiger Erregungskultur. Er kritisiert Politiker, ohne sie zu verhöhnen. Im ohrenbetäubenden Rauschen der Stürme des Netzes gibt er Orientierung. Er überzeugt durch die Relevanz seiner Themen und die Abgewogenheit seines Urteils. Er wahrt Distanz zu Ereignissen und Personen.

Journalisten haben kein Mandat. Sie haben einen Auftrag. Für mich brachte das Hans Joachim Friedrichs auf den Punkt. Es war das Versprechen, nicht manipuliert zu werden.
Schon der Eindruck, man würde zum „Gut-Sprech“ oder gar „Gut-Denk“ genötigt statt überzeugt, löst Widerstand aus.

Wir machen kaum Primärerfahrung. Wir sind auf Gedeih und Verderb auf Sekundärerfahrung angewiesen. Medien, die ein realistisches Bild unserer Welt zeichnen, sind unverzichtbar. Sie sind zu wichtig, um sie sich selbst zu überlassen.

Um sich greifender „intentionaler Journalismus“ wird amerikanische Trends zu uns übertragen. Man hört und sieht nur noch das, von dem man vorher weiß, in welche Meinungsrichtung es drängen wird.
Medien sind keine Veranstaltung für sondern eine der Gesellschaft.

Die Rolle von Qualitätsmedien ist konstitutiv für unsere Demokratie.

Die Frage „Was ist, wenn es alle tun?“ als kategorischer Imperativ nach Kant höre ich selten. Der kategorische Imperativ der Mediengesellschaft lautet „Was ist, wenn es rauskommt?“ Macht und Mächtige fürchten nichts so sehr wie die Veröffentlichung von dem, was sie nicht öffentlich vorzeigen wollen. Das diszipliniert und ermöglicht demokratisches Miteinander.

Ich will groß von Journalisten denken. Es würde mich nicht stören, wenn sie selbst groß von sich denken. Sie müssen aber ihre Arbeit ordentlich machen.

Wir kennen Controlling betriebsinterner Abläufe. Es gab mal einen Sendeplatz mit dem Titel „Glashaus“. Etwas in der Art wäre sympathisch und souverän zugleich.

Gute Technik, Kulturarbeit und guter Journalismus wird nicht nur in kleinen Einheiten entwickelt. Medienunternehmen bleiben nötig – das öffentlich-rechtliche System ganz sicher.

Ein Medienhaus lebt von Kreativos. Die kann man nicht am Fließband produzieren. Die entfalten sich durch Herausforderung bei gleichzeitigem Rückhalt.

Auf schwammigem Boden wagt niemand hohe Sprünge.

Wir erleben breite Ökonomisierung der Gesellschaften. Dem kann sich ein Medienhaus nicht entziehen. Es muss sich nicht unterwerfen. Sie dürfen es gar nicht! Sie sind qua Gesetz und Gebühren verpflichtet, den Maßstab des Gemeinwohls anzulegen. Auch wenn man dasselbe tut, z. B. Sparen, tut man es anders, weil aus anderen Gründen.

Ich sage das mit Hochachtung, nicht in devoter Verbeugung. Meine Wertschätzung kommt aus der Höhe des Anspruchs, den Sie an sich selbst – und unser Gemeinwesen – an Sie hat:

• Verantwortung für’s allgemeine Wohl,
• treuhänderischer und nachhaltiger Umgang mit den Ressourcen,
• hohe Professionalität in allen Bereichen.

Ein paar Bemerkungen zu meinen vielfältigen Erfahrungen in Organisationen und mit guten Führungskräften. Die definieren sich nicht über Rangkämpfe und Territorialverhalten. An ihrer Bürotür hängt das Schild „Bitte stören!“

Eine Führungskraft will keinen Sieg, sondern Lösungen, geht auf die Mitarbeiter zu und nicht auf sie los, bekämpft Kompliziertheit, die sich so gern als Komplexität tarnt, kann ihre Entscheidungen erklären und übernimmt Verantwortung.

Großunternehmen bestehen, wenn sie fähig sind, flexibel, dynamisch und kreativ zu reagieren. Etliche versinken in Melancholie von Organismen, die die Grenze ihres Wachstums erreicht haben.
Dinosaurier konnten am Ende ihr eigenes Gewicht nur noch im Wassertümpel aufrecht halten. – Sie sind traurig geworden. Ein Asteroid hat sie von sich selbst erlöst.

Es klingt simpel, aber meine Schlüsselerfahrung aus Politik und Wirtschaft ist: Wer handelt, wird kritisiert. Wer nicht handelt, den bestraft das Leben. Wer konsequent handelt, wird abgewählt. Wer von jemandem regiert wird, der deshalb nicht handelt, hat richtig Pech gehabt.
Zukunftsrisiken schwellen durch Vertagung bis zur Eruption an. Großmutters Sinnspruch „Wer nichts macht, macht keine Fehler“ ist lebensgefährlich, wenn Anpassung nötig wird. Wer sich nicht verändert, wird verändert.

Externe Probleme haben innersystemische Eigenschaften und Folgen. Es braucht eine Platine mit Sensoren, Kondensatoren, Widerständen und Reglern. Gefährlich sind „kalte“ Lötstellen, vertauschte Pole und Rückkoppelungen. Ein fehlerhaftes Teil oder falsche Bedienung kann die Maschine stilllegen. Ich war mal Fernmeldetechniker. Der geht manchmal mit mir durch.
Ein modernes Unternehmen ist wie kluges Schachspiel. Entscheidend ist nicht die Menge der Figuren, sondern die Intelligenz ihres Zusammenspiels. Es kann strategisch reagieren. Es kann Gegendruck aufbauen und aus Fehlern schnell lernen. Es kann sparen, ohne kaputtzusparen. Es kann Menschen bewegen, sich bewegen zu lassen. Das ist Führung.

Gute Führung gestaltet, bevor der Sachzwang übermächtig wird und planvolle Gestaltung unmöglich macht. Sie kann sogar Fehler öffentlich eingestehen und korrigieren.

Eine gute Führungskraft hat ein großes Projekt: Lustvolles Lernen – gegen Denkfaulheit, Beharrungslust und schlechte Gewohnheiten. Erst einmal gegen die eigenen. Dann auch die der Mitarbeiter.

Die Zeiten tun das, was sie immer tun: Sie ändern sich. Das macht es manchmal schwierig, immer interessant. Die richtige Frage ist: Habe ich die Menge der Möglichkeiten vergrößert? – Das ist Rückkehr zur Gelassenheit.

Erich Kästner schenkte uns einen klugen Vierzeiler:

Guter Rat für Damokles:
Schau prüfend himmelwärts!
Die Nähe des möglichen Schadens
liegt nicht in der Schärfe des Schwerts,
sondern in der Dicke des Fadens.

Der „dicke Faden“ ist nicht ein Gebührenpolster, sondern die Fähigkeit, nicht Asche zu hüten, sondern das Feuer. Wenn schon gelegentlich scheitern, dann aber bitte an einer großen Aufgabe.
Ich habe mit Löwen begonnen und will damit enden. Ein Löwenjäger kam von der Safari heim. Er hatte nichts geschossen. „Na und?“ fragten ihn seine Freunde schadenfroh, „was sollte das Ganze?“ – Er ließ sich nicht beirren. Er hob bedeutsam den Finger. „Bei Löwen, bei Löwen ist keiner schon viel!“

Man hat mir ein lebhaftes Gespräch versprochen.
Bevor ich gleich zu den Roten Funken gehe, werde ich klüger sein, als ich es jetzt bin. Dafür vorauseilenden Dank.

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