„Europa wohin?“ – Handelsblatt, 14. März 2014
Die kommende Europawahl erlebt der Kontinent an einem Wendepunkt. Der Euro, gewollt als Motor der Integration, entwickelt Sprengkraft. Die geografischen Grenzen sind offen, aber es entstehen neue zwischen Regierungen und Völkern, reich und arm, Nord und Süd. Europa hat den Schwung seiner „wild days“ verloren. Es wirkt müde und alt. Eine große Idee wurde von Bürokraten verzwergt. Die für ein erfolgreiches Europa wichtigen Briten stimmen demnächst über „in“ oder „out“ ab. In der Ukraine gehen Hunderttausende mit Europasehnsucht auf die Straße.
Es ist Dampf im Kessel – vielleicht schon Feuer unterm Dach. Der „GmbH Europa“ droht das Schicksal zu groß gewordener Gebilde: Sie werden selbstgefällig und träge. „Alles weiter wie gehabt!“ wäre bei der Wahl die Parole zum endgültigen Abstieg. Nicht Starrheit, sondern zivile Dynamik bei der Suche nach Lösungen ist der tiefere Zusammenhalt der Gemeinschaft.
Die EU hat Errungenschaften in ihrem Musterkoffer, um die sie die Völker der übrigen Welt beneiden: Demokratie, Bürgerfreiheit, Spielregeln, die den friedlichen Ausgleich der Interessen fördern. In 70 Jahren ist es gelungen, ein in Jahrhunderten gewachsenes Hasspotential auf das Niveau von Familienstreitigkeiten abzusenken. Aber in zu vielen Punkten geschwächt, kann man nicht antreten, als sei man berufen, die neue Zeit aus bisheriger Praxis zu definieren.
Richtige Therapie ist nicht Schönfärberei oder verbale Kraftmeierei und Gängelung durch ständig neue Vorschriften. Nicht das Glattbügeln regionaler Eigenheiten. Nicht die Demütigung ganzer Völker, die unter den Raubzügen ihrer Oligarchen leiden. Richtig wäre eine neue Bescheidenheit. Nicht „weiter so!“ sondern „wir haben verstanden.“ Besinnung auf europäische Kernkompetenzen.
Das Volk will in Europa nicht mehr gegeneinander rüsten. Es will gemeinsame Sicherheitspolitik. Die politische Initiative dazu fehlt noch.
Wichtig: Nicht Regierungen, auch nicht Banken, sondern die Völker müssen wieder spüren, wie gut es ist, in diesem Kontinent zu leben. Das zu vermitteln braucht politische Kommunikatoren, die in dieser argumentationsarmen Zeit gehört werden, weil sie was zu sagen haben.