„Die vierte Gewalt“ mit RA Götz-Werner von Fromberg – Uni Bonn, 16. Dezember 2015
Lieber Herr von Fromberg,
meine Damen und Herren,
Zeitzeugen der Gegenwart erscheint vieles – vielleicht alles – in heftiger Bewegung. Die Systeme, in denen wir leben, verändern sich rasch. Sie weiten sich aus und werden immer komplexer. (Manchmal auch unnötig kompliziert.) – Auf jeden Fall haben sie einen exponentiell wachsenden Grad an Interdependenz. – Und wir sind wenig begabt, verschachtelte Wirkungen zu überblicken und klug zu steuern.
Schaltelektronik und Digitale Revolution machen möglich, was seit Jahrhunderten als utopisch galt. Wir können heute weit mehr, als wir durchschauen und verantworten können. Wir erobern immer neue Gebiete, nehmen uns aber nicht die Zeit, sie vernünftig und sinnvoll zu besiedeln. Solche Versuche laufen den Ereignissen nach. Sie erscheinen vielen als lästig und antiquiert.
Das bedeutet schwindende Verlässlichkeit. Unsere Systeme erweisen sich als gefährlich fragil. Mit wenig Aufwand kann man sie beschädigen, lahmlegen oder zerstörerisch gegen sie selber richten. Unter der schönen und bunten Oberfläche herrscht längst ein Cyber War, der enorme Verluste erzeugt. Er wird die nächsten Generationen beschäftigen. Noch weiß niemand, wer ihn gewinnen wird.
Unser Thema ist die „vierte Gewalt“. Ich will in wenigen Strichen umreißen, was man darunter verstehen kann.
Der eigentliche Souverän des demokratischen Staates sind die Bürgerinnen und Bürger. Sie übergeben ihre Macht gebündelt an die Exekutive des Staates. Sie erwarten von ihm pfleglichen Umgang. Da sie unter Machtmissbrauch zu leiden hätten, wollen sie mitbestimmen, wer über die öffentlichen Dinge entscheidet. Periodisch ziehen sie die Regierung zur Rechenschaft. Sind sie mehrheitlich unzufrieden, können sie durch ihr Kreuzchen in der Wahlkabine einen Machtwechsel herbeiführen.
Im modernen Staat können die Bürger ihre Rolle nur dann spielen, wenn sie die Presse in den nötigen Stand versetzt. Das hat einfache Gründe:
• Die Verwalter der Macht – dazu zähle ich auch starke Interessengruppen, Wirtschaftsführer, Behörden, Kirchen und Verbände – verfügen über Herrschaftswissen, das sie oft ungern preisgeben.
• Machtmissbrauch und Korruption geschehen im Dunkeln. Der Einzelne hat kaum die Möglichkeit, sie ans Licht zu bringen.
• Da ethisches Verhalten nicht selbstverständlich ist, kann die Frage „Was ist, wenn’s rauskommt?“ bei der Disziplinierung helfen.
• Partizipation braucht Transparenz und Kenntnisse. Diese sind durch Primärerfahrung nur zu einem kleinen Teil möglich. Wir sind auf Sekundärerfahrung angewiesen, die uns medial vermittelt wird.
Deshalb also gelten Medien als „vierte Gewalt“ im Staat. Wie die drei anderen (Legislative, Exekutive, Judikative) können sie nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn sie drei Eigenschaften haben: Sie müssen unabhängig sein, sich einen kritischen Blick auf die anderen Staatsorgane und Gruppen bewahren und mit professioneller Kompetenz ihre Arbeit tun. Ganz wichtig auch: Sie sollten die Ereignisse nicht selbst erzeugt haben, über die sie berichten.
Da man ihnen zumeist glauben muss, was sie uns berichten, ist Glaubwürdigkeit entscheidend. Da sie selbst aber ebenfalls eine Macht darstellen, ist auch Misstrauen angebracht.
Das Leitmotiv der Demokratie ist nämlich nicht Vertrauen, sondern Misstrauen. Das war ein Kerngedanke der Aufklärung. Ohne wirksame Kontrolle neigt jede Machtausübung dazu, zu wuchern, zu metastasieren und so den Organismus zu zerstören. Machtmissbrauch ist nicht der Störfall in einem ansonsten gut funktionierenden System, sondern das der Macht innerste Wesen und ihre eigentliche Natur. Wir dürfen sie erst dann akzeptieren, wenn sie ihre Unschädlichkeit erwiesen hat.
Vertrauen in die Macht – das fordern autokratische Systeme. Der gebrannte Demokrat sagt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
So weit das kleine Einmaleins des demokratischen Rechtsstaates. Sie wussten das alles, aber man muss es sich immer wieder bewusst machen. Nur auf dieser Basis können wir uns im weiteren verständigen.
Was ist neu und besonders an unserer gegenwärtigen Situation?
Über das Internet kann sich heute jeder eine eigene Öffentlichkeit schaffen. Sie erreicht zuweilen enorme Kontaktzahlen. Aber der Blogger ist nicht schon deshalb Vierte Gewalt, weil er sich zu allem und jedem äußert. Natürlich darf er das, ich bezweifle aber, dass ihm das automatisch den Status eines professionellen Journalisten verschafft, der nach den Maßgaben der Pressegesetze arbeitet und dem dafür gewisse Privilegien zustehen wie Presseausweis und Quellenschutz.
Verantwortlicher Journalismus ist Methode einer adäquaten Weltbeschreibung. Er muss seine eigenen Koordinaten immer wieder neu entdecken, formulieren und behaupten. Er muss es besonders in Phasen technischer und organisatorischer Ausfaltung, wie wir sie gerade erleben. Ganz besonders muss er es, wenn totale Ökonomisierung um sich greift. Dann nämlich wird auch die Nachricht zur Ware, die der Meistbietende ersteigert und der Mächtige unterdrückt. Dann nämlich überlagert das Machbare das Nötige, Quantität die Qualität, bunter Schaum die Relevanz, Tempo die Sorgfalt.
Niederschreien und Niederschreiben sind klägliche Formen der Kommunikation. Am unteren Ende der „Richter-Skala“ haben wir dann den „Hans Dampf in allen Gossen“ oder den „Reporter des Satans“. Der eine skandalisiert und treibt täglich eine neue Sau durchs Dorf. Der andere legt die Brände, über die er dann als erster berichtet.
Ich brauche noch immer den verantwortlichen Journalisten, der seine Quellen prüft, der zweimal nachdenkt, bevor er einmal schreibt, der zwischen Meldung und Meinung unterscheidet und der das Ganze auch noch mit seinem Klarnamen kennzeichnet.
In welcher Technik sich die Ergebnisse seiner Arbeit verbreiten, ob auf den klassischen Holzmedien oder per Tablet oder Smartphone, ist unerheblich.
Aber ich will noch einen Aspekt betonen, der in aufgeregten Zeiten leicht vergessen wird: Das Grundgesetz ist nicht wertneutral. Es nimmt etwas auf, was ihm als schmerzliche Erfahrung vorausgeht. Die ersten 20 Artikel stehen nicht zur Disposition. Sie beschreiben unser Gemeinwesen als demokratischen Rechtsstaat auf der Basis der Menschenrechte, wie sie in der Aufklärung formuliert und von den Vereinten Nationen als verbindlich gesetzt wurden. Bei uns sind sie nicht nur allgemeine Absichtserklärung im Sinne einer Präambel, sondern unmittelbar geltendes und einklagbares Recht. – Wer sie aufweichen oder abschaffen will, will einen anderen Staat.
Dieser Rahmen gilt auch für Journalisten. Er verbietet ihnen, volksverhetzende, rassistische oder totalitäre Parolen aufzunehmen und zu verbreiten. Das ärgert alle Demagogen. Auch die Inhaber bequemer Vorurteile. Verantwortliche Journalisten machen sich unbeliebt. Sie wählen aus, nicht bevormundend, sondern prüfend. Wenn sie dann zu Ergebnissen kommen, die der Meinung der Leute nicht entsprechen, fühlen sich diese manipuliert. Populistische Bewegungen skandieren „Lügenpresse“.
Das muss der Journalist aushalten. Er wird sagen: „Ich werde eure Lehren und Glaubenssätze nicht angreifen, so lange sie mir meine Freiheit zugestehen. Wenn sie aber Gedanken für gefährlich und Zweifel für ein Verbrechen halten, werde ich sie erbarmungslos attackieren, denn sie versklaven den Geist des Menschen.“ (Robert Green Ingersoll) – Es gehört zur Neuzeit, nicht mehr harmonische Gesellschaften zu propagieren. Moderne Staaten haben kein Volk, sondern eine Bevölkerung.
Eine sensible Presse wird die laufenden Ereignisse beobachten und darüber berichten. Ich frage mich: Könnte sie nicht auch gelegentlich Entwicklungen voraussehen und Risikoabschätzung betreiben? – Unser aufgeklärtes Zeitalter hat nichts nötiger als Aufklärung.
Hätte der Staatszerfall im Nahen Osten, spätestens der erbarmungslose Krieg Assads gegen sein eigenes Volk einen klugen Journalisten auf den Gedanken bringen können, dass wir demnächst Massenflucht erleben werden, die dann auch unsere Grenzen erreicht? Auf jeden Fall müssen Krisen den öffentlichen Diskurs auslösen. Politiker und Journalisten bestimmen darüber mit, ob dieser zu rationalen Ergebnissen kommt.
Ein guter Journalist fällt nicht vom Himmel. Gewisse Fähigkeiten bringt er vielleicht mit, aber dann braucht er Fertigkeiten, um professionell zu arbeiten. Und nicht zuletzt braucht er die Bereitschaft, beides einzusetzen, – gelegen oder ungelegen. Ich nenne das Exzellenz und besonderes Können, vergleichbar dem eines Künstlers.
Lieber Herr von Fromberg,
fühlen Sie sich ordentlich eingeleitet? – Als Anwalt stehen Sie ziemlich oft auf dem Hochseil der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung. Wie steht es aus Ihrer Wahrnehmung um die Vierte Gewalt?