„Unternehmenskommunikation“ mit Ulrich Winkler – HBRS, 15. Dezember 2015
Meine Damen und Herren,
Ich begrüße Sie und unseren heutigen Gast. – Ulrich Winkler weiß alles über interne und externe Kommunikation. Er stand für die Öffentlichkeitsarbeit großer Mineralölkonzerne in Deutschland wie Aral, Veba und BP. Er leitete die Kommunikationsabteilung der RAG-Stiftung in Essen. Er ist Spezialist für ein geordnetes Krisenmanagement. – Ich vermute, zurzeit hat dieser Bereich Hochkonjunktur. Das wird er uns vielleicht verraten.
Ihm zur Einführung und uns zur Erinnerung: Wir folgen einem Verdacht. Das Kommunikationsgefüge der Gesellschaft scheint sich tiefgreifend zu verändern. Willensbildung und Entscheidungswege folgen nicht mehr dem klassischen Muster.
Früher wurden Großprojekte der Infrastruktur in kleinen Zirkeln aus Politik und Wirtschaft verabredet und durchgesetzt; mehr oder weniger robust und konsequent. Drei Parteien teilten die Welt unter sich auf. Mit berechenbaren Mehrheiten wurden die nötigen Gesetze eingestielt. Die beteiligten Unternehmen konnten sich auf klare Bedingungen und langfristige Perspektiven verlassen. Die Öffentlichkeit sah Ergebnisse. An den Prozessen war sie kaum beteiligt. Zwar wurde die Planung „rituell“ vorgelegt, war aber kaum noch zu beeinflussen. Und die Leute verhielten sich ruhig. Das hat sich massiv verändert.
Auch die Medienlandschaft ist nicht mehr die alte. Früher war das „Einweg-Kommunikation“. Zwischen Ereignis und medialer Vermittlung verging viel Zeit. Spontaneität war Einzel- und Sonderfall. Nun sind wir mitten in der Supernova des Internets. Alles ist plötzlich anders.
Ich nenne nur fünf Eigenschaften:
• Hemmungslose Grenzüberschreitung in allen Bereichen.
• Gleichzeitigkeit von Ereignis und Wahrnehmung in einer denkbar breiten Öffentlichkeit.
• Ubiquität durch immer mobilere und handliche Geräte.
• Rasche Vernetzung gigantischer Nutzermengen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“.
• Jeder kann sich bei YouTube und anderswo eine eigene Öffentlichkeit verschaffen mit Klick-Kontakten in Millionenhöhe.
Wir erleben einen Zivilisationsbruch ersten Ranges. Noch nie war so viel Information im unmittelbaren Zugriff erreichbar. Noch nie war die totale Kommunikation jedes mit jedem so leicht möglich.
Das Werkzeug und die Strukturen haben sich radikal verändert. Es ist aber noch immer derselbe Mensch, der damit hantiert. Auch Desinformation hat enorme Möglichkeiten. Kommunikation kann sich über Mobbing, Schmähungen, Shitstorm und Bespitzelung in ihr Gegenteil verkehren. Die Richterskala der Gemeinheiten und des schlechten Geschmacks ist nach unten offen.
Die politische Klasse steht noch immer hilflos vor den neuen Verhältnissen. Sie verzichtet auf dezidierte Gestaltung. Wir beobachten eine schleichende Selbst-Delegitimierung von Regierung und Parteien. Man wartet ab, man hält hin, man verzettelt sich in verbalem Geplänkel.
Der Verzicht auf Politik in den gewählten Gremien korrespondiert mit chaotischen Verhaltensmustern an der Basis. Wichtige gesamtgesellschaftliche Vorhaben werden zwar theoretisch befürwortet, praktisch aber boykottiert, wenn sie zu Unbequemlichkeiten im Nahbereich führen.
Und schon steht die nächste Revolution ins Haus. Das „Internet der Dinge“ verknüpft die Schaltintelligenz des Netzes mit der realen Produktion und Verteilung von Gütern. Das erlaubt eine früher undenkbare Diversifizierung und Individualisierung, die sich über eine intelligente Vernetzung zum Großprojekt entwickelt.
Beispiel: Energiewende. Hunderttausend Dächer und Windräder haben in kürzester Zeit die gesamte Energiewirtschaft umgekrempelt. Zugleich ist sie ein gigantisches Investitionsprogramm. Nicht aus der Steuerkasse, sondern als „Gebühren-Spende“ aller Stromverbraucher.
Das Schlüsselwort heißt „Kommunikation“. Sie erlebt einen galoppierenden Wandel. Das gilt nicht nur für Geräte und Verbindungstechnik. Auch die Bedürfnisse und das Lebensgefühl der Leute verändern sich von Tag zu Tag. Die „Generation Y“ tickt anders als ihre Vorgänger. Meine Altersgruppe stand noch vor unersättlichen Märkten. Vieles wurde möglich, aber manches geschah aus dem einzigen Grund seiner Machbarkeit. Der Markt ist übersättigt und erzeugt Überdruss. Man versucht, ihn durch „Modenwechsel“ und eingebauten Verfall zu stützen.
Die Jüngeren lassen sich davon immer weniger beeindrucken. Sie fragen: Warum? Und Wozu? – Auf hohem Versorgungsniveau halten sie es für möglich, dass es auch bescheidener geht, unschädlich und nachhaltig.
Und noch etwas: Große Prestigeprojekte der jüngsten Vergangenheit wurden spektakulär gegen die Wand gefahren. Quasi jedes Projekt wird um vieles teurer als veranschlagt. Ein unkontrollierbarer Lobbyismus scheint mitzuregieren.
Weltunternehmen wie Siemens, die Deutsche Bank oder VW bringen sich mit Korruption und Taschenspielertricks in Schieflage. Die Energie-Riesen sind in Panik. Sie haben Kraftwerke gebaut und wissen, dass sie damit keinen Cent verdienen werden. Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise sind auch noch nicht vergessen.
Vor diesem Panorama gilt „Vertrauen“ fast schon als „Vertrauensseligkeit“. Die Bürger glauben nichts mehr „aufs Wort“.
Aber das kann nicht die Zukunft sein. Es verzerrt auch das Bild. In Deutschland erwirtschaften ehrbare mittelständische Betriebe mehr als 90 % des BIP. Es ist also unfair und sinnlos, das ganze System in Frage zu stellen. Gerade die Krise stellt Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vor neue und spannende Aufgaben.
Erfolg braucht nicht mehr nur die innovative Idee. Mehr denn je braucht er eine glückliche Hand und eine neuartige, kommunikative Kompetenz, um überhaupt „zur Welt zu kommen“.
Die Wirtschaft steht unter einem neuen Zwang und hat neue Chancen. Sie muss nicht nur „erklären“, was sie will und tut. Sie muss es auch „begründen“. Und sie kann es nur in einem globalen Zusammenhang. Entscheidend sind nicht die neuen Geräte. Die Zukunft gehört den Lösungen und den ganzheitlichen Konzeptionen.
Lieber Herr Winkler, vielleicht habe ich zu viel von Krise gesprochen, aber ich denke: genau damit laufen Sie zur Hochform auf. – Sie haben das Wort – und wir das Ohr.