„Unternehmenskommunikation: Der neue Zwang zur Selbsterklärung“ mit Hans-Jürgen Jakobs (Handelsblatt) – HBRS, 7. April 2015

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren Gast, Hans-Jürgen Jakobs. Er ist diplomierter Volkswirt und startete seine Karriere 1985 als Wirtschaftsjournalist mit einem Volontariat bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung. Fünf Jahre später übernahm er das Wirtschaftsressort der Münchener Abendzeitung und ging danach zum Spiegel. 2001 war die nächste Station die Süddeutsche Zeitung, und seit zwei Jahren ist er Chefredakteur des Handelsblatts.

Bei uns sitzen also 30 Jahre geballter Kompetenz. Dazu gehören nicht nur Wissen und Erfahrung. Dazu gehört auch ein Gespür für Trend und Großwetterlage. Das nämlich hält Journalisten und Redakteure jung. Ich kannte einen Professor, der die Erstsemester mit dem Satz begrüßte: „Wenn Sie zu mir kommen, sind Ihnen die Fakten schon bekannt. Von mir wollen Sie nur noch wissen, was ich davon halte.“

Ich bin gespannt, was Herr Jakobs von unserem Thema hält. Herzlich willkommen!

Von mir nur ein paar einführende Bemerkungen. Unser Seminar untersucht einen Verdacht. Es gibt Indikatoren für eine strukturelle Veränderung im Kommunikationsgefüge der Gesellschaft. Entscheidungswege und Abläufe folgen nicht mehr dem klassischen Muster.

Früher wurden Großprojekte der Infrastruktur in kleinen Zirkeln aus Politik und Wirtschaft verabredet und dann mehr oder weniger robust und konsequent durchgesetzt. Visionäre preschten vor, Experten rechneten, zeichneten und konstruierten. Wenn das Modell funktionierte, der Nutzen erkennbar und auch die Finanzierung geerdet war, ergriff die Regierungsmehrheit die Gesetzesinitiative.

Die beteiligten Unternehmen konnten sich auf klare Bedingungen und langfristige Perspektiven verlassen. Die Öffentlichkeit war im wesentlichen Zuschauer. Sie sah Ergebnisse. Sie sah nicht die Prozesse und noch weniger die Voraussetzungen und Interessen. Wenn die Planung vorgelegt wurde, war sie kaum noch zu beeinflussen. Der Bürger überließ das Ganze den Fachleuten. Er hatte ein Urvertrauen, dass „die da oben“ schon wissen werden, was sie tun.

Mit der 1968ger Jugendrevolte kam Bewegung auf. Die neue Generation definierte sich nicht mehr über Krieg und Nachkriegszeit. Sie litt unter den Widersprüchen in der Gesellschaft. Ihre Probleme lagen auf höherem Niveau als Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Sie wollte ihrer Zeit den eigenen Stempel aufdrücken, zunächst allerdings in einer diffusen, manchmal konfusen Befindlichkeit. Das „Establishment“ reagierte konsterniert und erschrocken.

In den 1970er Jahren kanalisierte sich die vagabundierende Energie in „Bewegungen“ wie der Frauenbewegung, der Friedensbewegung und der Anti-Atom-Bewegung. Gleichzeitig gab es zahlreiche Bürgerinitiativen mit Volksfestcharakter.

Diese kristallisierten sich jetzt an umstrittenen Großprojekten, noch immer mit Gesinnung und Leidenschaft, aber auch mit einem Zuwachs an Sachkenntnis. Es blieben jedoch überschaubare Gruppen, und sie wurden von den sogenannten „Ordnungskräften“ kurzgehalten. Die „gutbürgerliche“ Mehrheit beobachtete das Gerangel um Kernkraftwerke oder neue Startbahnen ohne Emphase.

Die Mehrheit fand sich noch immer damit ab, dass die Maßgaben der Politik „upside – down“ erfolgten und nicht „downside – up“.

Wesentlicher Faktor dieses Grundmusters waren die Medien. Es gab sie nur als „Einweg-Kommunikation“, und zwischen Ereignis und medialer Vermittlung verging viel Zeit. Das machte Spontaneität zum Einzel- und Sonderfall. Die öffentlich-rechtlichen Medien waren viel zu ängstlich und gesittet, um Volkes Stimme ungefiltert zuzulassen.

Allenfalls in den Dritten Programmen tauchten neue Sendeformen auf, wo sich nach dem Motto „Anruf erwünscht“ Zuschauer in die laufende Sendung einmischen konnten. Echter Bürgerrundfunk gelang nur im lokalen Bereich der ersten Kabel-Versuche. Das hat sich mit dem explosiven Auftauchen des Internets radikal verändert.

Es ermöglichte jetzt hemmungslose Grenzüberschreitung in allen Bereichen und alle Richtungen. Ich nenne nur vier Eigenschaften:

  • Die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Wahrnehmung in einer denkbar breiten Öffentlichkeit.
  • Der schwellenlose Zugang zu Informationen, auch zum früheren Herrschaftswissen der Macht.
  • Eine rasch anwachsende Ubiquität durch immer mobilere und handliche Geräte.
  • Die Vernetzung gigantischer Nutzermengen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“.

Die politische Klasse brauchte lange, um auf die neuen Verhältnisse zu reagieren oder ihre Bedeutung überhaupt zu erkennen. (Der Fall „Snowden“ zeigt die totale Asymmetrie zwischen dem Einfluss eines einzelnen Kenners und den von ihm vorgeführten Groß- und Supermächten.)

Die Politik ist zutiefst verunsichert. Sie verzichtet auf die Gestaltung der neuen Situation. Man hält sich zurück und wartet ab, man hält hin, man verzettelt sich in verbalem Geplänkel – wie im Mikado-Spiel (Wer sich als erster bewegt, hat verloren.). Man sucht nicht den gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Die Durchsetzung wichtiger Großprojekte der Infrastruktur wie etwa die Energiewende verheddert sich in den täglich wechselnden Ansagen.

Auch die Wirtschaft hat in puncto Glaubwürdigkeit noch Luft nach oben. Prestigeprojekte wurden als Leuchtturm angekündigt und dämmern als Glühwürmchen dahin. Bestechungsskandale, Kartellabsprachen, Missmanagement und Marktmanipulationen schwächen das Vertrauen.

Und schließlich ist eine überbürokratisierte Verwaltung Teil des Dilemmas. Der Verzicht auf Politik in den gewählten Gremien überlässt ihr eine unangemessen große Macht. Der jährliche Verschwendungsbericht des Bundes der Steuerzahler bleibt ohne Lernzuwachs und Folgen.

Die Schwierigkeiten auf der Entscheidungsebene korrespondieren mit chaotischen Verhaltensmustern an der Basis. Dort werden wichtige gesamtgesellschaftliche Vorhaben zwar theoretisch befürwortet, praktisch aber boykottiert, wenn sie zu Unbequemlichkeiten im Nahbereich führen.

All dies macht unser Seminar zu einem Versuch der Front-Aufklärung. Wirtschaft und Gesellschaft stehen nicht nur vor neuen, sie stehen auch vor neuartigen Aufgaben. Es geht nicht nur – wie schon immer – um innovative Ideen für erfolgreiche Produkte. Mehr denn je geht es auch um Initiativen und eine glückliche Hand für deren Akzeptanz. Ohne die sind auch die besten Ideen nicht mehr durchsetzbar. Das technisch Machbare, ethisch Wünschbare und politisch Durchsetzbare stehen in einem komplexen Dreiecksverhältnis.

Das Thema heißt „Kommunikation“ und „Dialog“.

Auch hier bei uns.

Lieber Herr Jakobs, wie beurteilen Sie die Situation? Der Zug ist abgefahren. Wo wird er ankommen?

– Sie haben das Wort.