„Der Journalismus in der Glaubwürdigkeitskrise“ – BAPP, 15. September 2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Herr Dr. Engel, unser Kuratoriumsvorsitzender,
ich grüße Sie stellvertretend auch für alle anderen wertgeschätzten Gäste.
Unser heutiges Treffen holt Phasen eigener Biographie in Erinnerung. Nicht aus Gastfreundschaft – aus Wahrheitsliebe will ich Respekt vor dem Wirken unserer Gäste ausdrücken.
Die Herren Mascolo, Prof. Dr. Nonnenmacher und Dr. Pleitgen haben in meiner Liste lebender Helden journalistischer Arbeit einen Spitzenplatz. Wir freuen uns auf ihre Beiträge. In zwei Stunden werden wir klüger sein, als wir es jetzt sind. Auch dafür Dank.
„Die Glaubwürdigkeit des deutschen Journalismus“ steht offenbar in Frage und bedarf qualifizierter Erörterung.
Obwohl selber kein Journalist, war ich in unterschiedlichsten Rollen mit dieser Spezies verbunden. Auch als passives Objekt. In der Schulgrammatik nennt man dies: Leideform.
Mit der „Rolle des Skandals in der Politik“ beschäftigt sich eines meiner Seminare. Ich bringe Erfahrung ein. Ich habe skandaliert und wurde skandaliert. Als Wahlkämpfer ist man nicht begierig, Journalisten die Wahrheit zu erzählen. Später habe ich durch Instanzen prozessiert bis klar war: Gegen mich veröffentlichte Vorwürfe waren erfunden.
Meine Erfahrung: Kants kategorischer Imperativ – die Frage: „Was ist, wenn es alle tun?“ – ist in der Politik nicht verbreitet. Macht und Mächtige fürchten weniger das Gesetz. Sie fürchten Enthüllung von dem, was sie nicht enthüllt sehen wollen. Der kategorische Imperativ der Mediengesellschaft lautet: „Was ist, wenn es rauskommt?“
Diese Charakterstärkung ist von prägender Bedeutung für unser Gemeinwesen. Enthüllungsfähige Medien sind konstitutiv für die Demokratie. Medien brauchen neue Glaubwürdigkeit, Autorität und den unbedingten Willen zur Wahrhaftigkeit, um diese Rolle zu bewahren. Medien sollen uns ein zutreffendes Bild unserer Welt vermitteln. Es muss uns interessieren, wie sie arbeiten und welche Leistungen sie erbringen. Sie sind zu wichtig, um sie sich selbst zu überlassen.
Primärerfahrungen reichen uns nicht. Wir sind auf Sekundärerfahrungen angewiesen. Eine freie Presse ist keine Veranstaltung für, sondern eine Veranstaltung der demokratischen Gesellschaft.
Ungenutzter öffentlicher Raum kann verfallen. Überfüllung durch Tinnef und schrillem Nichts macht den öffentlichen Raum irrelevant. Guter Journalismus ist Grundnahrungsmittel – nicht Sättigungsbeilage der Unterhaltungsindustrie. Besonders in Phasen technischer und organisatorischer Ausfaltung müssen Medien ihre Koordinaten neu entdecken, formulieren und justieren.
Gerade überlagert das Machbare das Nötige, Quantität die Qualität, Tempo die Sorgfalt. – Trillerpfeifen, Shit- oder Candystorm sind klägliche Formen der Kommunikation. Affen könnten sich beschweren, weil wir behaupten, von ihnen abzustammen. – Schwärmende Blogger sind nicht schnelle Eingreiftruppe der Vierten Gewalt. Verbale Inkontinenz – selbst mit Presseausweis – ist nicht Journalismus.
Ein guter Journalist fällt nicht vom Himmel. Gewisse Fähigkeiten bringt er vielleicht mit. Er braucht aber Fertigkeiten, um professionell zu arbeiten. Wir vertrauen noch immer gern auf den Journalisten, der seine Quellen prüft, der zweimal nachdenkt, bevor er einmal schreibt, der zwischen Meldung und Meinung unterscheidet und der das Ganze auch noch mit seinem Klarnamen kennzeichnet.
Die Melodie von Trillerpfeifenbläsern in orangenen Müllsäcken „Quantität ist Qualität“ ist nicht die Zukunft des Journalismus. Der Exzellente wird wichtiger. Nachrichten werden zunehmend von Maschinen verbreitet. Man kann was tun: Die Brost-Stiftung, der ich mich zugehörig fühle, fördert großzügig unabhängigen und aufklärerischen Journalismus.
Ich möchte nicht nur nörgeln, sondern auch bescheidene Vorschläge zum Besseren machen:
Professionalisierung ist durch explosive Ausfaltung des Mediensektors nicht entbehrlicher geworden. Auch Leser und Zuschauer müssen sich professionalisieren. Ein medienkundlicher Analphabet bleibt immer fremdbestimmtes Objekt.
Widerstand gegen totale Kommerzialisierung. Nachrichten sind Ware, aber nicht nur. Ein persönliches Müsli, wo man nur noch hören und lesen will, was man schon kennt, ist zu wenig. Wichtige Wahrheiten sollten Verbreitung finden. Unterhaltendes gibt es genug.
Gutes darf etwas kosten. Eine gute Recherche, eine stichhaltige Enthüllung, eine gründliche Analyse muss man sich besorgen wie ein Wertobjekt. Werbefinanziertes wird nicht reichen.
Höflichkeit. Anarchische Verwilderung und Infamie fördern den Zerfall der Gesell-schaft. Verluderung ist kein Bio-Siegel. Wer nur die Toilettentüren aushängt, bringt noch keinen neuen Menschen hervor. Die letzten Möglichkeiten der Niveauabsenkung sind erschöpft. – Die wachsende Dichte und Verflechtung aller Vorgänge in der Welt zwingen zu neuen Umgangsformen.
Praktische Reformen.
• Große Medienhäuser können im eigenen Blatt oder Programm schwere Fehlgriffe aufarbeiten. Richtigstellung und Entschuldigung sollten selbstverständlich sein. Eine „Glashaus“-Sendung, wie sie der WDR einmal im Dritten Programm hatte, ist nicht Nestbeschmutzung sondern Hausputz.
• Warum nicht einen oder zwei der begehrten Journalistenpreise für journalistische Selbstkritik reservieren?
• Eine jährlicher „Bundespressetag“, meinetwegen vor dem „Bundespresseball“, könnte mehr sein als Begegnung der Branche mit sich selbst.
Externe Kritik aus Wissenschaft und Politik könnte die eigene Arbeit evaluieren. Ein solcher Tag könnte den Gesellschaftsvertrag im Kapitel Medien und Presse neu verhandeln.
Ich freue mich schon auf wichtige Anregungen von den klügsten und erfahrensten Köpfen. Lieber Herr Mascolo, Sie haben das Wort.