„Unternehmenskommunikation: Der neue Zwang zur Selbsterklärung“ – HBRS, 29. Mai 2015

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren heutigen Gast. Rüdiger Oppers war Pressesprecher des Westdeutschen Rundfunks, dann Chefredakteur der „Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung“ (NRZ) und ist heute Chef für Corporate Communications des Chemie-Giganten Evonik Industries AG in Essen.

Ich bin sicher, dass ihn unser Thema lebhaft interessiert (sonst wäre er auch nicht hier). Es ist sein tägliches Brot, Veränderungen im Kommunikationsgefüge des Unternehmens, der Gesellschaft und beider miteinander zu beobachten und möglichst zu antizipieren.

Das ist nicht einfach. Es braucht Kenntnisse, Erfahrung und ein empfindsames Sensorium. Und es braucht gesicherte Kriterien, die das Relevante vom Flüchtigen unterscheiden helfen.

Bahnbrechende Innovationen fallen nur selten vom Himmel. Man kann sie auch nicht auf Befehl erzeugen. Die Anordnung „Sei spontan!“ ist ein verbreiteter, aber auch einer der dümmsten Fehler menschlicher Kommunikation.
Ideen entstehen zunächst heimlich im Kopf eines Kreativos, dann technisch in den Entwicklungsabteilungen kleiner und großer Betriebe. Virulent werden sie, wenn sie als gereiftes Produkt oder Konzept auf eine sozialpsychologische Großwetterlage treffen. Dann erwachen die Märkte. – Und in der Regel beginnt dann erst der Lernprozess der Politik. Er ist fast immer Nachhilfeunterricht.

Wer erneuern will, muss bei sich selbst anfangen, und das ständig von neuem. Das ist kein Lernziel, sondern eine Haltung. Ohne eine solche Grunddisposition seiner DNA hat er kaum Chancen, Ideen, Dienstleistungen und Produkte von morgen zu entwickeln. Erst wenn es gelingt, wirtschaftliche Prozesse, technologische Potentiale oder neue Märkte frühzeitig zu erkennen und in ihrer Natur zu verstehen, ist Erfolg zu erwarten. Dazu braucht es eine Strategie. Sie erzeugt nicht das Neue, aber sie schafft ein Klima und einen Rahmen, in dem es entstehen kann.

Was kennzeichnet ein neues Produkt? Ist es leistungsstärker als sein Vorgängermo-dell? Wird es effizienter hergestellt, mit weniger und erneuerbaren Rohstoffen? Wie reagieren die Kunden? Nehmen sie die Innovationen an oder greifen sie eher auf die Produkte der Konkurrenz zurück? Ideen für Innovationen entstehen auch im Dialog mit dem Kunden. Der Dichter Kleist schrieb einmal „Von der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“.

Unternehmen, die international mitbieten wollen, müssen früh ihre Fühler ausstrecken. Sie müssen – was vielen schwerfällt – sich mit enthemmter Gier für Fragen und Dinge interessieren, die neue Produkte ermöglichen oder die gewohnten neu beleuchten. Sie müssen es tun, obwohl diese noch auf der Höhe ihres Erfolges sind. Sie wissen: Hinter jedem Gipfel geht es nur noch bergab.

Erfolg will Wachstum, und Größe macht zunächst auch stark, aber jenseits einer gewissen Grenze macht sie auch träge.
Im globalen Wettbewerb – auf einem zum Teil gesättigten Markt – zählt nicht mehr Mas-se, sondern Qualität. Spektakuläre Großprojekte scheitern an ihrer eigenen Komplexi-tät. Erfolgverwöhnte Unternehmen geraten ins Abseits, weil sie zu lange ihren eigenen Festschriften geglaubt haben. Über Nacht müssen sie entdecken, dass in ihrer Gegenwart nur noch wenig Zukunft ist.

Und betroffen ist nicht etwa nur eine Branche. Aufstieg und Niedergang kann jedes Unternehmen erleben, sei es ein ehrwürdiger Medienriese, ein Energieversorger, eine Partei oder die Katholische Kirche. Die große amerikanische Historikerin Barbara Tuchman schrieb ihr letztes Buch über „Die Torheit der Mächtigen“. Jedem Untergang – so stellte sie fest – geht ein Realitätsverlust voraus. Er ist die Folge eines rituell übersteigerten Selbstgefühls, das immer ärmlicher argumentiert und den Dialog verweigert. Zuletzt genügt ein Zufall, um den Absturz zu besiegeln.

Wir leben in einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Es genügt nicht mehr, die Fakten zu verlautbaren und die Ziele zu verkünden. Solange sie nicht mit positiven Konnotationen im Bewusstsein der Gesellschaft sind, sind sie nicht wirklich in der Welt. Sie benötigen Diskurs, Transparenz, Teilhabe und ergebnisoffenen Dialog, – mit einem Wort: Kommunikation. Der Anbieter muss versuchen, in der Vorstellung seiner Adressaten ein Bild zu erzeugen, das sich diese wünschen können.

Das gilt nicht nur für den Betrieb. Auf dem Weg zur offenen Bürgergesellschaft organi-siert sich die Zivilisation in fast allen Bereichen mit flachen Hierarchien und horizontaler Vernetzung. Auch hier punktet kein pompöses Territorialverhalten, sondern eine möglichst kluge und dynamische Logistik.

Mit dem „Internet der Dinge“ wird die digitale Revolution jeden Bereich von Produktion und Vermarktung durchdringen. Mehr denn je werden die Prozessoren miteinander kommunizieren und im Nano-Tempo Entscheidungen fällen. Mensch und Gesellschaft haben vermutlich nur noch die Wahl, den langsamen und lästigen Störfall zu spielen oder als Endprodukt eine humane Gesellschaft zu programmieren.

Lieber Herr Oppers,
Sie sehen: Wir verstehen uns und unser Thema „Unternehmenskommunikation“ nicht als Arbeitsgruppe zur Verbesserung des internen Betriebsklimas. Wir vermuten hinter unseren Überlegungen einen konstitutiven Faktor für die Entwicklung der nächsten Jahre und Jahrzehnte. Sehen Sie das ähnlich? Wie spielt sich das in Ihrem konkreten Arbeitsfeld ab? Welche Lichter und Schatten werfen die kommenden Ereignisse voraus?
Wir sind gespannt. Sie haben das Wort.

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