„Wege aus dem Umfrage-Keller“ – Interview BILD-Zeitung, 19. Februar 2015
1. Herr Hombach, die SPD diskutiert an diesem Wochenende die Frage, wie sie aus dem Umfragekeller herauskommen soll. Wie würde Ihre Antwort lauten?
Prägnante Ziele, überzeugende Persönlichkeiten, elegantes Mannschaftsspiel. Den Leuten zuhören, besonders dort, wo sie schweigen. Politrituale meiden. Kreative Frische zeigen. Wenn schon (Umfrage)-Keller, dann nicht Schmoll-Ecke. Vieles, womit sich die Kanzlerin schmückt, kommt vom Koalitionspartner. Das sollte diesen hör- und sichtbar freuen – nicht ärgern. Nur so wird er seinen gerechten Anteil bekommen. Der Wählerauftrag heißt: Gute Politik. Also: Weder fidele Resignation noch jammern.
2. Seit Bildung der GroKo hat die SPD viele ihrer Wahlversprechen – z.B. Mindestlohn, Frauenquote – durchgesetzt. Trotzdem profitiert sie in den Umfragen nicht davon. Warum nicht?
Die Deutschen lieben die GroKo. Das ist auch Traumbühne für Frau Merkel. Sie kann die Gefühle der breiten Mitte bedienen, ihren sozialen, freiheits- und friedensliebenden Anteil ausleben. Sie demobilisiert mögliche Gegner, auch aus dem eigenen Lager. Wer das Idyll gefährdet, macht sich unpopulär. Ein Spiel nach eigenen Regeln. „Silberrücken“ der politischen Klasse mühen sich ab; sie sammelt die Ergebnisse ein.
3. Die große Koalition 2005 bis 2009 hat die SPD auf 23 Prozent absacken lassen. Droht jetzt das gleiche Schicksal?
Wenn es so wäre? – Die Frage ist: Wer oder was ist gut für Deutschland? Da sieht die SPD besser aus. Die SPD war immer eine schwierige Partei. Ihre Erfolge musste sie den inneren Fliehkräften abringen. Sie würde nie ein Selfie machen nach dem Motto; „Ich bin schön, und alles wird gut.“ – Gabriel, Steinmeier und die anderen machen anerkannt gute Regierungsarbeit. Sie hätten alles Recht, ihren Teil des Beifalls einzufordern. Aber die Welt ist ungerecht. Das Pferd gewinnt das Rennen, am Ende steht der Jockey auf dem Treppchen. Wenn die SPD ihre Erfolgreichen nicht ausreichend feiert, wer sonst sollte das tun?
4. Gibt es ein Mega-Thema, mit dem die SPD sich mit Blick auf 2017 von der Union absetzen könnte?
Der Themenwechsel ist rasant. Zwei sind aktuell. Ringsum verschärfen sich Konflikte. Die Sozialdemokratie hat die Erfahrung und Souveränität, Öl nicht ins Feuer, sondern auf die Wogen zu gießen. Sie könnte das Wort „alternativlos“ mit einer Fülle von Ideen traktieren. Sie könnte Brücken bauen und Gräben füllen. Das zweite: Argumentationsarmut überwinden. Moderne Wirtschafts- und Arbeitswelt, Solidargemeinschaft, persönliche Selbstbestimmung. Das nicht in komplizierten Programmen, sondern in mitreißenden Bildern. Das Brandt‘sche Versprechen: „Wir schaffen das moderne Deutschland“ wird nach der Phase des Erntens früherer Aussaat und des Wunsches nach Bewahren bald aktuell.
5. Hat die SPD 2017 überhaupt eine Chance – wenn Kanzlerin Merkel nochmal antritt?
Ich frage mich nicht, ob sie eine hat? – Es ist ihre Chance. So geht das in der Demokratie. Es gibt nur eine bescheidene Wechselstimmung. Die konmt von rechten und linken Rändern. Die bringen es aber nicht. Es gibt die dramatisch große Partei der Nichtwähler. Die SPD muss sich jeden Abend fragen: Wen davon haben wir heute zurückgewonnen? Ein paar Millionen davon haben übrigens die SPD der Neuen Mitte schon mal gewählt.
6. Ist Sigmar Gabriel der richtige Vorsitzende?
Die Frage wurde bei jedem gestellt. Sigmar Gabriel ist ein guter Vorsitzender, sonst wäre er es längst nicht mehr. Da ist die alte Tante SPD kapitalistisch: Es zählt nur der Erfolg. Gabriel ist ehrlicher Makler deutscher Interessen, ohne die europäischen aus dem Auge zu lassen. Ihm liegt an wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Gerechtigkeit. Er ist Säule einer handlungsfähigen und stabilen Regierung. Er hat schon so viel bewiesen, dass er es eines Tages nichts mehr beweisen muss. In der Oper singt jemand: „Aber der Richtige, wenn’s einen gibt auf dieser Welt, der wird mich anschaun, und aller Zweifel ist vorbei.“ – Das werden wir in einer Demokratie nicht erleben. Aus der Quelle nörgelnder Parteifreundinnen und –freunde sollten kluge Journalisten weniger schöpfen.