Rede: Enthüllung Backsteinskulptur Recklinghausen – Brost-Stiftung, 25. Juni 2014
Meine Damen und Herren,
das „Enthüllen“ gilt als eine wichtige Aufgabe unserer Zeit. Wir erwarten es von Journalisten, die den Namen verdienen. Un-Enthülltes lagert unter den Teppichen der Macht und in den Schwarzen Koffern der Schieber. Geheimdienste – also Enthüller vom Dienst – fürchten Enthüllungen.
Bei Kunstwerken im öffentlichen Raum hat das Enthüllen eine besondere Qualität. Es ist feierlicher Akt, Ritual der Konfrontation.
Ein individueller und intimer Werdegang in Atelier oder Werkstatt ist beendet. Die öffentliche Zurschaustellung beginnt. Ein Dialog, vielleicht eine Provokation, eine Auseinandersetzung zweier Welten.
Mich hat dieser Moment immer fasziniert. Ich bin gern dabei, wenn er geschieht. Es ist ein Augenblick besonderer Spannung und Lebendigkeit.
Heute erleben wir eine Enthüllung 2 Punkt Null. Sie geschieht zum zweiten Mal. Ein Kunstwerk stand jahrelang im öffentlichen Raum. Es hat sich behauptet, war aber auch Angriffen ausgesetzt, durch Hagel und Schnee, durch Unachtsamkeit, sogar Zerstörungswut. Die letztere kann es noch am ehesten verkraften. Wer zerstören will, bekennt sich unfreiwillig zum Wert des Objektes.
Wer sich an einem Kunstwerk abarbeitet, weil er es nicht erträgt und nicht dulden will, der hat es tiefer verstanden als der Gleichgültige.
Die Backsteinskulptur von Per Kirkeby hier in Recklinghausen hat monumentale Kraft. Sie erzählt vom Drinnen und Draußen. Sie betrachtet das Beharren und die Bewegung. Sie sinniert Mauer oder Tor-Burg der Stadt. Dort ereignen sich Aufnahme und Zurückweisung, Raum als Lebensraum, aber auch als Behauptung gegen feindlichen Angriff. Sie enthüllt die Schwäche der Macht, denn alle Mauern der Weltgeschichte waren Illusion.
Die Gestaltungslust des Menschen erwacht immer dort, wo Gegensätze aufeinander treffen. Unser Ruhrgebiet ist erlebte Spannung aus Gegensätzen – Übertage und Untertage. Landwirtschaftliche Flächen stoßen an Industriekomplexe – Schwerindustrie an Hightech. Strukturwandel zeigt seine Brüche hier früher als anderswo – Probleme der Industrialisierung auch. Hier entwickelte Problemlösung wird schnell exportierbar. Zum human gestalteten Strukturwandel gehört soziales Miteinander. Kultur ist eine überlebensnotwendige Säule.
Kirkebys Backsteinskulptur ist kulturelles Geschenk an die Menschen dieser Ruhrgebietsstadt. Es hat einen Wert. Es sollte lebendig bleiben. Deshalb taten sich Bürger zusammen um eine Patenschaft zu übernehmen: Kunstfreunde, Experten, Handwerker und Sponsoren.
Das Ruhrgebiet ist reich an öffentlichen Kunstwerken. Die verdienen Schutz, Würdigung und viele Wiederentdeckung. Wir haben sie mit Unterstützung der Brost-Stiftung in einem Buch zusammengefasst: Es ist Reiseführer und Projektplan zugleich. Ich danke allen, die das Ihrige dazu beigetragen haben.
Auch das ist Enthüllung – nämlich der Vielfalt und Spannkraft unserer Region.
Ich freue mich mit Ihnen, dabei zu sein.