„Unternehmenskommunikation: Der neue Zwang zur Selbsterklärung“ mit Rüdiger Oppers (Evonik Industries) – HBRS, 3. Juni 2014
Meine Damen und Herren,ich begrüße Sie und unseren heutigen Gast. Herr Rüdiger Oppers war u.a. Studioleiter des größten WDR-Studios zu Köln. Er war Sprecher des Westdeutschen Rundfunks. Dabei hat ihn sein damaliger Intendant Fritz Pleitgen mit vielen Sonderaufgaben betraut. Anschließend war er lange Jahre erfolgreicher Chefredakteur der „Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung“ (NRZ). Heute ist er Unternehmensrepräsentant der Evonik Industries AG und leitet unter anderem die Repräsentanzen in Brüssel und Berlin.
Unser Thema wird ihn lebhaft interessieren (sonst wäre er auch nicht hier), denn es ist sein tägliches Brot. Veränderungen im Kommunikationsgefüge der Gesellschaft entstehen zunächst heimlich im Kopf eines Kreativos, dann technisch in den Entwicklungsabteilungen kleiner und großer Betriebe. Virulent werden sie, wenn sie auf eine sozialpsychologische Großwetterlage treffen. Dann erwachen die Händler und die Käufer der Hardware. – Und in der Regel beginnt dann erst der Lernprozess der Politik. Er ist fast immer Nachhilfeunterricht.
Unternehmen, die darauf angewiesen sind, international mitzubieten, müssen früh ihre Fühler ausstrecken. Sie müssen ein feines Sensorium entwickeln, das schon auf atmosphärische Schwankungen reagiert. Sie müssen sich sogar, was vielen schwerfällt, mit enthemmter Gier für Fragen und Dinge interessieren, die neue Produkte ermöglichen oder die gewohnten neu beleuchten, obwohl diese noch auf der Höhe ihres Erfolges sind. Sie wissen: Hinter jedem Gipfel geht es nur noch bergab.
Erfolg will Wachstum, Größe macht zunächst auch stark, jenseits einer gewissen Grenze macht sie aber auch träge. Im globalen Wettbewerb – auf einem zum Teil gesättigten Markt – zählt nicht mehr Masse, sondern Qualität. Wer für diesen Mechanismus Beispiele sucht, muss nur die Zeitung aufschlagen oder auf sein Tablet tippen.
Fast täglich liest man von der Götterdämmerung großer Ketten und Konzerne. Spektakuläre Großprojekte scheitern an ihrer eigenen Komplexität. Erfolgsverwöhnte Unternehmen geraten auf die Bremsspur, weil sie zu lange ihren eigenen Festschriften geglaubt haben. Über Nacht müssen sie entdecken, dass in ihrer Gegenwart nur noch wenig Zukunft ist.
Und betroffen ist nicht etwa nur eine Branche. Aufstieg und Niedergang kann jedes Unternehmen erleben, sei es ein ehrwürdiger Medienriese, ein Energieversorger, eine Partei oder die Katholische Kirche.
Die große amerikanische Historikerin Barbara Tuchman schrieb ihr letztes Buch über „Die Torheit der Mächtigen“. Jedem Untergang – so stellte sie fest – geht ein Realitätsverlust voraus. Er ist die Folge eines rituell übersteigerten Selbstgefühls, das immer ärmlicher argumentiert und den Dialog verweigert. Zuletzt genügt ein Zufall, um den Absturz zu besiegeln.
Wir leben in einer Informations- und Kommunikationsgesellschaft. Es genügt nicht mehr, die Fakten zu verlautbaren und die Ziele zu verkünden. Solange sie nicht mit positiven Konnotationen im Bewusstsein der Gesellschaft sind, sind sie nicht wirklich in der Welt. „Zur Welt kommen“, so nannte Peter Sloterdijk einmal die Hauptaufgabe unserer Zeit. Das geschieht nur durch Diskurs, Transparenz, Teilhabe und ergebnisoffenen Dialog, – mit einem Wort: Kommunikation.
Auf dem Weg zur offenen Bürgergesellschaft organisiert sich die Zivilisation in fast allen Bereichen mit flachen Hierarchien und horizontaler Vernetzung. Nicht Macht oder Menge entscheiden, sondern eine möglichst kluge und dynamische Logistik. Wer eine Idee hat und ein Projekt verwirklichen will, muss sie argumentativ vertreten. Er muss versuchen, in der Vorstellung seiner Adressaten ein Bild zu erzeugen, das sich diese wünschen können. Zumindest in der Startphase ist er dabei auf sich allein gestellt.
Er wird auch die leidvolle Erfahrung machen, dass niemand auf ihn gewartet hat.
Im Gegenteil: Es fehlt nie an Individuen und Gruppen, die auf der Bremse stehen, sei es, weil sie ihre Interessenten gefährdet sehen oder nicht von einer liebgewordenen Gewohnheit lassen können. Nur wer das Neue, auch das Richtige und Wichtige, nicht als Ergebnis versteht, sondern zunächst als einen interessanten Prozess, der hat gute Chancen, die Durststrecken zu überwinden.
Im EU-Wahlkampf war viel die Rede von Intransparenz der Brüsseler Entscheidungen und wuchernder Regelungswut. Dafür lassen sich gute Gründe finden, ich bin jedoch überzeugt: Der Erfolg populistischer Parteien ist vor allem das Ergebnis eines Kommunikationsdesasters. Wer die schöne Mühe scheut, die Leute dort abzuholen, wo sie tatsächlich sind und sie auf einen Weg mitzunehmen, den sie mitvollziehen und mitsteuern können, darf sich nicht wundern, wenn er bald schon sehr einsam ist.
Ich denke, hier sollte ich meinen Gedankenfluss unterbrechen und unserem Gast das Feld räumen. Ich habe ohnehin viel mehr zuzuhören als mitzuteilen.
Lieber Rüdiger Oppers: Ihr Stichwort.