„Unternehmenskommunikation“ mit Wolfgang Reuter (Wirtschaftsjournalist) – HBRS, 25. November 2014

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie und unseren heutigen Gast. Wolfgang Reuter ist Wirtschaftsjournalist und leitender Mitarbeiter des Handelsblatts, zweifellos die wichtigste Adresse für Leute, die das Wirtschaftsgeschehen im Lande und in der Welt aufmerksam beobachten wollen.

Ihm zur Einführung und uns zur Erinnerung: Unser Seminar untersucht einen Verdacht. Es gibt Indizien für eine tiefgreifende Veränderung im Kommunikationsgefüge der Gesellschaft. Entscheidungswege und Abläufe folgen nicht mehr dem klassischen Muster.

Früher wurden Großprojekte der Infrastruktur mit wichtigen wirtschaftlichen Auswirkungen in kleinen Zirkeln aus Politik und Wirtschaft ausgedacht, verabredet und dann mehr oder weniger robust und konsequent durchgesetzt. Wenn die Regierungsmehrheit einverstanden war, wurden die nötigen Gesetze eingestielt. Die beteiligten Unternehmen konnten sich auf klare Bedingungen und langfristige Perspektiven verlassen. Die Öffentlichkeit sah Ergebnisse, nicht oder kaum die Prozesse. Wenn die Planung vorgelegt wurde, war sie eigentlich schon entschieden und kaum noch zu beeinflussen.

Die Jugendrevolte der 68ger brachte in mancher Hinsicht eine Öffnung der Gesellschaft. Die neue Generation definierte sich nicht mehr über Krieg und Nachkriegszeit. Sie wollte ihrer Zeit den eigenen Stempel aufdrücken, zunächst allerdings mit diffusen, manchmal konfusen Aktionen.

Die Bewegung teilte sich. Eine sehr kleine Gruppe ging in den Untergrund und beunruhigte das Land durch Entführungen und Attentate. Die anderen setzten auf konstruktive Formen der politischen Auseinandersetzung. Überall im Land entstanden Bürgerinitiativen mit Volksfestcharakter. Sie kristallisierten sich an umstrittenen Großprojekten, noch immer mit Gesinnung und Leidenschaft, aber auch mit Zuwachs an Sachkenntnis und gewaltloser Beharrlichkeit.

Ihr Widerstand blieb allerdings überschaubar und wurde von den sogenannten „Ordnungskräften“ kurzgehalten. Die „gutbürgerliche“ Mehrheit beobachtete das Gerangel um Kernkraftwerke oder die neue Startbahn am Großflughafen ohne Empathie. Man traute sich selbst keine Erfolge zu oder fand sich damit ab, dass die Maßgaben der Politik „upside – down“ erfolgten und nicht „downside – up“.

Wesentlicher Faktor dieses Grundmusters waren die Medien. Es gab sie nur als „Einweg-Kommunikation“, und zwischen Ereignis und medialer Vermittlung verging viel Zeit. Das machte Spontaneität zum Einzel- und Sonderfall.

Die öffentlich-rechtlichen Medien waren vorsichtig und gesittet. Sie ließen Volkes Stimme nicht ungefiltert zu. Allenfalls in den Dritten Programmen tauchten neue Sendeformen auf, wo sich nach dem Motto „Anruf erwünscht“ Zuschauer in die laufende Sendung einmischen konnten. Echter Bürgerrundfunk gelang nur in den Nischen lokaler Kabel-Versuche.

Das änderte sich radikal mit dem explosiven Auftauchen des Internets.
Ich nenne nur drei seiner Eigenschaften:

  • Gleichzeitigkeit von Ereignis und Wahrnehmung in einer denkbar breiten Öffentlichkeit.
  • Ubiquität durch immer mobilere und handliche Geräte.
  • Rasche Vernetzung gigantischer Nutzermengen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“.

Plötzlich konnten sich große Massen spontan verständigen und organisieren. Die Zeiten eines gängelnden Herrschaftswissens waren vorbei.

Ein Schlüsselereignis wurde „Stuttgart 21“. Es folgten weitere, auch im globalen Maßstab. Die politische Klasse brauchte lange, um auf die neuen Verhältnisse zu reagieren. Sie ist noch immer tief verunsichert. Das zeigt sich an ihrem Verzicht auf dezidierte Gestaltung. Wir beobachten eine schleichende Selbst-Delegitimierung von Regierung und Parteien. Man wartet ab, man hält hin, man verzettelt sich in verbalem Geplänkel. Man sucht nicht mehr den gemeinsamen Nenner, sondern das größte gemeinsame Vielfache. Unternehmen, die sich für ein Großprojekt engagieren, haben keine Chance, wenn sie nicht die breite Akzeptanz der Wähler und eine positive Presse mitbringen.

Hier spielt auch eine Rolle, dass Prestigeprojekte der jüngsten Vergangenheit zum kläglichen Debakel mutierten. Sie machen Schlagzeilen nicht als mitreißende Vision, sondern als Kostenexplosion und dilettantisches Management, in Tateinheit mit einer wuchernden Bürokratie, die lieber auf der Bremse steht als auf dem Gaspedal.

Der Verzicht auf Politik in den gewählten Gremien korrespondiert mit chaotischen Verhaltensmustern an der Basis. Wichtige gesamtgesellschaftliche Vorhaben werden zwar theoretisch befürwortet, praktisch aber boykottiert, wenn sie zu Unbequemlichkeiten im Nahbereich führen.

Gleichzeitig zeigt die Großwetterlage einen Strukturwandel an, der noch am Anfang steht, aber möglicherweise geschichtsträchtig ist.

Der technische Fortschritt erlaubt eine Diversifizierung und Individualisierung der Produktion, die sich dann erst über eine intelligente Vernetzung im „Internet der Dinge“ zum Großprojekt entwickelt.

Eine Gemengelage, die natürlich – je nach persönlicher Orientierung – unterschiedlich interpretiert werden kann. Eines erscheint mir klar: Wirtschaft und Gesellschaft stellen sich neue und spannende Aufgaben.

Die Wirtschaft kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass ihr der Steuerzahler die teure Anlaufphase und den möglichen Misserfolg finanziert. Es braucht Mut und neue Formen der Kommunikation.

Es liegt auf der Hand: Hier hat die Presse eine Schlüsselrolle. Sie kann und soll aufmerksam und kritisch begleiten. Sie kann erklären und begründen. Sie kann Komplexität verringern, ohne leichtsinnig zu vereinfachen.

Lieber Herr Reuter, sind die Symptome richtig beschrieben? Wie beurteilen Sie die Situation? Welche Rolle spielt die Presse und hier besonders der Wirtschaftsjournalismus? – Sie haben das Wort.

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