Buchbesprechung: „Zukunft der Wirtschaftsförderung“ – Handelsblatt, 11. August 2014
von Bodo Hombach
Wer sich daran macht, ein solches Buch einfach nur durchzulesen, hat es von vorn herein nicht verstanden. Die 738 Seiten sind ein gedrucktes Symposion mit interessanten Teilnehmern, Thesen, Fallbeispielen und Reflexionen. „Gastgeber“ sind neben Rasmus C. Beck die Universitätsprofessoren Rolf G. Heinze (Bochum) und Josef Schmidt (Tübingen). Es ist ihnen gelungen, zwischen zwei Buchdeckeln über vierzig Experten zu versammeln, mit unterschiedlichem Erfahrungshorizont, Blickwinkel und Temperament der Zugriffsweise.
Sie alle teilen die Auffassung, dass der Markt zwar seine eigenen Gesetze hat, diese aber nicht allein von ihm gesetzt werden. Wirtschaftsförderung ist deshalb grundsätzlich sinnvoll, mehr noch: Sie gehört zu den elementaren Gemeinschaftsaufgaben des modernen Staates, nicht um ökonomische Entwicklungen politisch zu antizipieren und sie in die erwünschte Richtung zu manövrieren, wohl aber um einen dynamisch pulsierenden Rahmen zu schaffen, in dem sich produktive Ideen entfalten können. „Der Anfang ist immer schon die Hälfte.“ (Aristoteles)
Wie das am besten geht, ist Sache des öffentlichen Diskurses, und der sucht nach neuen Antworten auf alte Fragen. Die Formeln werden komplizierter. Neue Variablen sind zu integrieren, z.B. der demografische Wandel, die Endlichkeit wichtiger Ressourcen, ein entfesselter Markt, der sich selbst kannibalisiert, der globale und digitale Urknall.
Moderne Wirtschaftsförderung begnügt sich längst nicht mehr damit, hier eine Brache zu erschließen und dort günstiges Venturekapital locker zu machen. Zwar muss sie noch immer bürokratische Hindernisse und Milieuschäden beseitigen, neue Geschäftsideen wohlwollend kritisch validieren und Startchancen verbessern. Vor allem muss sie aber über sich selbst hinausdenken und sich politisch, soziologisch und ökonomisch neu begründen.
Die Beiträge des Buches verzichten mehrheitlich auf theoretische Welterklärung. Lieber interessieren sie sich für konkrete Situationen und Problemstellungen. Man weiß schon viel, aber auch, wieviel mehr noch zu erkunden ist. Nicht nur Startups, auch bestehende Unternehmen haben Luft nach oben. Sie brauchen die Förderung ihrer Innovationspotenziale. Diese legitimiert ja dann auch die Forderung nach sozialer Verantwortung.
Diesen makroskopischen Ansatz hatte die Clusterpolitik der letzten 15 Jahre. Sie steht im Mittelpunkt und auf dem Prüfstand des Buches. Es schwenkt vom Konzept regionaler Clusterpolitik über Fallbeispiele und die Auswertung konkreter Erfahrungen (Region Hannover, Dresden und Ruhrgebiet) bis hin zur Clusterpolitik der Zukunft. Und nun weiß man: Sie ist kein Zaubermittel angelsächsischer Pillendreher, das immer und überall funktioniert. Ein vierter Teil befasst sich deshalb mit Lernzielen, die sich aus den erkannten Defiziten ergeben.
Blühende Landschaften entstehen von heute auf morgen nur in politischen Sonntagsreden. In der Realität gelingen sie nur dort, wo die Einwurzelung in ein spezifisches Umfeld gelingt und die mitspielenden Faktoren (Mitbestimmung, Gewerkschaft, Medien) erkannt und berücksichtigt werden. Vor der internationalen muss die regionale und interregionale Perspektive stimmen. Besonders wissensorientierte Branchen – und welche wäre das heute nicht? – brauchen einen gut definierten Standort. Dann mögen sie ihre „Wahrheit“ am einzigen Ort suchen, wo man sie finden kann, nämlich überall.
Wirtschaftsförderung soll ermuntern und ermutigen. Sie trägt wesentlich zum Klima bei, in dem die Ökonomie der Zukunft gedeiht oder eben lahmt, – besonders wichtig in einem Land, wo man laut Lichtenberg „früher lernt, die Nase zu rümpfen als sie zu putzen“.
99 € sind ein stolzer Preis, aber kein Grund, das Buch in den Safe zu legen. Es gehört auf den Schreibtisch – in Griffweite.
Rasmus C. Beck / Rolf G. Heinze / Josef Schmidt [Hrsg.]
Zukunft der Wirtschaftsförderung
Nomos Verlag Baden-Baden 2014, 738 S. 99 €
ISBN 978-3-8487-1039-3