„Notwendigkeit zur Selbsterklärung“ mit Thomas Kirschmeier (Rheingold Institut) – HBRS, 20. Januar 2015

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren heutigen Gast sehr herzlich. – Herr Thomas Kirschmeier ist leitender Mitarbeiter des renommierten „rheingold instituts“, das sich führend mit Marktforschung und Unternehmensstrategie befasst. Nach einem früheren Leben als Redakteur des Kölner Stadtanzeigers kennt er sich aus mit allen Themen öffentlicher Kommunikation. Ich freue mich, dass es uns gelingen konnte, ihn zu gewinnen. Dass ihn sein heutiges Bewegungsprofil hierher geführt hat, bereichert uns. Dankeschön und willkommen!

In den wenigen Seminaren zum Thema geht es mir darum, dass Sie in Erinnerung behalten: Kaum einer von Ihnen wird in seiner zukünftigen betriebswirtschaftlichen Tätigkeit Kommunikations- und argumentationsarm bleiben können. Stärker als je zuvor werden Sie gefordert sein, die Notwendigkeit zu erkennen, dass man sich gesellschaftlichem Dialog nicht enthalten oder gar entziehen kann.

Sie haben bisher kennengelernt den Ressortleiter eines Wirtschaftsblattes, einen Kommunikations- und einen Medienspezialisten. Und heute zum Abschluss dieser Seminarreihe haben Sie jemanden, der quasi „über den Dingen“ steht und das Thema Unternehmenskommunikation aus eher wissenschaftlicher Sicht betrachten kann.

Ihnen zur Erinnerung: Unser Seminar untersucht einen Verdacht. Es gibt Indizien für eine tiefgreifende Veränderung im Kommunikationsgefüge der Gesellschaft. Entscheidungswege und Abläufe folgen nicht mehr dem klassischen Muster.

Früher wurden Großprojekte der Infrastruktur in kleinen Zirkeln aus Politik und Wirtschaft verabredet und dann mehr oder weniger robust und konsequent durchgesetzt. Wenn die Regierungsmehrheit einverstanden war, wurden die nötigen Gesetze eingestielt. Die beteiligten Unternehmen konnten sich auf klare Bedingungen und langfristige Perspektiven verlassen. Die Öffentlichkeit sah Ergebnisse. An den Prozessen war sie nicht beteiligt. Zwar wurde die Planung „rituell“ vorgelegt, war aber kaum noch zu beeinflussen.

Die Jugendrevolte der 1968er brachte in mancher Hinsicht eine Öffnung der Gesellschaft. Die neue Generation definierte sich nicht mehr über Krieg und Nachkriegszeit. Sie wollte ihrer Zeit den eigenen Stempel aufdrücken. Nach einer Phase diffuser, manchmal konfuser Aktionen verbreiterte sich die Palette der Ausdrucksformen.

Bürgerinitiativen kristallisierten sich an umstrittenen Großprojekten, noch immer mit Gesinnung und Leidenschaft, aber auch mit einem Zuwachs an Sachkenntnis. Der Widerstand beschränkte sich jedoch auf überschaubare Gruppen und wurde von sogenannten „Ordnungskräften“ eingehegt. Die „gutbürgerliche“ Mehrheit beobachtete das Gerangel um Kernkraftwerke oder die neue Startbahn am Großflughafen ohne Empathie. Man traute sich selbst keine Erfolge zu oder fand sich damit ab, dass die Maßgaben der Politik „upside – down“ erfolgten und nicht „downside – up“.

Wesentlicher Faktor dieses Grundmusters waren die Medien. Es gab sie nur als „Einweg-Kommunikation“, und zwischen Ereignis und medialer Vermittlung verging viel Zeit. Das machte Spontaneität zum Einzel- und Sonderfall. Die öffentlich-rechtlichen Medien waren zu ängstlich und gesittet, um Volkes Stimme ungefiltert zuzulassen. Allenfalls in den Dritten Programmen tauchten neue Sendeformen auf, wo sich nach dem Motto „Anruf erwünscht“ Zuschauer in die laufende Sendung einmischen konnten. Echter Bürgerrundfunk gelang nur im lokalen Bereich der ersten Kabel-Versuche.

Das hat sich mit dem explosiven Auftauchen des Internets radikal verändert. Ich nenne nur vier seiner Eigenschaften:

  • Hemmungslose Grenzüberschreitung in allen Bereichen.
  • Gleichzeitigkeit von Ereignis und Wahrnehmung in einer denkbar breiten Öffentlichkeit.
  • Ubiquität durch immer mobilere und handliche Geräte.
  • Rasche Vernetzung gigantischer Nutzermengen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“.

Ein Schlüsselereignis wurde „Stuttgart 21“. Es folgten weitere, auch im globalen Maßstab. Die politische Klasse brauchte lange, um auf die neuen Verhältnisse zu reagieren. Sie tat und tut es – nach meinem Eindruck – durch Verzicht auf dezidierte Gestaltung. Wir beobachten eine schleichende Selbst-Delegitimierung von Regierung und Parteien. Man wartet ab, man hält hin, man verzettelt sich in verbalem Geplänkel. Man sucht nicht mehr den gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Der Verzicht auf Politik in den gewählten Gremien korrespondiert mit chaotischen Verhaltensmustern an der Basis. Wichtige gesamtgesellschaftliche Vorhaben werden zwar theoretisch befürwortet, praktisch aber boykottiert, wenn sie zu Unbequemlichkeiten im Nahbereich führen.

Gleichzeitig zeigt die Großwetterlage einen Strukturwandel an, der noch am Anfang steht, aber möglicherweise geschichtsträchtig ist. Der technische Fortschritt erlaubt eine Diversifizierung und Individualisierung der Produktion, die sich dann erst über eine intelligente Vernetzung im „Internet der Dinge“ zum Großprojekt entwickelt. Die Energiewende mit ihren hunderttausend Dächern und Windrädern darf schon jetzt als die vielleicht größte Bürgerinitiative der Wirtschaftsgeschichte gelten.

Das Schlüsselwort heißt „Kommunikation“. Und die verändert sich so rapide wie noch in keiner Epoche. Das gilt nicht nur für Geräte und Verbindungstechnik. Auch die Bedürfnisse und das Lebensgefühl der Leute unterliegen einem ständigen Wandel. Die „Generation Y“ tickt anders als ihre Vorgänger. Meine Altersgruppe stand noch vor unersättlichen Märkten. Vieles wurde möglich, aber manches geschah aus dem einzigen Grund seiner Machbarkeit. Die Jüngeren lassen sich davon immer weniger beeindrucken. Sie fragen: Warum? Und Wozu? – Auf hohem Versorgungsniveau halten sie es für möglich, dass es auch bescheidener geht, unschädlich und nachhaltig.

Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor neuen und spannenden Aufgaben. Gerade hat ein Riese wie E.ON das Ruder seiner Geschäftspolitik radikal herumgerissen. Erfolgreiche Produkte brauchen nicht nur innovative Ideen. Mehr denn je brauchen sie eine glückliche Hand und eine kommunikative Kompetenz, ohne die auch die besten Ideen nicht mehr durchsetzbar sind.

Auch hier kommt Herr Thomas Kirschmeier ins Spiel. Ich bin gespannt, was er uns zu sagen hat.