„Wissenschaftliche Beratung? – Nein danke!“ – Kommentar Focus, 20. Juni 2015
Alljährlich wiederkehrende Liturgie im politischen Kirchenjahr ist die feierliche Übergabe des Gutachtens der „Wirtschaftsweisen“. Mikrofone, Kameras. Die Kanzlerin, der Wirtschaftsminister, ein Hofstaat von Beamten schwebt mit ein. – Ein schönes Bild: Politik und Wissenschaft einträchtig zum Wohle des Volkes.
Der Schein trügt. Schon die Körpersprache der Bescherten spricht Bände. Sie deutet auf Pflichtübung. Sie bekundet Sorge. Könnte der Bericht unangenehme Wahrheiten enthalten? Welche Wahrheit? Wessen Wahrheit?
Zum Beispiel „Fracking“. Im vorigen Herbst fand der Chef der zuständigen Bundesanstalt für Geowissenschaften keine wissenschaftliche Begründung gegen diese Methode der Energiegewinnung und sah sich darin einig mit allen geologischen Diensten in Europa. Nun kommt auch die renommierte Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) zur Überzeugung, Fracking verdiene es nicht, umstritten zu sein und per Gesetz ins Abseits gestellt zu werden. Es könne die Schroffheiten der Energiewende abfedern, geothermischen Mehrwert erzeugen. Aufgrund neuer Verfahren sei es ökologisch neutral und technisch beherrschbar.
Dem Bio-Deutschen gilt es jedoch als nicht gesellschaftsfähig. Die „Schwarmintelligenz“ im Netz wird zum wütenden Mob, wenn jemand wagt, sich differenziert zu äußern. Die Politik geht in Deckung. Gutachten verschwinden in der Schublade oder werden – zum Entsetzen ihrer Autoren – diametral umgedeutet; so 2014 eine Studie des Geologen Uwe Dannwolf. Die Präsidentin des Umweltbundesamtes sinniert in einer Pressekonferenz: Ein Verbot der Schiefergasförderung sei rechtlich schwierig, aber man könne mit scharfen Leitplanken einen verbotsähnlichen Zustand erreichen.
Da fragt der erstaunte Bürger: Warum ein komplizierter demokratischer Willensbildungsprozess, wenn es mit bürokratischen Kniffen auch funktioniert?
Wie man die Fakten auch immer bewertet, es stimmt was nicht, wenn man darüber nicht mehr sachlich reden darf.
Welchen Stellenwert hat wissenschaftliche Politikberatung, wenn ihre Ergebnisse nicht mehr als Erkenntnisgewinn, sondern als Störfall gelten? Wie kritisch ist eine mediale Öffentlichkeit, die nur noch auf die Pauke haut? Die Bibel ist klüger: „Prüfet alles und behaltet das Gute!“
Es gibt durchaus Gründe, Experten nicht alles „aufs Wort“ zu glauben. Manche sind nämlich selbsternannt. Gerade deshalb brauchen seriöse Gutachter und Wissenschaftler Resonanz. Sie brauchen keinen schalltoten Raum, dessen filzgedämmte Wände jeden Widerhall ersticken.
Die politische Klasse umgibt sich gern mit einem Ruch von Wissenschaftlichkeit. Was aber, wenn die Fakten den Meinungskampf behindern oder einem Parteitagsbeschluss widersprechen. Welcher Parlamentarier hat überhaupt die Zeit, sich in ein voluminöses Gutachten zu vertiefen? Darum soll sich die Verwaltung kümmern oder die parteinahe Presse. In manchen Büros scheint der Wandspruch zu hängen: „Wer nichts macht, macht keine Fehler.“ – Man hat ein Amt, aber keine Meinung.
Umgekehrt, aber im Ergebnis vergleichbar, verhalten sich die Verbände und Bürgerbewegungen. Sie haben kein Amt, aber eine Meinung. Die wollen sie nicht an wissenschaftlichen Fakten scheitern lassen. Wozu dient die „Weisheit“ des Gutachters, wenn es doch auf die emotionale Schläue der Kampagne ankommt? Politik und Wissenschaft können einander befruchten. Sie denken und handeln jedoch mit unterschiedlicher Logik. Politik fragt weniger „Was ist Sache?“, sondern, „Wohin geht der Weg?“ – Zu allen Zeiten war die Rezeption wissenschaftlicher Ergebnisse bestimmt von Machtverhältnissen und gesellschaftlichen Befindlichkeiten. Das erlebten Galilei und Darwin. Das sollte heute anders sein! Behaupten wir doch, vom Zeitalter der Aufklärung geprägt zu sein.
Die Wahrheit hätte es leichter, wenn man höflicher streiten würde. Entweder ich habe Recht, oder ich lerne hinzu. Beides ist eigentlich Grund zur Freude. So bleibt die Hoffnung, dass die Wahrheit sich durchsetzt, weil sie politische Freunde findet.